Serbien

Kosovo ist für Bevölkerung kein vorrangiges Thema

Mehr als zwei Drittel der Serbinnen und Serben wollen unter keinen Umständen einen erneuten Krieg um das Kosovo. Zu den 12 Prozent, die zu einem Waffengang bereit sind, zählen vor allem Rentner und Hausfrauen.

Der Streit um die abtrünnige südserbische Provinz Kosovo ist für die Bürgerinnen und Bürger Serbiens weit weniger wichtig als für deren Regierung. Dies ergab eine kürzliche Umfrage des Belgrader Zentrums für freie Wahlen und Demokratie (CeSID). Auf der Liste der vorrangigen Themen, mit denen sich die serbische Regierung nach Ansicht der Befragten beschäftigen sollte, befindet sich die Kosovo-Frage nur auf dem fünften Platz. Weit wichtiger sind den Serbinnen und Serben die wirtschaftliche Entwicklung, die Verringerung der Arbeitslosigkeit, die Erhöhung des Lebensstandards und die Bekämpfung von Kriminalität und Korruption. Zwar lehnt auch die serbische Führung eine bewaffnete Auseinandersetzung um das Kosovo klar ab. Doch in seiner Regierungserklärung von Mitte Mai hatte Ministerpräsident Vojislav Kostunica die Verteidigung des Kosovo mit allen politischen und diplomatischen Mitteln zur wichtigsten Aufgabe der neuen Regierung erklärt. Seitdem kennt die serbische Polit-Elite in der Öffentlichkeit kaum mehr ein anderes Thema.

Obwohl 70 Prozent der Serbinnen und Serben einen Beitritt ihres Landes zur Europäischen Union grundsätzlich unterstützen, würde fast die Hälfte der Befragten auf die EU-Integration verzichten, wenn dadurch das Kosovo innerhalb der Grenzen Serbiens zu halten wäre. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, erklären die CeSID-Meinungsforscher damit, dass für die Bürgerinnen und Bürger Serbiens noch kein konkreter Nutzen von der EU sichtbar sei. "Europa ist weit davon entfernt, in greifbare Nähe zu rücken. Auf der anderen Seite ist aber die Position zu Kosovo klar und sehr emotional aufgeladen", schreibt CeSID.

Am Donnerstag hatte der französische Außenminister Bernard Kouchner in Belgrad erklärt, ein EU-Beitritt Serbiens ohne Lösung des Kosovo-Problems sei ausgeschlossen: "Serbien kann nicht mit ethnischen Konflikten in die EU kommen". Damit verknüpfte erstmals ein führender Politiker eines EU-Landes eine mögliche EU-Mitgliedschaft Serbiens so direkt mit der Kosovo-Frage. Kouchner warb für den Plan des UNO-Sondergesandten Martti Ahtisaari, der für das Kosovo eine durch die EU überwachte Unabhängigkeit von Serbien vorsieht. Die serbische Regierung und ein Großteil der Bevölkerung lehnen dies kategorisch ab. Die Liberaldemokraten, die einzige Partei des Landes, die offen für eine Loslösung des Kosovo von Serbien eintritt, kam bei den Parlamentswahlen vom Januar gerade mal auf 5 Prozent der Stimmen.

Was den Umgang Serbiens mit denjenigen Staaten betrifft, die ein unabhängiges Kosovo anerkennen, ist die serbische Öffentlichkeit gemäß CeSID-Umfrage gespalten. 39 Prozent fordern, die diplomatischen Beziehungen mit diesen Ländern abzubrechen, 36 Prozent wollen dies nicht. Über die Hälfte der Befragten ist aber nicht bereit, wegen des Kosovo materiellen Verzicht oder ein Sinken des Lebensstandards hinzunehmen. Einen neuerlichen Krieg um die von knapp zwei Millionen Menschen, vor allem ethnischen Albanern, bewohnte Provinz lehnen gar 70 Prozent der Serben eindeutig ab. Nur knapp jeder Achte - unter ihnen vor allem Hausfrauen und Rentner - gab an, Serbien müsste im Falle einer Unabhängigkeit des Kosovo mit Waffengewalt gegen die Kosovo-Albaner und die internationale Gemeinschaft vorgehen. Der Generalstabschef der serbischen Armee, Zdravko Ponos, ließ unterdessen verlauten, die Streitkräfte würden ausschließlich auf Anweisung der politischen Führung des Landes in den Kosovo-Konflikt eingreifen. "Der Staat hat das Monopol der Gewaltanwendung. Die Armee hat nicht das Recht, eine eigenständige Politik zu führen", sagte Ponos.

Laut CeSID-Umfrage ist der proeuropäische Staatpräsident Boris Tadic zurzeit der populärste Politiker in Serbien. Auf den zweiten Platz kam der Fraktionschef und Vizevorsitzende der ultranationalistischen Radikalen, Tomislav Nikolic, gefolgt vom nationalkonservativen Premierminister Vojislav Kostunica. Besonders hoch ist derzeit die Politikverdrossenheit in Serbien. 62 Prozent der Befragten sind der Meinung, keinerlei Einfluss auf die Politik zu haben, fast die Hälfte betrachtet die Demokratie als träge und ineffizient. Damit erklären sich die Meinungsforscher auch die niedrige Beteiligung bei den Parlamentswahlen vom Januar, die bei lediglich 60 Prozent lag.


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