Cannes zeigt deutschen Spielfilm über Auschwitz
Oswiecim/Auschwitz (n-ost) - Der Bahnhof von Oswiecim ist ein funktionaler, kein besonders schöner Ort - ein Betonbau aus den 60er Jahren mit ein paar Bahnsteigen. "Uwaga Pociag! - Achtung Zug!" warnt ein Schild in mehreren Sprachen die Reisenden, denn um in die Stadt zu gelangen muss man erst die Gleise überqueren.
Vor ziemlich genau elf Jahren kam hier der junge Berliner Robert Thalheim an, um seinen Zivildienst bei Aktion Sühnezeichen in Auschwitz zu leisten. Mittlerweile hat er ein Filmstudium absolviert und mit "Netto" gleich ein auf der Berlinale 2006 prämiertes Debüt hingelegt. Im August 2006 kehrte Thalheim für seinen zweiten Spielfilm nach Oswiecim zurück: "Am Ende kommen Touristen" ist der erste Spielfilm, der die polnische Kleinstadt Oswiecim zeigt, die seit über 60 Jahren stets im Schatten des einstigen deutschen Todeslagers Auschwitz steht. Auf den kommenden Filmfestspielen in Cannes erlebt der Film jetzt seine Weltpremiere. Er läuft, neben Fatih Akins "Auf der anderen Seite", der im Hauptwettbewerb gezeigt wird, als deutscher Wettbewerbsfilm in der Reihe "Un certain regard" ("Ein besonderer Blickwinkel").
Bei den Dreharbeiten
Hartmut Ziesing
"Am Ende kommen Touristen" trägt also autobiographische Züge. Thalheims Film beginnt am Bahnhof von Oswiecim: Der junge Mann auf dem Bahnsteig ist der Deutsche Sven (gespielt von Alexander Fehling), der in Auschwitz seinen Zivildienst machen will. Seine wichtigste Aufgabe ist es, sich dort um den ehemaligen polnischen KZ-Häftling Krzeminski (Ryszard Ronczewski) zu kümmern, der noch immer in der unmittelbaren Nähe des ehemaligen Lagers lebt. Dabei verliebt sich der Zivi Sven in die junge polnische Gedenkstättenführerin Ania (Barbara Wysocka) und lernt dadurch die Menschen und Probleme der heutigen Kleinstadt Oswiecim kennen, am Rande von Auschwitz, dem weltweiten Symbol für den nationalsozialistischen Völkermord.
Eine besondere Herausforderung war für Thalheim, wie er den historischen Ort, das Vernichtungslager Auschwitz, in seinem Film darstellen sollte. Die polnische Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erteilte ihm nämlich keine Dreherlaubnis. Krystyna Oleksy, stellvertretende Direktorin der staatlichen Gedenkstätte, begründete diese Entscheidung folgendermaßen: "Seit Steven Spielbergs Wunsch, Schindlers Liste in Auschwitz zu drehen, kann das Gelände nicht mehr für Spielfilme genutzt werden. Für sie müssen neue Elemente, wie Schauspieler, Statisten und Requisiten in die Gedenkstätte gebracht werden. Aber Auschwitz ist ein Friedhof und kann keine Kulisse für Spielfilme sein." Dennoch machte Oleksy den Filmemachern Mut: "Spielberg hat später selber auf die Aufnahmen in Auschwitz verzichtet und dennoch viele Oscars gewonnen."
Für den Regisseur Thalheim bedeutete diese Entscheidung, dass er sich ganz auf die Stadt Oswiecim konzentrieren musste. "Es gab bei uns im Team immer wieder die Frage, wie viel vom Ort des konkreten Verbrechens man eigentlich zeigen muss, um Auschwitz gerecht zu werden", erklärt Thalheim, "und jetzt bin ich sogar froh, dass wir nicht auf dem Gelände des Lagers gedreht haben. Ich hoffe, dass man dadurch noch mehr Respekt dem Ort gegenüber wahrt."
So spielt "Am Ende kommen Touristen" ausschließlich in Oswiecim, nicht nur am Bahnhof sondern auch am zentralen Stadtplatz und in einer Plattenbausiedlung, die die Oswiecimer ironisch "Manhattan" nennen, weil die Hochhäuser in den Augen der Menschen hier so hoch sind wie die New Yorker Skyline. Die meisten Bewohner sind froh, dass ihre Stadt Thema von Thalheims Film ist. "Mir gefällt es, dass in der Stadt gedreht wurde und nicht in der Gedenkstätte", kommentiert Gabriela Nikliborc, eine junge Oswiecimerin, "viele Menschen in der Welt wissen nicht, dass das hier auch eine ganz normale Stadt ist, dass unsere Kinder auf Spielplätzen spielen und wir in Kneipen gehen." Und besonders begeistert ist Nikliborc, dass sie als eine von über 300 Statisten aus der Stadt in dem Film mitspielen konnte.
Thalheim musste sich aber auch Kritik gefallen lassen: Bei einem Dreh in der Plattenbausiedlung "Manhattan" empörte sich eine ältere Frau, dass ausgerechnet ein deutscher Regisseur in der Stadt einen Film macht. Gabriela Nikliborc, die selber in einer Begegnungsstätte arbeitet, sieht das anders: "Es ist ein Element der deutsch-polnischen Versöhnung, wenn ein junger deutscher Regisseur über eine polnische Stadt dreht und dies vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie als Zivi hier tut. Das ist auch eine neue Perspektive für viele Polen".
Auch Robert Thalheims zweiter Kinofilm zeichnet sich durch leise Töne und exakt beobachtete Figuren aus. Ähnliches war bereits in "Netto" zu sehen. Diese Beziehungsgeschichte um einen arbeitslosen Vater, der von seinem Sohn ins Leben zurück geholt wird, war eigentlich nur eine in den Semesterferien gedrehte Seminararbeit an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, wurde aber in den Kinos zum Überraschungserfolg. Das Besondere an "Netto": Sein Budget betrug gerade einmal 3200 Euro. Für "Am Ende kommen Touristen" hatte Robert Thalheim nun knapp eine Million Euro zur Verfügung, finanziert von der öffentlichen Filmförderung und dem ZDF. Den Rest steuert die Berliner Produktionsfirma 23/5-Film von Hans-Christian Schmid (Regisseur von "Lichter" und "Requiem") und Britta Knöller bei. "Wir konnten jetzt viel professioneller arbeiten", freut sich Thalheim, "aber man merkt, dass ein anderer Wind weht als bei Studentenfilmen, plötzlich ist man eingeschränkt durch Dinge wie Arbeitsrecht und Drehgenehmigungen - "Netto" haben wir viel wilder gedreht."
Nach der Weltpremiere in Cannes wird der Film im Sommer in die deutschen Kinos kommen. Fernsehzuschauer müssen sich noch bis 2008 gedulden, dann will das ZDF "Am Ende kommen Touristen" ausstrahlen.
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