Serbien

Carla Del Ponte rechnet mit Mladic-Auslieferung

Seit Montag hält sich die 60-jährige Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals Carla Del Ponte auf Einladung der neuen Regierung Serbiens zu einem viertägigen Besuch in Belgrad auf. Sie will sich davon überzeugen, dass die Absichtserklärungen der serbischen Führung, nun vollständig mit dem Tribunal zusammenzuarbeiten, durch "konkrete Aktionen und Resultate bestätigt" werden, wie Carla Del Pontes Pressesprecherin Olga Kavran erklärte. Damit meint sie vor allem die Verhaftung und Auslieferung des meistgesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrechers im ehemaligen Jugoslawien, Ratko Mladic. Der heute 64 Jahre alte ehemalige bosnisch-serbische Armeechef ist unter anderem wegen des als Völkermord eingestuften Massakers von Srebrenica angeklagt, bei dem im Juli 1995 etwa 8000 bosnisch-muslimische Männer und Jungen ermordet wurden.


Natasa Kandic glaubt nicht daran, dass Ratko Mladic jemals ausgeliefert wird / Norbert Rütsche, n-ost

Die Menschenrechtlerin Natasha Kandic, Direktorin des Belgrader Humanitarian Law Center, setzt sich unverdrossen für die juristische Verfolgung von Kriegsverbrechen, für die Würde der Opfer und die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte im ehemaligen Jugoslawien ein. Sie begrüßt zwar die Auslieferung des Mladic-Vertrauten Zdravko Tolimir in der vergangenen Woche nach Den Haag. Doch was Mladic betreffe, zeigt sie sich pessimistisch. "Ich glaube nicht, dass Carla Del Ponte Ratko Mladic in Den Haag sehen wird." Die Chefanklägerin selbst ist optimistischer. Der Londoner Financial Times sagte sie, sie hoffe, Mladic könne schon "innerhalb einiger Wochen" ausgeliefert werden. Es gebe seitens Belgrads "einige konkrete Anzeichen für eine gute Kooperation".

Kandic dagegen ist davon überzeugt, dass die neue Regierung Serbiens mit dem alten und neuen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica an der Spitze eine Strategie vereinbart habe, um in der Kosovo-Frage Zeit zu gewinnen und auf dem Weg der europäischen Integration mehr Unterstützung zu bekommen. Zu diesem Plan zähle auch die Verhaftung des schwerkranken bosnisch-serbischen Ex-Generals Zdravko Tolimir von letzter Woche. Die EU hatte prompt reagiert und die baldige Wiederaufnahme der seit über einem Jahr ausgesetzten Verhandlungen mit Serbien über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen angekündigt. "Aber die Frage bleibt, warum Tolimir nicht schon früher verhaftet wurde". Der Fall zeige, dass die serbische Regierung die Bewegungen der Haager Angeklagten unter Kontrolle habe, so die Menschenrechtlerin.

Natasha Kandic geht davon aus, dass als Teil des Aktionsplans der serbischen Regierung bald auch Stojan Zupljanin und Goran Hadzic, zwei weitere der derzeit noch fünf flüchtigen Haager Angeklagten, festgenommen werden. "Doch Mladic ist nicht Teil dieser neuen Strategie unseres Ministerpräsidenten", meint sie. Denn in den Augen vieler Serben ist Mladic bis heute ein Held. Kürzlich klebten Mitglieder der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei - mit 81 von 250 Sitzen die stärkste Kraft im serbischen Parlament - in Belgrad unzählige Plakate mit der Forderung nach einem "Boulevard Ratko Mladic". Sie wählten dafür bewusst jene Straße, die in Kürze den Namen des 2003 ermordeten serbischen Reformpremiers Zoran Djindjic tragen soll.

Die Menschenrechtlerin Kandic wünscht sich von der Chefanklägerin Del Ponte, dass sie von der serbischen Regierung unnachgiebig die Auslieferung Mladics einfordert. Dies sei wichtig für die Zukunft und die Beziehungen der Nationen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawiens: "Ratko Mladic ist die Schlüsselfigur für die gesamte Situation und für den Versöhnungsprozess. Er muss vor Gericht gestellt werden." Laut dem Haager Tribunal befinden sich vier der fünf noch flüchtigen Angeklagten in Serbien, unter ihnen nebst Mladic auch Radovan Karadzic, der politische Führer der bosnischen Serben. Vladimir Vukcevic, der serbische Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen, sagte allerdings, nach seinen Angaben sei Karadzic nicht in Serbien. Schon vor einigen Tagen hatte die serbische Regierung bestätigt, dass sich ein weiterer gesuchter Kriegsverbrecher, der ehemalige Polizeigeneral Vlastimir Djordjevic, in Russland aufhalte.


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