Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher
In der Nacht zum Dienstag hat das serbische Parlament den Ultranationalisten Tomislav Nikolic zu seinem Präsidenten gewählt. Damit ist so gut wie ausgeschlossen, dass in Serbien bis zum 14. Mai noch eine pro-europäische Regierung zustande kommt. An diesem Tag läuft die Frist zur Regierungsbildung ab. Neuwahlen werden daher immer wahrscheinlicher.
Nach einer 15-stündigen, teils gehässigen Parlamentssitzung war der größte Erfolg der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) seit dem Sturz von Slobodan Milosevic im Herbst 2000 perfekt: 142 der insgesamt 250 serbischen Abgeordneten wählten Tomislav Nikolic, Stellvertreter des vor dem UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten Parteichefs Vojislav Seselj, zum Parlamentspräsidenten. Damit bekleidet Nikolic hinter Staatspräsident Boris Tadic das zweithöchste Amt im Land. Aus den Parlamentswahlen vom 21. Januar war die SRS mit 81 Sitzen als stärkste politische Kraft hervorgegangen.
Die notwendige absolute Mehrheit für Nikolic kam dank der Unterstützung der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) des amtierenden Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica zustande. Ebenfalls für Nikolic votierte die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) des im Untersuchungsgefängnis des Haager Kriegsverbrechertribunals verstorbenen Slobodan Milosevic. Es mag eine Ironie des Schicksals sein, dass Nikolics Gegenkandidatin aus der pro-europäischen Demokratischen Partei (DS) von Staatschef Tadic ausgerechnet den Familiennamen Milosevic trägt. Milena Milosevic brachte es auf 99 Stimmen, für sie votierten nebst den Abgeordneten der DS auch die Wirtschaftsreformer von G17 plus, die prowestlichen Liberaldemokraten (LDP) und einige Vertreter der nationalen Minderheiten. Eigentlich ist die Wahl des serbischen Parlamentspräsidenten eine formale Angelegenheit, gehört er doch im Normalfall einer der Parteien der künftigen Regierungskoalition an. Doch eine neue Regierung ist in Serbien nicht in Sicht.
Während die Radikalen – obwohl klar stärkste Partei – nie ernsthaftes Interesse an der Regierungsarbeit zeigten, schien während der letzten Tage eine Übereinkunft zwischen Tadics DS (64 Sitze) und Kostunicas DSS (47) sowie von G 17plus (19) in Reichweite. Die Parteien waren sich im Grundsatz einig, dass Vojislav Kostunica auch die neue Regierung als Ministerpräsident anführen werde. Die Ministerien waren ebenfalls weitgehend verteilt. Am Wochenende scheiterten die Verhandlungen aber in einem Klima tiefen Misstrauens, wie serbische Medien meldeten. Hauptstreitpunkt ist die Verteilung der Spitzenpositionen in den Bereichen, Armee, Geheimdienste und Polizei. Tadic beharrte darauf, dass die entsprechenden Posten von Personen aus beiden Parteien besetzt werden und so eine gegenseitige Kontrolle möglich sei. Es sei für ihn ausgeschlossen, dass etwa der Verteidigungsminister wie auch der Generalstabschef aus derselben Partei kommen, sagte Tadic.
Hintergrund seines konsequenten Festhaltens an dieser Forderung ist der Vorwurf der Europäischen Union, Serbien würde nicht ausreichend mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenarbeiten. Aus diesem Grund legte die EU vor einem Jahr die Verhandlungen mit Serbien über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen auf Eis. Die amtierende Regierung Kostunica ist bis heute mit der Kritik konfrontiert, Teile der Armee und des Geheimdienstes würden den ehemaligen bosnisch-serbischen General und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic seit Jahren decken.
Doch Beobachter in Serbien sind sich einig, dass für das Scheitern der Verhandlungen auch die ungeklärte Frage des künftigen Status der südserbischen Provinz Kosovo entscheidend war. Denn keine Partei strebt derzeit danach, an einer Regierung beteiligt zu sein, die für einen möglichen Verlust des Kosovo verantwortlich gemacht werden kann. Dies gilt vor allem für Kostunica, der im Wahlkampf seinen Anhängern immer wieder zurief, das Kosovo werde „auf ewig“ zu Serbien gehören. Es ist deswegen auch wenig verwunderlich, dass Tomislav Nikolic gestern (8. Mai) deutlich machte, seine Partei werde derzeit „weder irgendeiner Regierung angehören noch irgendeine Regierung mittragen“. Damit beendete er Spekulationen, Nikolics Unterstützung durch die DSS bei der Wahl zum Parlamentspräsidenten könnte das Modell für eine neue mögliche Regierungskoalition sein.
Dusan Petrovic, Vorsitzender der DS-Parlamentsfraktion, meinte, es gebe nur noch „eine theoretische Chance“ auf eine neue Regierung. G 17plus gab bekannt, die Partei werde aus Protest gegen die Stimmen der DSS für Nikolic an keinen weiteren Gesprächen zur Regierungsbildung mehr teilnehmen. Bleiben die Radikalen bei ihrer Haltung, wird es Neuwahlen geben. Diese müssten spätestens am 13. Juli stattfinden. Allerdings ist derzeit völlig offen, ob der UN-Sicherheitsrat bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine Entscheidung in der Kosovo-Frage getroffen hat. Wenn nicht, steht Serbien wohl auch nach Neuwahlen wieder am selben Punkt wie heute – nämlich bei einer fast vollständigen Lähmung des Landes aufgrund der ungelösten Kosovo-Frage.