„Orange Bananas“ in Halle
In den 1980er Jahren ist in Wrocław eine Protestbewegung entstanden, die sich „Orange Alternative“ nannte. Mit gewaltfreien Happenings thematisierte sie die Absurdität des Alltags im sozialistischen Polen. Auf Initiative der polnischen Kulturmanagerin Agnieszka Ćwieląg erinnerte eine Straßentheatergruppe am 3. Oktober 2009 in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt an die Aktionen dieser Gruppe.
Zugegeben, der Bau einer Mauer mitten in Halles Innenstadt am Tag der Deutschen Einheit, löst zunächst keinen Jubel aus. Einige Passanten bleiben stehen und mustern misstrauisch die jungen Leute, die aus Styroporklötzen eine Barriere aufstellen. „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, ruft einer von ihnen in ein Papp-Megafon. „Das hat Ulbricht auch gesagt“, empört sich prompt ein älterer Mann und geht kopfschüttelnd weiter.
Keine hundert Meter entfernt, auf dem Marktplatz, bahnen sich unterdessen seltsame Gestalten ihren Weg durch die Menge. Sie tragen weiße T-Shirts und orange Tücher. Manche haben die Gesichter weiß geschminkt, andere tragen Sonnenbrillen. Und sie sind bewaffnet – mit Bananen. „Orange, orange, banana, banana“, skandieren sie, begleitet vom Trommeln einer Percussionsgruppe. Die sechs Aktionskünstler nennen sich „Zwergenarmee“ und erinnern damit an die Protestbewegung, die in den 80er Jahren im polnischen Wroclaw entstanden ist.
Zwerge als Symbole des Protestes
„Die Pomarańczowa Alternatywa, die Orange Alternative, waren junge Künstler in Wrocław, die versuchten, die graue Realität im kommunistischen Polen mit Humor zu betrachten“, sagt Agnieszka Ćwieląg, Kulturmanagerin der Robert Bosch Stiftung. Am Anfang sprühten die Aktivisten um Waldemar Frydrych Zwergen-Grafitti an Mauern, auf denen zuvor antikommunistische Parolen überpinselt worden waren. Die Zwerge wurden bald Symbol der bunten Prostestbewegung.
1985 gingen dann erstmals als Zwerge verkleideten Protestler zu einem „Happening“ auf die Straße. „Mit den Happenings wollten die Künstler die Absurditäten im sozialistischen Alltag darstellen. Ihr Ziel war es, möglichst viele Leute zum spontanen Mitmachen zu bewegen“, erzählt Ćwieląg. So verteilte die Gruppe etwa Toilettenpapier, das zu dieser Zeit knapp war. Bei einer anderen Aktion verkleidete sie sich als personifizierte Inflation, „galoppierte“ durch die Straße und verkündete später, die polnische Miliz habe die „galoppierende Inflation“ gestoppt. Die Happenings lehnten sich an die Ideen des Surrealismus und des Dadaismus an.
Mit einem Lächeln auf die andere Seite
Als Agnieszka Ćwieląg vor einem Jahr als Stipendiatin der Robert Bosch Stiftung nach Halle kam, stand für sie fest, dass sie ein Projekt zum Fall des Eisernen Vorhangs umsetzen würde. Polens „Orange Alternative“ ist ein in Deutschland wenig bekannter Teil der Geschichte. Das wollte sie ändern und gleichzeitig einen Bezug zum Fall der Mauern finden.
Nun steht Ćwieląg am Tag der Deutschen Einheit in der Fußgängerzone von Halle vor einer weißen Styropormauer, die nur einen schmalen Durchgang offen lässt. Passanten, die von der einen auf die andere Seite wollen, werden mit einem an „Grenzübergängen“ eher ungewöhnlichen Anliegen konfrontiert: „Bitte halten sie ihr Lächeln zur Kontrolle bereit“, fordert der Darsteller mit dem Papp-Megaphon. Sobald die Mauer passiert ist, begrüßen die Schauspieler die Ankömmlinge mit einem herzlichen „Willkommen auf der anderen Seite!“ Die meisten Passanten spielen mit, nur wenige weigern sich zu lächeln.
Der Mann mit dem Papp-Megaphon, Jan Langhammer, ist Mitglied der Aktionstheatergruppe Halle, in der Ćwieląg einen Projektpartner gefunden hat.
Die „Orange Bananas“
Im August 2009 reisten acht Mitglieder des Aktionstheaters nach Wrocław und trafen sich mit Studenten der dortigen Hochschule. Zwei Monate später nun sind acht Studenten aus Wrocław zum Gegenbesuch gekommen. Als „Orange Bananas“ wollen sie mit der Gruppe aus Halle das Thema Mauerfall mit Methoden der „Orange Alternative“ umsetzen.
„Die Orange Alternative ist aus der Situation des Kriegszustands in Polen entstanden. Damals waren politische Äußerungen verboten, wir sind in einer völlig anderen Lage“, sagt Langhammer. Daher wolle das Projekt die „Orange Alternative“ nicht kopieren, sondern sich lediglich ihrer Stilmittel bedienen.
Inhaltlich gehe es in ihrer Inszenierung vor allem um die Kritik an der Schnelllebigkeit, an der Konsumkultur, erklärt Langhammer. Der Ruf nach Freiheit in der DDR 1989 habe sich sehr schnell in einen Wunsch nach der D-Mark und den „Westprodukten“ verwandelt. Als Symbol dafür stehe die Banane.
In einer auf materielle Dinge ausgerichteten Gesellschaft fühle sich der einzelne Mensche jedoch schnell isoliert. Ihre Aktion soll die Menschen ermuntern, miteinander in Kontakt zu treten und über ihre eigenen Werte und Wünsche zu sprechen.
Auf den Mauerfall folgt die Bananen-Republik
Die Aufmerksamkeit der Passanten ist den „Orange Bananas“ mit ihrer Aktion sicher. „Ist doch eine schöne Idee, dass wir lächeln müssen. Lächeln soll doch so gesund sein“, kommentiert ein Mann. Bei vielen weckt die Styropormauer Erinnerungen an 1989, zum Beispiel an die Demonstrationen auf dem Markt in Halle. Aber auch an Repressionen: „Genau in dieser Straße wurde 89 oft kontrolliert“, sagt eine Frau und erzählt von ihrer eigenen Ausreise nach Westdeutschland.
Unterdessen hat sich die „Zwergenarmee“ vom Marktplatz aus der „Mauer“ genähert und beginnt mit dem „Mauerfall“. Innerhalb weniger Minuten ist die Sperre abgebaut. Aus den Styroporklötzen entsteht ein „Orange Banana Café“, in dem „Begrüßungssaft“ ausgeschenkt wird. Langhammer ruft eine „Orange Bananen-Republik“ aus und lädt die Passanten ein.
Mit Handzetteln werden diese nun auch über das historische Vorbild der Aktionsgruppe informiert. Eine Ideen-Box wartet auf die Vorschläge, wie die Bananenrepublik gestaltet werden soll. Die meisten Gäste ziehen es allerdings vor, direkt mit den Mitgliedern der Projektgruppe über die Aktion ins Gespräch zu kommen.
Bilder und Klänge statt vieler Worte
Unter den Zuschauern ist auch Krzysztof Albin, der Mitbegründer und Sprecher der „Orangen Alternative“ in Wrocław war. Am Vorabend der Aktion hatte er in Halle Dokumentarfilme über die antikommunistische Opposition im Polen der 80er Jahre gezeigt. Ihn hat das Echo dieses „sehr breslauerische Phänomens“ in Halle positiv überrascht. Während der Aktion der „Orange Bananas“ war er in der Fußgängerzone unterwegs und machte Fotos. „Bilder sind wichtiger als Texte und Reden“, sagt er. Das Happening hier in Halle funktioniere, die Leute machen mit, so sein Fazit. Dann muss er weiter, auf die Suche nach den besten Motiven.
Kommunikation ohne Worte ist auch für Monika Marek an diesem Tag das Mittel der Wahl. Die 25-jährige Grafikdesignerin aus Lublin mischt sich trotz fehlender Deutschkenntnisse unter die Passanten. Mal drückt sie einem jungen Mann eine ihrer beiden Rasseln in die Hand und ermuntert ihn zu einem Rhythmusspiel, mal animiert sie Kinder, Seifenblasen über den Platz zu pusten. „Wir wollen die Leute auf ihrem Weg eine Weile aufhalten, sie neugierig machen und sie zur Kommunikation ermuntern“, erklärt Marek.
Das Resultat sei großartig, fügt sie begeistert hinzu. „Ich war auf das Stereotyp des verschlossenen Deutschen vorbereitet“, gesteht Marek. Stattdessen sei sie auf sehr offene Menschen gestoßen. „Ich glaube, die Leute in Halle mögen unser Happening“, sagt sie.
Diesen Eindruck teilt auch Ćwieląg. „Die Leute haben Interesse gezeigt und nachgefragt“, resümiert sie. Die zurückhaltenden Reaktionen, als die Styropormauer aufgebaut wurde, hatte sie erwartet. „Aber an unserer ‚Kontrolle‘ haben dann doch die meisten Menschen gelächelt.“
Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit der Robert Bosch Stiftung entstanden.
Informationen zum Programm Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa finden Sie unter www.moe-kulturmanager.de.