Polen

"Am Ende kommen Touristen"

Premiere von Robert Thalheims Spielfilm über Oswiecim - die Stadt neben AuschwitzOswiecim/Auschwitz (n-ost) Der Bahnhof von Oswiecim ist ein funktionaler, kein besonders schöner Ort - ein grauer Betonbau aus den 1960er Jahren mit ein paar unwirtlichen Bahnsteigen. "Uwaga Pociag! - Achtung Zug!" warnt ein Schild in mehreren Sprachen die Reisenden, denn um in die Kleinstadt zu gelangen muss man hier noch direkt die Gleise überqueren. Vor ziemlich genau zwölf Jahren kam an dieser Stelle der junge Berliner Robert Thalheim an, um seinen Zivildienst bei Aktion Sühnezeichen in Auschwitz zu leisten. Mittlerweile ist er Regisseur. Für seinen neuen  Kinofilm kehrte Thalheim, der für seinen Debütfilm "Netto" als große Nachwuchshoffnung gefeiert wurde, noch einmal nach Oswiecim zurück. Herausgekommen ist ein ungewöhnliches Werk - der erste Spielfilm, der die polnische Kleinstadt zeigt, die seit über 60 Jahren stets im Schatten des einstigen deutschen Todeslagers Auschwitz stand. Am 15. August feiert Thalheims "Am Ende kommen Touristen" in Berlin seine Deutschlandpremiere, anschließend kommt der Streifen in die deutschen Kinos.Der Film beginnt mit einer Szene am Bahnhof, die so auch der junge Zivildienstleistende Thalheim erlebt hat: Ein junger Mann betritt den Bahnsteig. Es ist der Deutsche Sven (gespielt von Alexander Fehling), der in Auschwitz seinen Zivildienst machen will. Seine wichtigste Aufgabe ist es, sich dort um den ehemaligen polnischen KZ-Häftling Krzeminski (Ryszard Ronczewski)  zu kümmern, der noch immer in der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Lagers lebt. Dabei verliebt sich der Zivi Sven in die junge polnische Dolmetscherin Ania (Barbara Wysocka) und lernt dadurch die Menschen und Probleme im heutigen Oswiecim kennen, der Kleinstadt am Rande von Auschwitz, dem weltweiten Symbol für den nationalsozialistischen Völkermord.


Auschwitz - KZ Stammlager
Dana Ritzmann

Eine besondere Herausforderung war für Thalheim, wie er den historischen Ort, das Vernichtungslager Auschwitz, in seinem Film darstellen sollte. Die polnische Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erteilte ihm nämlich keine Dreherlaubnis für das Gelände des ehemaligen Lagers. Krystyna Oleksy, stellvertretende Direktorin der staatlichen Gedenkstätte, begründete diese Entscheidung: "Seit Steven Spielbergs Wunsch, "Schindlers Liste" in Auschwitz zu drehen, kann das Gelände nicht mehr für Spielfilme genutzt werden. Für sie müssen neue Elemente, wie Schauspieler, Statisten und Requisiten in die Gedenkstätte gebracht werden. Aber Auschwitz ist ein Friedhof und keine Kulisse für Spielfilme."Für Regisseur Thalheim bedeutete diese Entscheidung, dass er sich ganz auf die Stadt Oswiecim konzentrieren musste und keine Szenen im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz drehen konnte. Eine solche Option hatte er selber bereits von Anfang an in Erwägung gezogen: "Es gab bei uns im Team immer wieder die Frage, wieviel vom Ort des konkreten Verbrechens man eigentlich zeigen muss, um Auschwitz gerecht zu werden", erklärt Thalheim, "und jetzt bin ich sogar froh, dass wir nicht auf dem Gelände des Lagers gedreht haben. Ich hoffe, dass man dadurch noch mehr Respekt dem Ort gegenüber wahrt."So spielt "Am Ende kommen Touristen" nun ausschließlich in Oswiecim, nicht nur am Bahnhof sondern auch am zentralen Stadtplatz und in einer Plattenbausiedlung, die die Oswiecimer ironisch "Manhattan" nennen, weil die Hochhäuser die Menschen hier an die New Yorker Skyline erinnern. Die meisten Bewohner von Oswiecim freuen sich, dass ihre Stadt Thema von Thalheims Film ist. "Mir gefällt es, dass in der Stadt gedreht wurde und nicht in der Gedenkstätte", freut sich Gabriela Nikliborc, eine junge Oswiecimerin, "viele Menschen in der Welt wissen nicht, dass das hier auch eine ganz normale Stadt ist, dass unsere Kinder auf Spielplätzen spielen und wir in Kneipen gehen." Und besonders begeistert ist Nikliborc, dass sie als eine von über 300 Statisten aus der Stadt in dem Film mitspielen konnte.Aber nicht alle Oswiecimer waren über die Dreharbeiten erfreut: Bei Aufnahmen in der Plattenbausiedlung "Manhattan" empörte sich eine ältere Frau, dass ausgerechnet ein deutscher Regisseur in der Stadt einen Film macht. Gabriela Nikliborc, die selber in einer Begegnungsstätte arbeitet, hat für eine solche Kritik kein Verständnis: "Es ist ein Element der deutsch-polnischen Versöhnung, wenn ein junger deutscher Regisseur über eine polnische Stadt dreht und dies vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie als Zivi hier tut. Das ist eine neue Perspektive für viele Polen".Auch Robert Thalheims zweiter Kinofilm zeichnet sich durch leise Töne und exakt beobachtete Figuren aus. Bereits sein erster Film "Netto" war ein Überraschungserfolg: Er war eigentlich nur eine in den Semesterferien gedrehte Seminararbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg. Doch der Film brillierte bei der Berlinale 2005, wurde unter anderem mit dem Deutschen Filmkunstpreis 2005 ausgezeichnet und fand sofort einen Kinoverleih - obwohl er gerade einmal mit einem Budget von 3200 Euro gedreht worden war. Für "Am Ende kommen Touristen" hatte Robert Thalheim nun knapp eine Million Euro zur Verfügung, finanziert durch die öffentliche Filmförderung und das ZDF. Produziert wurde der Film von 23/5-Film von Hans-Christian Schmid ("Lichter" und "Requiem") und Britta Knöller. "Wir konnten jetzt viel professioneller arbeiten", freut sich Thalheim, "aber man merkt, dass ein anderer Wind weht als bei Studentenfilmen, plötzlich ist man eingeschränkt durch Dinge wie Arbeitsrecht und Drehgenehmigungen - "Netto" haben wir viel wilder gedreht."Seine Weltpremiere feierte der Film im Mai auf den Filmfestspielen in Cannes, wo er in der Reihe "Un certain regard" ("Ein besonderer Blickwinkel") nominiert war. Mitte August kann sich auch der deutsche Kinogänger ein Bild machen.Ende Infokasten:
Mehr Informationen über den Film: www.amendekommentouristen.de
Die Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlicht zum Filmstart ein Schulbegleitheft. Mehr Infos auf: www.bpb.de
Informationen über die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in deutscher Sprache: www.auschwitz.org.pl
Freiwilligendienste in Polen und anderen Länder bietet u.a. Aktion Sühnezeichen Friedensdienste an: www.asf-ev.de--------------------------------------------------------------------------------
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