Ungarn

Pop aus der Dose statt Zigeunermusik

Roma-Musikanten prägten das Bild Ungarns in der Welt / Nun droht vielen der Absturz in die ArbeitslosigkeitBudapest (n-ost) - Bierdose in der Hand, Strohhut auf dem Kopf. Die lauten Männer auf dem dampfenden Asphalt der Budapester Népszínház-Straße sehen nur auf den ersten Blick fröhlich aus. Vor einigen Jahren spielten sie zu dieser Jahreszeit täglich in Restaurants, Csárdas und Hotels in Budapest auf oder waren auf Touristenschiffen auf dem Plattensee oder der Donau unterwegs. Heute wissen sie nicht mehr, wovon sie leben sollen. Eine Einladung im Monat zu einer Hochzeit auf dem Lande oder zu einem Abendessen einer Touristengruppe - mehr springt selten heraus. Zigeunermusik - einst ein Wahrzeichen Ungarns wie Paprika und Puszta - ist nicht mehr gefragt. Und je seltener die Auftritte werden, desto schlechter würden die Gruppen, klagen die Musiker. Ein Teufelskreis.


Eigentlich nicht aus dem Stadtbild wegzudenken - Zigeunermusik
Oszkár JankovichIn Budapests 8. Bezirk leben viele Roma-Familien, deren Väter und Großväter alle das gleiche Problem haben und hilflos auf der Straße sitzen. "Das ganze Land soll sich schämen", sagt eine heisere Stimme aus einer Gruppe heraus. "Und besonders die Politiker sollten innehalten. Sie lassen dieses Nationalerbe, diesen gemeinsamen Schatz verloren gehen!", klagen die Roma. "Warum sollten sich die vielen Jugendlichen überhaupt anstrengen, wenn sie dann keine Arbeit bekommen? Warum?"In den Roma-Familien gibt es ganze Musiker-Dynastien. Der Nachwuchs lernt oft schon ab dem fünften Lebensjahr ein Musikinstrument. Die Fachschule für Tanz- und Musikkunst in Budapest nimmt jährlich 30 Schüler auf und unterhält zwei Orchester, Rajkó und Rajkó Junior. Diese geben jährlich bis zu 200 Konzerte. Doch die Perspektiven der fertig ausgebildeten Musiker sind schlecht. Viele wechseln zum Jazz oder in die klassische Musik. Diejenigen, die nicht aufgeben wollen, reisen nach Frankreich, nach Belgien oder in die Niederlande. Dort wird Roma-Musik noch geschätzt.Selbst im weltberühmten, hundertköpfigen Zigeunerorchester  "Szaz Tagu Ciganyzenekar" ist die Stimmung schlecht und die Fluktuation groß. Orchesterleiter Sándor Buffo Rigó klagt, dass es keine vernünftige Krankenversicherung und keine Altersversorgung für die Musiker gibt. Verträge würden immer nur für einzelne Tourneen abgeschlossen. Dazu komme noch, dass seit einigen Monaten nicht einmal der Staatliche Rundfunk Zigeunermusik spiele, empört sich Sándor Buffo Rigó. "Warum hat man das Konzept geändert? Gegen uns?" Und Geigensolist Florian Lakatos klagt: Zu Zeiten seines Großvater habe die Speisekarte vieler Gaststätten gleich auch das Programm einer Zigeunerkapelle enthalten. Die Musiker seien am Umsatz beteiligt worden. Ab den 50er Jahren hätten dann die Musiker gut vom Trinkgeld der Gäste leben können, bis nach dem Jahr 2000 der Abstieg eingesetzt hätte.Nach Angaben des Volkskundlers Péter Szuhay reicht die Tradition der Berufsmusik bei den ungarischen Zigeunern bis in die Zeit der Habsburger Kaiserin Maria Theresia zurück. Damals, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, seien bei Adligen in Westungarn Hofkapellen in Mode gekommen. Der ärmere Kleinadel in Ostungarn ahmte dies nach, indem er Roma, die im Winter keine landwirtschaftliche Arbeit hatten, als Hofmusikanten engagierte. Auch bei Volksfesten in Ostungarn spielten Zigeunerkapellen auf, denn die ungarischen Bauern sahen das Musikmachen als erniedrigende Tätigkeit an. Aus dieser volkstümlichen Musik habe sich, so der Wissenschaftler des Ungarischen Museums für Volkskunde, die Gattung der so genannten Zigeunermusik entwickelt, die dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in den Gaststätten immer öfter zu hören war. Was weltweit als "ungarisch Zigeunermusik" bekannt wurde, besteht meist aus selbst geschriebenen, den ungarischen Volksliedern ähnlichen Kompositionen und aus Interpretationen mit volkstümlichen ungarischen Musikelementen, ergänzt der Forscher.Nach Gewerkschaftsangaben gab es 1989 vor der Wende in Ungarn allein in Budapest rund 5000 offiziell beschäftigte Roma-Musikanten. Die Zahl der schwarz Arbeitenden wird auf das Doppelte geschätzt. Zum Verhängnis wurde vielen Gruppen dann die Privatisierung von etwa 1800 Restaurants und Hotels: Für die Wirte ist es billiger, ein Musikgerät für die Gaststätte zu kaufen, als eine siebenköpfige Kapelle anzustellen.Um die Tradition erhalten zu können, erkämpfte der Verband der Gastwirtschaftlichen Berufsmusiker im Jahre 2006 staatliche Subventionen, die aber nur für zwei Jahre gewährt wurden und gerade einmal für die Sozialabgaben von 20 Musikern ausreichen. Mit Hilfe dieser bescheidenen Unterstützung tritt unter anderem im Garten des Szécheny-Restaurants im Budapester Stadtpark nach acht Jahren Pause wieder eine Zigeunerkapelle auf, die aus gerade einmal drei Musikern besteht. Wirt Ferenc Gilicze, der bereits seit 40 Jahren Restaurants in Budapest leitet, unterstützt die Musiker, denn er erinnert sich gerne an Zeiten, als Zigeuner-Kapellen warme Sommernächte hindurch bis zum Morgengrauen für die Gäste spielten.Auch Ákos Niklai, als Direktor der Ungarischen Tourismus AG weltweit für die Vermarktung des Landes zuständig, setzt sich für das Überleben der Roma-Musikanten ein. Er organisiert Gastspielreisen ins Ausland, "auch wenn diese Musik nicht das offiziell propagierte Bild über das moderne Ungarn stärkt". Nach den Worten Niklais geht es um mehr, als um das Aussterben einer Musikgattung, sondern schlicht um die Existenz der in Ungarn lebenden 800.000 Roma.** Ende ***
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