Polen

Schwere Regierungskrise in Warschau

Nach der Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Lepper droht der Koalitionsbruch

Warschau/Danzig  (n-ost) -  Das Chaos in Kaczynskis Kabinett spitzt sich zu. Am Montagabend entließ Premier Jaroslaw Kaczynski seinen stellvertretenden Ministerpräsidenten und Landwirtschaftsminister. Der Vorwurf: Lepper soll in eine Korruptionsaffäre verwickelt sein. Seine Partei Samoobrona fordert nun Beweise für die Anschuldigungen und droht mit Koalitionsbruch.

Aufregung im polnischen Parlament: Nach der überraschenden Entlassung des stellvertretenden Ministerpräsidenten Andrzej Lepper von der radikalen Bauernpartei am Montagabend steckt die Regierungskoalition in einer schweren Krise. Andrzej Lepper hatte in einem Interview mit dem polnischen Nachrichtensender TVN24 noch am Montagabend angekündigt, dass seine Partei Samobrona (Selbstverteidigung) die Koalition mit Kaczynskis nationalkonservativer Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) verlassen wird.

Doch seine Partei will nun nach langen Diskussionen am Dienstag doch in der Koalition bleiben - zunächst ohne ihren Chef Lepper. "Bis Freitag sollen Beweise für meine Schuld der Öffentlichkeit präsentiert werden", sagte Lepper und betonte: "Ich habe niemals Schmiergelder gefordert noch angenommen."

Premier Kaczynski hatte am Montagabend seinen Stellvertreter entlassen, weil er in "kriminelle Tätigkeiten verwickelt" sein soll, der Regierungssprecher Jan Dziedziczak sprach von einer Korruptionsaffäre. Zuvor war bereits der Sportminister Tomasz Lipiec (Partei Recht und Gerechtigkeit) zurückgetreten.

Im Falle Leppers geht es nach Angaben des Zentralbüros zur Bekämpfung von Korruption (CBA) um ein fast 40 Hektar großes Grundstück in der Nähe von Mragowo, sehr gut gelegen an einem See in den Masuren im Nordosten Polens. Das Ackerland sollte in Bauland umgewandelt werden - dabei sollen Schmiergelder in Millionen-Zloty-Höhe geflossen sein.

Lepper soll davon gewusst haben, so Kaczynski. "Es gibt genug Anzeichen, dass Lepper beteiligt war", sagte der Premier. Sollte sich sein ehemaliger Vizeminister jedoch als unschuldig erweisen und Samoobrona in der Regierungskoalition bleiben, könne Lepper in die Regierung zurückkehren. Das hatte dieser aber bereits kategorisch angelehnt: "In diese Regierung kehre nicht zurück", sagte er in einem Interview mit TVN24 und fasste sich dabei an sein Herz. Am Dienstag sprach er nun davon, dass er sich nicht vorstellen könnte, als Landwirtschaftsminister zurückzukehren, aber nicht ausschließen könne,  "in einer anderen Position" in die Regierung einzutreten.

Lepper wurde bislang noch nicht angeklagt. An der Korruptionsaffäre sind auch andere beteiligt: Das Zentralbüro zur Bekämpfung von Korruption (CBA) hatte am Sonntag zwei mutmaßliche Täter verhaftet. Lepper bestreitet Kaczynskis Vorwürfe: "Ich bin Opfer eines unsauberen, politischen Spiels."

Ein politisches Spiel wäre möglich, sagt der Politologe Jaroslaw Och von der Danziger Universität, allerdings sei ihm nicht klar, warum Lepper zu diesem Zeitpunkt entlassen wurde. Allerdings stehe Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit für den Kampf gegen Korruption, der die Grundlage für einen gesunden Staat sei, "Für diesen Kampf würde der Premier wohl auch seine Macht opfern", vermutet Och.

Derzeit verfügt Kaczynskis Regierungsbündnis über 224 von 460 Abgeordnetenmandaten, wird aber darüber hinaus von einer Gruppe rechtskonservativer Abgeordneter unterstützt. Wenn die Samoobrona die Koalition verlassen würde, würde der Premier seine Mehrheit im Sejm verlieren und damit seine Regierung auseinanderbrechen.

Bei einem Ende der Koalition wäre die Regierung ohne die 46 Abgeordneten des bisherigen Partners weit von einer Mehrheit entfernt und damit nicht arbeitsfähig, sagt der Politikexperte Och: "Bei der starken Opposition wäre diese Minderheitenregierung nicht möglich, es würde zu einer Blockade und damit Stillstand in Polen kommen."

Kaczynski schließt Neuwahlen im Herbst nach der sechswöchigen Parlamentspause nicht aus. Die Hoffnung: Dann könne sich die politische Aufregung langsam gelegt haben. Nach neuesten Umfragen würde die PiS am Dienstag 27 Prozent der Wählerstimmen bekommen, die Oppositionspartei Bürgerliche Plattform (PO) 30 Prozent.  Samoobrona würde demnach die 5-Prozent-Hürde nicht schaffen. Das ist wohl ein Grund, warum die Partei nun überlegt, doch in der Regierungskoalition zu bleiben. "Natürlich gibt niemand die Macht ab, wenn er weiß, wie gut sie schmeckt", sagt Och.
Polnische Politik sei schwer vorherzusagen: Kaum einer habe damit gerechnet, dass nach der Entlassung Leppers seine Partei erst einmal weiter regieren würde.

"Ein Chaos, ich verstehe gar nichts mehr. Wenn Neuwahlen wirklich kommen sollten, wen soll ich dann wählen?", sagt Taxifahrer Bronislaw Witkiewicz aus Danzig, der die Informationen per Radio verfolgt. Schockiert sei er, dass sich Landschaftsminister Lepper womöglich habe bestechen lassen. "Immer nur Affären, es fehlt Polen an guten Politikern, die nicht nur an Geld und Macht interessiert sind."

Lepper hat bereits zum zweiten Mal seinen Posten verloren: Er war im vergangenen Herbst wegen Kritik an der Regierung gefeuert worden. Wenige Wochen später holte Kaczynski ihn und seine radikale Samoobrona allerdings wieder ins Kabinett - und wendete damit die Regierungskrise ab.

Seit Oktober 2005 hatte die polnische Regierung zwei Ministerpräsidenten, fünf Finanzminister, zwei Schatzminister, zwei Außenminister und zwei Verteidigungsminister - und bekommt jetzt wohl einen neuen, zweiten Sportminister und wohl auch einen neuen Landwirtschaftsminister.

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