Unternehmen wollen vom Emissionshandel profitieren
Moskau (n-ost) - Jahrelang rottete im nordrussischen Städtchen Onega eine Deponie mit Sägespänen vor sich hin. Aus den Holzresten entwichen große Mengen Methan in die Atmosphäre. Nebenan verheizte ein Wärmekraftwerk Kohle und blies Kohlendioxid in die Luft. „Trotzdem haben sich die beiden lange nicht gefunden“, sagt Thomas Kleiser. Der Meteorologe von TÜV Süd in München überwacht und zertifiziert international Projekte, die den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 und Methan reduzieren sollen. Seit kurzem verheizt das Kraftwerk in Onega bei Archangelsk nun die Holzreste des benachbarten Sägewerks in neuen Boilern. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Sägespänenberge werden abgetragen, die Methangas-Emissionen Schritt für Schritt abgebaut. Obendrein ist die Verbrennung der Späne klimaneutral: Es wird nur jene Menge an CO2 freigesetzt, die die Bäumen einst in ihrem Lebenszyklus aufgenommen haben.
Wenn alles klappt, kann Onega die Einsparung an Treibhausgasen sogar teuer verkaufen. Möglich wird dies durch das Klimaabkommen von Kyoto. Darin sind verschiedene Verfahren festgelegt, wie Schadstoffe durch weltweiten Handel vermindert werden können. Der Grundgedanke ist denkbar einfach: Die beteiligten Unternehmen bekommen Zertifikate zugeteilt. Pusten sie mehr CO2 in die Umwelt, müssen sie Zertifikate zukaufen – von Unternehmen, die weniger CO2 abgeben und damit Zertifikate verkaufen können. Soll heißen: Wer seinen alten Schlot durch eine umweltfreundlichere Anlage ersetzt, bekommt womöglich Geld, und zwar von dem, der seinen Schlot weiter betreibt.
Russland hat im November 2004 das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und sich darin verpflichtet, bis 2012 seine Treibhausgase um mehr als fünf Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zurückzufahren. In Russland selbst war dieses Abkommen lange umstritten. Kritiker befürchteten, Umweltschutzauflagen könnten das Wirtschaftswachstum ausbremsen. Andererseits liegen die Emissionen wegen des Zusammenbruchs der staatlichen sowjetischen Industrie heute ohnehin um mehr als 30 Prozent niedriger als 1990. Daher könnte Russland zunächst profitieren und nicht ausgeschöpfte Emissionsrechte an andere Staaten verkaufen. Das Problem: Für diese Rechnung wird kein einziges Projekt zur Minderung von Treibhausgasen auf die Beine gestellt. Fachleute nennen das den „Hot Air“-Effekt. Durch ihn steigt die Menge der weltweit erlaubten Emissionen im Gegensatz zu einer Situation ohne Handel an, was die Ziele von Kyoto ins Gegenteil verkehrt.
Immer mehr Abnehmer kaufen jedoch nur noch solche Zertifikate, hinter denen auch tatsächlich konkrete Klimaschutzprojekte stehen. „Mittelfristig könnte Kyoto oder eine Nachfolgevereinbarung ab 2012 auch Russland schmerzen“, meint Kleiser. Denn auch in Russland zieht Wirtschaft seit einigen Jahren wieder an, setzen Industriebetriebe wieder mehr Kohlendioxid frei. Experten schätzen, dass das Land noch drei Milliarden Tonnen CO2 „in der Reserve“ hat, um die vereinbarten Kyoto-Grenzen bis 2012 nicht zu überschreiten.
Dass etwas getan werden muss, ist auch dem Kreml klar. Ende Juni stellte der russische Vize-Wirtschaftsminister Andrej Scharonow 29 Klimaschutzprojekte vor, die in Russlands Emissionsbilanz eingerechnet werden sollen. So planen die Erdgaslieferanten in Tula, Kursk, Belgorod, Orjol, Stawropol, Rostow und Wolgograd, ihr leckendes Leitungsnetz abzudichten. In Chabarowsk soll ein Kraftwerk von Kohle- auf Gasfeuerung umgestellt werden, in den Stahlwerken von Nowotrozk im Südural soll energieeffiziente Technik die Ressourcen schonen.
„Russland hat gewaltige Einsparpotentiale“, sagt Kleiser, „aber leider auch zähe bürokratische Prozeduren, die solche Projekte oftmals unnötig in die Länge ziehen.“ Tausende Kommunen versorgten ihre Einwohner durch leckende und schlecht gedämmte Heißwasserleitungen, allein in den kommunalen Heizsystemen ließe sich die Effizienz um bis zu 60 Prozent steigern. Auch das in den Kohleminen anfallende Grubengas Methan entweicht bisher oft in die Atmosphäre: „Dabei ist dieses Gas durchaus nutzbar, teilweise sogar als Treibstoff für Baugeräte und Fahrzeuge unter Tage selbst“, erklärt der TÜV-Experte.
Noch sind alle 29 russischen Projekte in der Warteschleife. Sie werden von unabhängigen Organisationen überprüft und veröffentlicht. Betroffene, Anwohner, Umweltschutzorganisationen, Emissionskäufer und alle Interessierten konnten und können die jeweiligen Vorhaben begutachten und kommentieren. Erst wenn der Zertifizierungs-Prozess abgeschlossen ist, kann der Handel mit den Emissionspapieren beginnen. Das Städtchen Onega darf sich dann berechtigte Hoffnungen machen, die Investition für die neuen Sägespänen-Boiler wieder reinzuholen.
Alle 29 russischen Projekte sind unter http://ji.unfccc.int/JI_Projects/Verification/PDD abrufbar.
*** ENDE ***
Alexander Heinrich