Moldawien

28-Jähriger regiert Chisinau

Im drei Millionen Einwohner großen Moldau, einer ehemaligen Sowjetrepublik zwischen Rumänien und der Ukraine, deutet sich ein politischer Kurswechsel an: Die Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag brachten in der Hauptstadt Chisinau überraschend einen Triumph der westlich orientierten Jugend über das alt-kommunistische Establishment. In der Stichwahl setzte sich der erst 28-jährige Herausforderer Dorin Chirtoaca von der Liberalen Partei mit 61 Prozent der Stimmen gegen den 41-jährigen Kommunisten Veaceslav Iordan durch, auf den 38 Prozent entfielen. Damit haben die Moldauer nicht nur den wahrscheinlich jüngsten Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt (rund 700.000 Einwohner) bestimmt, sondern eine Entscheidung mit großer Signalwirkung getroffen.

Die Kommunisten erzielten bei den Kommunalwahlen ihr schlechtestes Ergebnis seit 1993 und verloren damit auch die Mehrheit im Stadtrat von Chisinau. Die Wahl Chirtoacas (sprich: Kirtoakä) ist als Votum für eine stärkere Integration Moldaus in Europa und eine Absage an Russland zu bewerten. Chirtoaca repräsentiert eine junge, nach Westen orientierte Generation, er selbst hat in Rumänien und kurzzeitig an der Pariser Sorbonne studiert.

Anders als in allen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken hat sich die kommunistische Partei in Moldau nach der Unabhängigkeit des Landes 1991 kaum neu orientiert und wirkt heute auch im osteuropäischen Vergleich ungewöhnlich antiquiert. Nach den politischen Wirren der 90er Jahre, die dazu führten, dass das Land nun seit rund einem Jahrzehnt wirtschaftlich das ärmste Land Europas ist, überraschte ihr Wahlsieg 2001 insbesondere die moldauischen Kommunisten selbst. Das eindeutig Russlandoriertierte Wahlprogramm von Anfang des 21. Jahrhunderts musste vier Jahre später zwar ebenso eindeutig als an Europa orientiert präsentiert werden, doch mit Hilfe der christdemokratischen Partei kann Vladimir Voronin, der Parteivorsitzende der kommunistischen Partei auf nationaler Ebene als Staatspräsident noch bis Frühjahr 2009 weiter machen.

Dass eine ungeläuterte kommunistische Partei die Regierung in einer ehemaligen Sowjetrepublik stellt, ist dabei zum aktuellen Zeitpunkt einmalig in der GUS. In den sechs Jahren ihrer Regierung ist die KPRM nicht untätig geblieben und hat nach und nach die Zensur der audiovisuellen Medien wieder eingeführt, politische Reformen zurückgenommen, Schulbücher neu geschrieben und die Arbeit der Opposition immer wieder stark behindert. Der Zustand, in dem sich das Land heute befindet, ist vorallem das Ergebnis ihrer Mannschaft von Bürokraten, die im Alter zwischen 50 und 70 sind und sich nicht mehr auf die neuen Bedingungen nach 1990 eingestellt haben.

Die langfristige Strategie der Kommunisten, mit Hilfe der älteren, noch zu Sowjetzeiten ausgebildeten Bevölkerungsschichten auf absehbare Zeit die Regierung in der Republik zu stellen, schien bis vor kurzem aufzugehen. Aufgrund der massiven Auswanderung der jüngeren Generation in westliche Länder auf der Suche nach Arbeit – die Rede ist von deutlich mehr als einer halben Millionen Menschen in den letzten zehn Jahren – entstand innenpolitisch kein ausreichender Druck auf die Regierung. Sie blieb ungefährdet, trotz ihrer Niederlagen in praktisch allen Prozessen (bereits mehr als 50) vor dem europäischen Menschengerichtshof in Den Haag. 

Als im Herbst 2005 nicht weniger als drei Anläufe scheiterten, die für die Anerkennung von Kommunalwahlen benötigte Mindestwahlbeteiligung zu erreichen, wurde in der Hauptstadt Chisinau kurzerhand ein kommunistischer Interimsbürgermeister ernannt. Als es den Kommunisten dann aber im November 2006 bei den Wahlen in dem Autonomiegebiet der Gagausen (einer turksprachigen Minderheit) trotz Versuchen der Wahlbeeinflussung nicht gelang, ihren Kandidaten als das dortige Regierungsoberhaupt, dem Baschkan, durchzubringen, war dies weit entfernt von der Hauptstadt auf dem Lande zunächst eine kleine Sensation.

Nach den gescheiterten Kommunalwahlen von 2005 war der für diesen Juni angesetzte neue Versuch von deutlich mehr Engagement von Seiten aller Parteien gezeichnet. Insbesondere durch das Anwenden einer Reihe von in diesem Land bisher ungekannten Techniken – Umzügen, Werbung an und in den Bussen und dem Einstellen von jungen Agitatoren mit T-Shirts im Parteilook – war der Wahlkampf von Beginn an lebendiger, aggressiver und farbenfroher. In dem grünen, von Alleen gesäumten Chisinau, dessen Leben zusehends mehr und mehr an die Vorzüge Südeuropas erinnert, war auf einmal nicht mehr klar, ob lautes Hupen die traditionellen Hochzeitsgesellschaften oder einen Wahlkonvoi ankündigten. Mit einer Zahl von nicht weniger als 18 verschiedenen Parteien sowie unabhängigen Kandidaten für den Stadtrat von Chisinau war gleichhin zu befürchten, dass die Zersplitterung der Opposition den Kommunisten in die Hände spielt. Diese tauschten trotz allem sogar noch zum Jahresanfang 2007 ihren Interimsbürgermeister aus, um sich mit einem anderen Kandidaten ein noch besseren Abschneiden zu sichern.

Im Nachhinein scheint sich genau dieser Schritt als fatal für die eigene Wahlkampfstrategie herausgestellt zu haben. Der eher farblose Kandidat der Kommunisten, Veaceslav Iordan, verweigerte sich von Anfang an allen öffentlichen Debatten im Rahmen des Wahlkampfes und fiel durch etwas unglückliche Wahlwerbung auf. Die Opposition machte sich lustig über den präsenzlosen, also „verschwundenen“ Kandidaten und über seine roten Bauhandschuhe, mit denen er auf den Wahlplakaten tatkräftiges Anpacken symbolisieren wollte. Die Liberale Partei, deren Kandidat Dorin Chirtoaca schon 2005 einigermaßen gut abgeschnitten hatte, hätte es wohl wesentlich schwerer bei einem anderen Kandidaten der Kommunisten gehabt. Hätte der zukünftige Bürgermeister der Hauptstadt zudem nicht den Bonus eines Politikneulings und Vertreter der jungen Generation gehabt, wäre er wohl kaum so weit gekommen. Angesichts des absehbar guten Ergebnisses für ihn hatten dann bereits kurz vor dem ersten Wahldurchgang auch die mit den Kommunisten in der Regierung paktierenden Christdemokraten durch gezielte Streuung eines Gerüchtes in ihren Medien – Chirtoaca habe kurzfristig seine Kandidatur zurückgezogen - versucht, dessen Stimmenanteil zu reduzieren.

Geholfen hat es ihnen indess nicht. Obwohl Iordan nach dem ersten Wahlgang mit 27 Prozent der Stimmen vorne lag, kam Chirtoaca mit 24 Prozent mühelos auf den zweiten Platz, während andere Kandidaten wie der ehemalige Premierminister Braghis auf die hinteren Plätze verwiesen wurden. Die Wahlbeteiligung von über 50 Prozent auf dem Land und um 35 Prozent in Chisinau ist dabei zwar noch nicht wirklich gut zu nennen, aber wenigstens ein Fortschritt gegenüber der politischen Apathie der Jahre zuvor.

Ganz überwiegend Chirtoaca ist es zuzuschreiben, dass sich die seit Jahren als apolitisch abgeschriebene Generation der jetzigen Studenten und Berufsanfänger motiviert sah, nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen, sondern gleichzeitig auch noch ihre Eltern zum Besuch der Wahllokale und die Unterstützung des Kandidaten ihrer Kinder auffordern konnte.            

Im Vorfeld der Stichwahl am vergangenen Sonntag wurde Chirtoaca von Anfang an vorbehaltlos von einer Reihe der anderen Oppositionsparteien unterstützt. Die Kommunisten versuchten auf den letzten Metern insbesondere die russischsprachige Bevölkerung zu mobilisieren; in der Tat empfahl der Vorsitzende der russischen Minderheit in Moldau seinen Artgenossen trotz persönlicher Abneigung gegenüber den Kommunisten für eben diese zu wählen, um ein Zurückschrauben der russischsprachigen Präsenz in dem Land entgegenzustehen.

Es überrascht, dass von Seiten der Kommunisten tatsächlich gar nicht oder kaum das Argument der fehlenden Kompetenz des Bürgermeisterkandidaten Chirtoaca benannt wurde und man nur auf seine Position als vermeidlicher Nationalist und Nutznießer von Nepotismus abhob. In der Tat ist Chirtoaca der Enkel vom Vorsitzenden seiner liberalen Partei, Mihai Ghimpu, der Anfang der 90er Jahre durch gewisse nationalistische Parolen aufgefallen war.

Trotz seines Elans ist fraglich, ob Chirtoaca mit seinen nicht einmal 29 Jahren über die nötige Erfahrung verfügt, um die Verwaltung einer Großstadt und gleichzeitig der Hauptstadt des Landes zu führen und das absehbar viele Entscheidungen von seinem Onkel beeinflusst werden dürften. Dem Jurist Chirtoaca, der als Person zwar intelligent, aber auch etwas steif und ungelenkig-unentspannt wirkt, wird es schwer fallen, den enormen Vertrauensvorschuss zu rechtfertigen. Chirtoaca gewann, weil er als Persönlichkeit einen politischen Neuanfang symbolisiert, seine Parteizugehörigkeit dürfte hingegen in einem Land, wo es je drei sich liberale und demokratische nennende Parteien gibt, keine Rolle gespielt haben. Das Problem eines Überangebotes von Parteien bleibt daher weiterhin ungeklärt, doch gelang es Chirtoacas Außenseiterkandidatur die Stagnation der mehr als ein Dutzend Parteien in Moldau eben gerade aufgrund seines Alters zu durchbrechen.

Der in diesen Tagen in Chisinau viel beschworene Anfang vom ‚endgültigen’ (damit war schon Anfang der 90er gerechnet worden) Ende der Kommunisten scheint noch verfrüht, andererseits wird deutlich, dass es den Kommunisten zusehends schwer fällt, noch junge Kandidaten zu finden und die Zahl der letzten sowjetgeprägten Männer und Frauen, die sich für die Kommunisten engagieren wollen, wird beständig kleiner.

Obwohl das Risiko besteht, dass Chirtoaca ein ähnliches Schicksal wie den christdemokratischen Parteiführer Iurie Rosca ereilt – ausgezogen als junger Reformer, heute Regierungspartner der Kommunisten – könnte seine Wahl 16 Jahre nach Erlangungen der Unabhängigkeit Moldovas das Land tatsächlich zu der von der Bevölkerung erwünschten europäischen Perspektive hinführen.


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