Russland

Hyundai gegen Lada

Moskau (n-ost) - Igor Aleksejewitsch ist aufgeregt. Er sitzt in seinem weinroten Lada. In brütender Hitze wartet der 73jährige auf Einlass beim "Techosmotr", auf Deutsch TÜV. Igors Lada lief 1995 in Toljatti an der Wolga vom Band. Das Auto ist wie fast alle russischen Modelle ein fast exakter Nachbau des Fiat 124.Mit dem Lada verbindet die Russen eine Hass-Liebe. Für diesen Wagen stand man in Sowjetzeiten Schlange. Heute wird die reparaturanfällige Kiste wegen der attraktiven ausländischen Auto-Konkurrenz nur belächelt. Aber trotz Wirtschaftsaufschwung können sich viele Russen immer noch keine ausländischen Autos leisten. Deshalb die Hass-Liebe zum "vaterländischen" Produkt.
Ein Lada auf dem Prüfstand
Ulrich Heyden

Igor ist kein Auto-Narr. Für ihn ist die Karre, die er allerdings gut pflegt, ein Gebrauchsgegenstand. "In Moskau fahre ich nicht mehr gerne Auto", erzählt der ehemalige Bau-Ingenieur. "Die Straßen sind ständig verstopft. Die Leute fahren aggressiv, da werde ich schnell müde." Seinen Lada nutzt der Rentner vor allem für Fahrten auf die Datscha. Igor hat fünf Enkel und zwei Urenkel. Mit denen fährt er am Wochenende raus. Sonntagabend geht es dann auf Schleichwegen - wegen der Staus - zurück nach Moskau.Vor einer Woche war Igor schon einmal beim Techosmotr. Es war alles in Ordnung, die im Motorblock eingeschlagene Fahrzeugnummer stand auf keiner "Gestohlen"-Liste. Doch bei der Bremskraft der Reifen haperte es, sie war bei allen Reifen unterschiedlich. Der Prüfer forderte außerdem eine Nachregulierung des Scheinwerferlichts und der Türschlösser. Für die Auswechslung der Bremsanlage und die anderen Reparaturen zahlte Igor 2.200 Rubel (63 Euro). Das ist die Hälfte von Igors Rente.Das Rolltor öffnet sich, Igor startet sein Auto und fährt in die Halle von "Techosmotr". 300 Rubel (neun Euro) kostet der Check. Nun sind die Türschlösser in Ordnung, die Scheinwerfer auch, doch die Hinterräder bremsen unterschiedlich. Ob man darüber nicht reden könne, fragt Igor den Techniker, und hebt dabei sein Baseball-Cap, um seinen weißen Haarschopf zu zeigen. "Sie wollen doch einem alten Mann keinen Ärger machen?" Der Techniker tut so, als ob er nicht versteht. Igor ist wütend: "Ich komme doch gerade von der Werkstatt.Was Igor nicht wusste: Die Halle ist mit Videokameras überwacht. Bestechungsversuche sind zwecklos. Eingeweihte kennen aber eine kleine Ecke in der Halle, wo keine Videokamera hinreicht. Dort nehmen die Techniker gerne das fürs Durchwinken übliche Trinkgeld von 2.000 Rubel entgegen.Wer in Moskau ein altes Auto hat, versucht den TÜV über Bestechungsgelder oder sogenannte Vermittler zu umgehen. Das spart Zeit und Nerven. Wer einen "Vermittler" einschaltet, bekommt den TÜV-Ausweis für 100 Dollar. Das ist der Moskauer Einheitspreis. Russischer Auto-BoomAls Igors Lada vom Band lief, erinnerten die russischen Autos schon äußerlich an das Zeitalter der Mangelwirtschaft: Klein, hässlich und natürlich ohne Klimaanlage. Vor 15 Jahren gab es nur drei Auto-Marken, die Kleinwagen Lada sowie Moskwitsch für die Proletarier und die Limousine Wolga (in den Farben schwarz oder weiß) für die Oberschicht. Seit Ende der 90er Jahre erlebt Russland eine Auto-Revolution. Allein im letzten Jahr hat sich der Verkauf ausländischer Fahrzeuge verdoppelt. Die Spitzenreiter sind Hyundai, Chevrolet und Toyota. Letztes Jahr wurden 697.000 ausländische Autos importiert. Die einheimische Lada-Fabrik konnte ihren Verkauf zwar um 3,7 Prozent steigern, setzte aber nur 648.000 Fahrzeuge ab.Die Wagen der ausländischen Mittelklasse liegen durch einen Zoll von 30 Prozent im Preis über den einheimischen Modellen. Den Aufschlag zahlen die Russen gerne. In Moskau sind heute zwei Drittel der Autos ausländischer Herkunft. Bei den Gebrauchtwagen ist die Präsenz der Import-Fahrzeuge noch stärker als bei Neuwagen. Auch hier steigen die Ansprüche. Vor sieben Jahren waren die Gebrauchtwagen in Moskau im Durchschnitt 15 Jahre alt. Heute sind sie nicht älter als neun Jahre, meint Andrej. Der 30jährige arbeitet als "Konsultant" für Ersatzteile und Autozubehör im Technik-Kaufhaus "Awtokemp" im Westen Moskaus.Die Ausländer kommenAngesichts der starken ausländischen Konkurrenz hat Präsident Putin angeordnet, die russische Automobil-Industrie zu retten. Eine Schlüsselrolle spielen dabei der russische Rüstungskonzern "Rosoboronexport", der zusammen mit der Troika-Dialog Finanzgruppe Eigentümer des schwächelnden Lada-Auto-Werkes wurde, und der Oligarch Oleg Deripaska, Besitzer von GAZ, dem zweiten großen russischen Autowerk, in dem bisher der "Wolga" produziert wurde.Die russischen Automobilwerke versuchen sich über ausländische Beteiligungen zu modernisieren. Offenbar ist auch eine Verflechtung der einheimischen Produktionskapazitäten geplant. Seit 2001 produziert Lada zusammen mit Chevrolet den Geländewagen Niva. Mitte Mai schloss Lada einen Vertrag mit dem kanadischen Auto-Hersteller Magna. Der kanadische Konzern will jetzt zusammen mit Lada an der Wolga für 1,5 Mrd. Euro eine neue Auto-Fabrik bauen. Magna ist schon fast Russisch. Erst vor kurzem hatte der Oligarch Oleg Deripaska 1,5 Mrd. Dollar in den kanadischen Konzern investiert.Im Bereich der unteren Mittelklasse muss Lada hart kämpfen. Um die hohen Import-Zölle zu umgehen, produzieren ausländische Auto-Konzerne jetzt zunehmend in Russland. Toyoto und Hyundai planen Autowerke in St. Petersburg. Dort produziert bereits Ford. VW eröffnet nächstes Jahr ein Werk in Kaluga, südlich von Moskau. Renault produziert sei zwei Jahren in den ehemaligen "Moskwitsch"-Werk im Zentrum der russischen Hauptstadt den Billigwagen "Dacia Logan".Im südrussischen Taganrog laufen die Hyundai-Modelle Accent, Sonata und Porter vom Band. Einen Accent bekommt man schon für 13.000 Dollar. Soviel kostet auch der bei St. Petersburg produzierte Ford Focus. Lada kann sein neues Kalina-Modell immerhin für 12.000 Dollar anbieten.Die Händler der ausländischen Automarken in Russland locken ihre Kunden mit billigen Kauf-Krediten, einem ausgebauten Service-Netz und einer in Russland bisher unbekannten Reparatur-Garantie. "5 Jahre Garantie" steht auf großen Lettern bei einem Hyundai-Salon im Westen Moskaus. "Bei unseren Kaufkrediten muss man 50 Prozent der Summe sofort bezahlen. Den Rest kann man über eine Bank in ein bis fünf Jahren abstottern", meint Hyundai-Verkäufer Andrej, der eigentlich Sprachen studiert hat und Lehrer werden wollte, wegen der geringen Beamten-Gehälter jedoch beim Süd-Koreaner angeheuert hat. "Wir achten auf Qualität, nicht auf Quantität", erklärt er die Verkaufspsychologie seines Hauses. So wolle man erreichen, dass die Marke in Russland zu Ansehen kommt. Ob es mit Russlands eigenen Auto-Marken irgendwann vorangeht? "Schwer zu sagen", meint der 29jährige. Süd-Korea habe seine Auto-Industrie in 30 Jahren aufgebaut. Allerdings hätten da auch die Amerikaner geholfen.Rentner Igor interessiert sich nicht für die neuen Auto-Modelle, weil er sowieso kein Geld hat, sich ein Import-Auto zu kaufen. Seine Enkel -so verrät er - fahren schon ausländische Wagen. Und auch seine Urenkel werden wohl Import-Autos kaufen. Und solange die Prüfer beim TÜV schlecht bezahlt werden, müssen auch Igors Urenkel beim TÜV Trinkgelder zahlen.Ende---------------------------------------------------------------------------
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Ulrich Heyden


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