Das Vergnügen Einsamkeit
Sandstrände, Hotelburgen, Menschenmassen: Sie sucht man an Bulgariens nördlicher Schwarzmeerküste vergebens. Hier hat eine schroffe Steilküste die langen Sandstrände der Touristenorte abgelöst. Ein lauer Meereswind streicht über die Steppengräser des Küstenplateaus. Schwarz-weiß gefleckte Kühe trotten gemächlich am Felsrand entlang. Ein Hirte wandert über die grüne Ebene; er lässt seine Ziegen an den frischen Frühlingsblumen knabbern.
Höhlenklettern an der Küste / Iris Hipfl, n-ost
Fast keine Menschen, geschweige denn ausländische Urlauber, verschlägt es hierher. Eigentlich schade. Oder auch nicht. Denn sonst würden auch die Dörfer hier im Touristen-Trubel der übrigen Küste versinken.Sonnenstrand, Goldstrand und Albena sind die bekannten Urlaubsorte aus den Katalogen der Reiseveranstalter.
Weitere Informationen
Lage: Kap Kaliakra liegt 70 km nördlich der Schwarzmeermetropole Varna und 50 km vom Ferienort Goldstrand entfernt. Vom Kap Kaliakra sind es noch 50 km bis zur rumänischen Grenze. Die Grenze in den rumänischen Ort Vama Veche kann passiert werden. Um in die Dörfer zu gelangen, benötigt man einen PKW.
Anreise: Ab Berlin, Köln, Frankfurt, Düsseldorf und München nach Varna mit Air Berlin: www.airberlin.de. Ab Berlin und Köln mit Germanwings: www.germanwings.de. Ab Frankfurt oder Köln über Sofia mit Bulgaria Air, ab Wien Direktflug nach Varna: www.air.bg. Während der Sommersaison günstige Charter-Angebote: www.billigflieger.de. Mehrere Autovermietungen am Flughafen Varna, z.B.: www.avis.bg
Einreise: Gültiger Reisepass
Reisezeit: Mai bis Oktober
Währung: Bulgarischer Lev; 2 Leva = 1 Euro
Übernachtung: Privatquartiere in Balgarevo und Kamen Briag: 5-10 Euro/Person, Hotel Dolphin in Tiulenovo, Nobel-Ressort Russalka: www.russalka-holidays.com
Verständigung: Die meisten Bulgaren sprechen ein paar Worte Deutsch oder Englisch. Ein Bulgarisch-Sprachführer ist ein guter Reisebegleiter. Z.B. „Bulgarisch Wort für Wort“ (Elena Engelbrecht, Reihe Kauderwelsch, Verlag Reise Know-how).
Infocenter: Besucherzentrum „Kaliakra“ in Balgarevo, Kontakt: Nadja Sarandeva (spricht Deutsch), Tel. +359 896 798912, +359 887 378786 Archäologisches Gebiet „Jailata“: www.yailata.info
Reiseveranstalter: Reisebüro „Odysseia In“, Sofia: Kultur- und Aktivurlaub, www.odysseia-in.com, Tel: +359 2 989 05 38
Allgemeine Informationen: www.bulgariatravel.org, Bulgarisches Fremdenverkehrsbüro in Frankfurt. Tel: 069 29 52 84
Tourismus ist eine wichtige Einnahmequelle für die bulgarische Wirtschaft, er macht immerhin elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Nach einem Tief zu Beginn der 90er Jahre kommen nun stetig mehr Urlauber ins Land – hauptsächlich ans Schwarze Meer. So schön die kilometerlangen, feinsandigen Strände auch sind: Mittlerweile setzt der Massentourismus dem Ökosystem durch wilde Verbauung, fehlende Abwassersysteme und mangelhafte Müllentsorgung ganz schön zu.
Die Landzunge zwischen dem Kap Kaliakra und dem Kap Schabla ist dagegen wie aus der Zeit geworfen. Sie liegt etwa eine Autostunde vom Ferienort Goldstrand entfernt und versteckt sich jenseits der Schnellstraße E 87. Am Kap Kaliakra lässt sich ein erster Hauch von Beschaulichkeit schnuppern. Das felsige Kap mit seinen 70 Meter hohen Klippen ragt weit ins Schwarze Meer hinein und ist ein Naturschutzgebiet. Zwar wird es von vielen Touristenbussen besucht; dennoch lohnt ein kurzer Stopp – der fabelhaften Aussicht wegen.
Historisch interessant wird es ein paar Kilometer weiter nördlich: Das archäologische Reservat „Jailata“ zieht sich als weitläufiges Plateau am Meer entlang. Im Frühsommer übersät ein Blumenteppich aus dunkelroten wilden Pfingstrosen und gelben Junkerlilien das satte Grün, Vögel trällern lauthals vor sich hin. Hier sind Felsengräber, frühere Höhlenwohnungen und Reste einer byzantinischen Festung zu sehen.Wer nach so viel Geschichts-Hopping hungrig geworden ist, sollte im lauschigen Gasthaus „Trite Kestena“ im Ort Kamen Briag einkehren. Der Wirt mit dem Namen Kosjo – seinen Nachnamen verrät er erst gar nicht – ist aufgrund der Frage nach frischem Fisch beinahe beleidigt. „Alles ist frisch hier, und nicht tiefgekühlt!“, entgegnet er und empfiehlt Karagjoz und Lefer – Donauhering und Blaubarsch.
Auch die Lieblingsfischgerichte der Bulgaren fehlen nicht auf der Karte: Popcheta und Zaza – Grundeln und Sprotten. Letztere isst man mit bloßen Fingern – und, weil sie so klein sind, mit ihrem gleich Kopf dazu. Dazu wird Salat und Rakia serviert – bulgarischer Traubenschnaps, den man in Schlückchen nippt.
Beim Thema Übernachten hilft der freundliche Wirt weiter. „Geht doch zu Baba Minka“, sagt er und deutet auf ein Haus ein paar Meter weiter. Wie gut, dass Oma Minka auch zu Hause ist: eine rüstige 84-jährige Frau mit weißem Haar und flinkem Gang. Im Obergeschoss, direkt unter dem Dach, hat sie noch ein einfaches Zimmerchen frei.In der Früh taucht die Sonne aus dem Meer empor und blinkt das 50-Seelen-Dorf an. Als hätte Kamen Briag einen privaten Weckservice bestellt. Bald darauf werkelt Oma Minka fleißig im Gemüsegarten – mit der Ernte versorgt sie ihre Kinder und Enkelkinder, die in der Stadt leben.
Ein paar Kilometer weiter nördlich liegt Tiulenovo. Im kleinen Hafen, gesäumt von Klippen, probieren zwei Fischer ihr neues Boot mit Elektromotor aus. Einige der alten Leute können sich noch an die Robben erinnern, die hier einst im Meer gelebt haben. „Tiuleni“ heißen die Tiere auf Bulgarisch, das Dorf trägt ihren Namen.Heute ist Tiulenovo vor allem bei Abenteurern und Extremsportlern beliebt: Es gibt eine Vielzahl an Höhlen, auch solche, die nur vom Meer zugänglich sind, Felsnischen, in denen besonders Wagemutige ihr Nachtlager aufschlagen, um den Sonnenaufgang zu erleben, und Steinformationen, die in sonderbaren Formen aus dem Meer herausragen.
Dann, am Kap Schabla, dem östlichsten Punkt Bulgariens, hält ein etwas kurz geratener rot-weiß gestreifter Leuchtturm Wache. Hier endet die Steilküste. Doch die Ruhe bleibt Reisebegleiter: Hier stört der Besucher höchstens die Vögel, die in den beiden meernahen Schilfseen von Schabla und Durankulak zu Hause sind. Von Schablas einsamen, kilometerlangen Sandstrand aus betrachtet, ist die Beschaulichkeit noch lange nicht zu Ende.