Russland

Die Wiedergeburt des russischen Films

Moskau (n-ost) -  Der Fantasy-Thriller „Wächter der Nacht“ brach bei seinem Filmstart 2004 in Russland alle Rekorde, fünf Millionen Kinogänger wollten die Genre-Mischung aus Action, Horror und Science-Fiction sehen. Der zweite Teil der Fantasy-Trilogie – „Wächter der Tages“ – erreichte dann 2006 in seiner Heimat sogar acht Millionen Zuschauer und schlug damit sogar den „Herrn der Ringe“ aus dem Feld. Als erster Blockbuster aus dem Osten schaffte „Wächter der Nacht“ auch den Sprung in westeuropäische und amerikanische Kinocharts. Der Filmstart des zweiten Teils der Trilogie in Deutschland ist in diesem Herbst.

Die Spezialeffekte der Wächter-Filme entstanden in den Studios von Mosfilm, einer regelrechten Filmstadt im Herzen Moskaus, die für die Ära des berühmten sowjetischen Films steht. Eisenstein, Tarkowski und Bondartschuk drehten hier ihre Filmklassiker. Heute sind die Mosfilm-Studios mit der Produktion von Kinofilmen und Fernsehserien ausgebucht. Noch vor zehn Jahren sah das ganz anders aus: Mosfilm war im Prinzip genauso pleite wie der gesamte russische Staat, erinnert sich Direktor Karen Schachnasarow: „Die russische Filmindustrie hat nach dem Zerfall der Sowjetunion praktisch aufgehört zu existieren“, erzählt der Mosfilm-Chef, schwarz gekleidet und mit dunkler Kunststoffbrille auf der Nase. „In jener Zeit ging quasi eine ganze Generation von Filmschaffenden verloren.“ Und mit ihnen die meisten der landesweit fast 3000 Lichtspielhäuser.

Das einzige Pfund, mit dem Direktor Schachnasarow damals wuchern konnte, waren die Rechte an alten sowjetischen Filmen. Die verkaufte er peu a peu an Russlands neue Fernsehsender und hievte die alte Dame Mosfilm so langsam aber sicher aus den roten Zahlen. Ende der 90er Jahre begann so etwas wie der zweite Frühling der russischen Filmindustrie. „Zum einen fing der Staat an, Ende der 90er Jahre die Filmindustrie zu subventionieren“, erinnert sich der Mosfilm-Direktor. Zudem entstanden viele neue Fernsehkanäle, die Serien produzierten und auch ins Kino investierten. Mit dem Geld, das so in die Mosfilm-Kassen gespült wurde, schaffte Schachnasarow vor allem neue Technik an. „Da waren wir 30 Jahre zurück. Die letzten Kameras waren 1980 angeschafft worden, als in Moskau die Olympiade stattfand.“ Heute könne man durchaus mit westlichen Studios mithalten.

Doch kaum war der drohende Bankrott abgewendet, drohte den Studios neue Ungemach: Die russische Regierung schnürte ein Privatisierungspaket, und auch Mosfilm sollte verkauft werden. „Jeder private Investor hätte die Studios abgerissen und Wohnhäuser und Supermärkte gebaut“, ist sich Schachnasarow sicher. Doch alles kam anders.

Die wichtige Entscheidung gegen die Privatisierung aus dem Herbst 2003 ist eindrucksvoll dokumentiert durch den Handschlag zweier Männer: des Mosfilm-Direktors und des mächtigen Präsidenten der Russischen Föderation. Das Foto hängt wie eine Ikone über Schachnasarows Schreibtisch. Wladimir Putin besuchte Mosfilm genau zu jenem Zeitpunkt, als die Privatisierung praktisch vor der Tür stand. „Wir gingen über das Gelände, ich zeigte ihm die ganzen Kulissen. Er fragte: Was halten Sie von der Privatisierung? Keine gute Idee, sagte ich. Darauf Putin: Dann wollen wir da nichts überstürzen. Das war’s.“ Schon am nächsten Tag wies der Präsident die zuständigen Stellen an: Mosfilm bleibt in Staatshand.

Heute boomt die russische Filmindustrie wie in ihren besten Zeiten. Über 100 Kinos eröffnen jährlich neu, der russische Kinomarkt zählt damit zu den am schnellsten wachsenden weltweit. Inzwischen haben sogar Hollywood-Studios wie 20th Century Fox Zweigstellen an der Moskwa eröffnet, um dort zu produzieren, unter anderem auch den „Wächter des Zwielichts“ als letzten Teil der erfolgreichen Fantasy-Trilogie.

Im Windschatten der profitablen Blockbuster a la Hollywood werden aber auch zunehmend künstlerisch anspruchsvolle Produktionen gewagt. Im Mosfilm-Studio Nr. 3 etwa verfilmt der deutsche Regisseur Felix Schultes einen der großen klassischen Romane der russischen Literatur: Fjodor Dostojewskis „Dämonen“. „Das ist eine Gegenentwicklung zu den seichten Soaps, die in den letzten Jahren hier verfilmt worden sind, dass man plötzlich wieder gute klassische Stoffe aufgreift“, erzählt Schultes, der in Russland studiert hat und seitdem vor allem an russischen Theatern inszeniert.

Fantasy-Streifen wie „Wächter der Nacht“ sind laut Regisseur Schultes zwar wichtig, vor allem für die Wahrnehmung des russischen Kinos im Ausland.  Dessen eigentliche Stärke aber liege woanders. Das sieht auch Karen Schachnasarow so: „Ich glaube nicht, dass diese Blockbuster a la Hollywood die Zukunft des russischen Kinos sind.“ Vielmehr sei das russische Kino immer noch auf der Suche nach seinem eigenen Gesicht. „Wir waren immer schlecht darin eine Story zu erzählen, das können die Amerikaner gut.“ Der russische Film hingegen lebe von starken Bildern, so wie es zu Zeiten des sowjetischen Films war, der große Persönlichkeiten wie Tarkowski hervorgebracht habe.

In diesem Punkt sind sich übrigens Filmprofi und Kinogänger erstaunlich einig: „Der russische Film kommt von der Seele“, findet der 19-jährige Andrej, der vor einer Moskauer Kinokasse Schlange steht. „Amerikanisches Kino bedeutet Action. Beim russischen Film aber steht immer der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Handlung.“

 

Ende
 

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Christoph Kersting


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