Bosnien-Herzegowina

2D im Niemandsland

„Wir wollen einen Trickfilm!“ – an der lautstarken Forderung erkennt Emir Malicevic seine liebsten Gäste. Dann sortiert der Kinovorführer den Stapel neben einem DVD-ähnlichen Gerät, knipst das Licht aus und drückt auf die Fernbedienung. Ein Stockwerk tiefer beginnt ein Disney-Streifen über die Leinwand zu flimmern, durch eine kleine Luke kann Malicevic das kichernde Publikum beobachten. „Die Kindervorstellungen laufen am besten“, sagt er. Ohne die Kinder ist sein Kino leer.

Seit einem Jahr hat die 55.000-Einwohner-Stadt Travnik in der Mitte Bosniens wieder ein Kino. Genau genommen ist es das Haus der Armee, das städtische Kulturzentrum. Mit Hilfe der Travniker Partnerstadt Leipzig hat das Haus ein Vorführgerät bekommen, das ohne Schärfenverlust über den 27 Meter langen Zuschauerraum projiziert. Das Gerät, so groß wie ein DVD-Spieler, ist Malicevics ganzer Stolz. „Kurz nachdem wir das Kino eröffnet haben, waren Leute vom Filmfestival in Sarajevo hier“, erzählt er. „Sie waren sehr erstaunt über so ein modernes Gerät – so eins hatten sie sich gerade selbst angeschafft.“

Sarajevo und das Filmfestival, das in diesem Jahr vom 22.-30. Juli stattfindet, sind der Maßstab. Seit Danis Tanovic 2001 mit seinem Kriegsfilm „No Man's Land“ den Auslandsoscar gewann, und Jasmila Zbanic in Berlin 2006 mit „Esmas Geheimnis“ den Goldenen Bären abräumte, hat der bosnische Film international wieder einen Namen. Beim Internationalen Filmfestival in Bosniens Hauptstadt steigen die Besucherzahlen. Zbanics Film „Zwischen uns das Paradies“ lief auf der Berlinale 2010 im Wettbewerb, und erlebte auch in Malicevics kleinem Kino eine Premiere. Der Vorführer hatte die Regisseurin und ihr Schauspielerteam eingeladen, es gab Blumen und ein Filmgespräch in dem kleinen Cafe, wo sich früher Funktionäre und Generäle trafen. „Das Kino war brechend voll“, erinnert sich Malicevic ein bisschen wehmütig. Denn ausverkaufte Kinovorstellungen sind in Travnik selten. Malicevic gibt nur zwei Vorstellungen pro Woche: Freitagabend die Erwachsenen, Samstagvormittag die Kinder. Drei bosnische Mark kostet die Vorstellung für Erwachsene, umgerechnet 1,50 Euro, weniger als eine Schachtel Zigaretten. In den Vorstellungen für Erwachsene sitzen üblicherweise 10 bis 20 Leute.

Einen halben Kilometer vom Haus der Armee entfernt steht das alte Kino von Travnik, erkennbar durch kaputte Leuchtschrift und Glaskästen, in denen auch Malicevic seine Filmplakate aufhängt. Seit 1991 eine Granate explodierte, regnet es durch das Dach. 20 Jahre lang gab es in Travnik kein Kino. 2001 wurde, ebenfalls mit Hilfe der sächsischen Städtepartner, dann auf der alten Burg ein Freilichtkino installiert.

Damit ist Travnik im Vergleich zu anderen bosnischen Städten gut ausgestattet. In ganz Bosnien gibt es insgesamt nur drei Mutiplexe, das nächstgelegene in Zenica ist eine Stunde Busfahrt entfernt. Nach Sarajevo ist man zwei Stunden unterwegs, nach Mostar einen halben Tag. Malicevic spielt eine Mischung aus Hollywood und bosnischem Film, Thriller und Liebeskomödien laufen am besten. „Die Leute suchen Zerstreuung, sie wollen vergessen“, sagt er. Die Filme bekommt er als Nachspiel aus Zenica. Natürlich ist das Haus der Armee kein Premierenkino und kein Multiplex, doch der Vorführer sieht das Problem woanders.

„Die Leute wissen gar nicht mehr, was das ist – Kino“, sagt er. „Sie gehen lieber ins Café und hören Turbofolk.“ Diese Songcontest-kompatible Dudelmusik gilt der alternativen Kulturszene als Symbol des Niedergangs. Wer einen Film sehen möchte, kauft Raubkopien oder lädt ihn im Internet herunter. Regisseure und Schauspieler konzentrieren sich in der Hauptstadt. Das Filmfestival in Sarajevo sei eine Ausnahmeerscheinung, meint der Journalist Kenan Kavazovic. „Dort gibt es noch eine städtische Kultur.“ In Städten wie Travnik habe sich die Bevölkerung seit dem Krieg verändert. Die Jugend zieht fort, aus den umliegenden Dörfern kommen die Bauern nach Travnik. „Diese Leute gehen abends nicht mehr weg“, erklärt Enes Skrgo, Leiter des Travniker Heimatmuseums. „Travnik wird dörflicher.“

Unerwartete Schützenhilfe bekommt Malicevic jetzt von einem neuen Gesetz, das den Verkauf illegal gebrannter Medien seit dem 1. Juni verbietet. Die DVD-Stände an den Bahnhöfen könnten bald verschwinden. „Aller Anfang ist schwer“, sagt Malicevic. „Aber den Kindern bringen wir etwas für die Zukunft bei!“ Und diese Zukunft hat der umtriebige Lehrer schon genau geplant: Er will das alte Travniker Kino wieder aufbauen, mit einem Multimediasaal wie in einem Multiplex: Damit auch Travnik ein 3-D Kino bekommt.


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