"Keine einfachen Versöhnungsgesten"
Frage: Haben Sie schon einen Smoking für die Preisverleihung in Cannes gekauft?
Robert Thalheim: Nein. Ich habe bisher widersprüchliche Informationen über die Kleiderordnung. Hoffentlich komme ich mit meinem dunkelblauen Anzug durch. Ich brauche aber noch Schuhe und vielleicht schaue ich mal die Krawattenkollektion meines Vaters durch...
Frage: Ihre erste Reaktion nach der Nominierung für den Wettbewerb "Un certain regard" in Cannes?
Thalheim: Es fiel mir schwer zu glauben, dass ich so ein Glück haben soll. Es gab immer wieder Tiefpunkte und Zweifel auf dem Weg zu diesem Film und die Nachricht von der Nominierung war dann plötzlich wie eine ganz, ganz große Erleichterung: Es wird jetzt ein paar Leute geben, die sich den Film anschauen...
Regisseur Robert Thalheim am Set
Hartmut Ziesing
Frage: Sie haben in Oswiecim selber ihren Zivildienst geleistet. Stammt daher die Idee für Ihren Film?
Thalheim: Als ich vor drei, vier Jahren den Film "Hiroshima mon amour" gesehen habe, beeindruckte mich die Verknüpfung einer privaten Geschichte mit dem kollektiven Ort.
Seither hatte ich Lust, etwas über Oswiecim und seine Widersprüche zu erzählen, über die Stimmung und meine Erlebnisse an diesem Ort. Ich war nach meinem Zivildienst immer wieder in Oswiecim und habe danach gesucht, wie man diese Geschichten an der Peripherie eines Ortes der deutschen Verbrechen in Polen erzählen kann. Christian Cloos vom "Kleinen Fernsehspiel" beim ZDF hat mich früh in meiner Idee bestärkt, dass es am besten aus der Perspektive eines deutschen Zivis geht. Mit Britta Knöller und Hans-Christian Schmid von der Produktionsfirma 23/5 habe ich den Stoff dann weiterentwickelt. Ich habe übrigens während meines eigenen Zivildienstes in Auschwitz angefangen, mit der Videokamera zu experimentieren und Filme zu machen. Die Bilder, Orte und Stimmungen sind mir sehr präsent.
Frage: Wie viele eigene Erlebnisse als Zivi in Auschwitz stecken in dem Film?
Thalheim: Der Film ist im konkreten Sinn nicht sehr autobiographisch. Der Charakter von Hauptdarsteller Sven ist eher das Gegenteil von mir. Ich bin sehr idealistisch, sehr reflektiert und sehr vorsichtig dorthin gekommen und er ist jemand, der dort reinplatzt und mal guckt, was los ist. Auch in seiner Beziehung zum ehemaligen Häftling Krzeminski hat er nicht den ganzen Ballast und einen riesigen Respekt. Das ist das Spannende, wie er sich am Anfang total über ihn ärgert, langsam eine Beziehung zu ihm aufbaut und anfängt, etwas über die Dimensionen dessen, was ihm Krzeminski im Lager passiert ist, zu lernen. Aber der Film erzählt, was ich selbst erlebt habe: diese merkwürdige Überschneidung in einer wichtigen Lebensphase. Man wird erwachsen, man fängt an, ein Wertesystem aufzubauen, man überlegt, was sein Platz in der Welt ist und wer man eigentlich ist - alle diese Fragen überschneiden sich mit dem Ort deutscher Geschichte, mit Auschwitz.
Frage: Die polnische Kleinstadt Oswiecim ist in der ganzen Welt nur durch das ehemalige Lager Auschwitz bekannt. Wie zeigen Sie die Menschen dieser Stadt im Film?
Thalheim: Eine extreme Haltung ist der Wunsch, sich das Leben nicht weiter von deutscher Geschichte bestimmen zu lassen. Dafür steht im Film Ania, in die sich Sven verliebt: Sie macht Führungen im Lager, aber hat in Oswiecim keine Zukunftsperspektive und ihr einziger Wunsch ist es wegzukommen. Irgendwann sagt Ania zu Sven: "Lass mich doch jetzt mal mit Deinem Lager zufrieden, ich hab wirklich genug davon". Ich kenne das aus eigenen Begegnungen mit Jugendlichen: In einer Kneipe habe ich einmal gehört: "Nehmt doch Euer blödes Lager wieder mit nach Hause, da könnt Ihr Euch das toll anschauen und diskutieren und müsst nicht uns Polen damit auf den Geist gehen". Ich zeige im Film verschiedene Charaktere, die die Zwiespältigkeit der normalen Oswiecimier zeigen, an so einem Ort zu wohnen. Ich packe das nicht alles in eine These sondern erzähle konkrete Geschichten von Menschen, die hier wohnen. Man ist dann ganz schnell bei der Vergangenheit und bei dem Widerspruch zwischen der Geschichte und der Gegenwart.
Frage: Wie ist Ihre Erfahrung mit Deutschen in Auschwitz? Es kommt eigentlich niemand im Film vor...
Thalheim: ...der alles richtig macht. Das ist meine Erfahrung mit dem Ort. Man kann hier nicht alles richtig machen, gerade als Deutscher nicht. Am Ende des Films kommt eine nervende Schulklasse und ein nerviger Lehrer, der eigentlich nicht allzu viel Ahnung hat. Trotzdem fährt Sven, der gerade aufgeben will, mit denen zurück und es ist wichtig, dass sie hierher kommen. Wir können uns nicht in die Mitte von Berlin ein Mahnmal hinstellen und uns auf die Schulter klopfen, weil wir jetzt unsere Geschichte ziemlich gut aufgearbeitet haben und alles endlich loswerden. Wir müssen uns weiter mit Auschwitz auseinandersetzen, wenn es auch manchmal falsch ist.
Frage: Sie haben als Deutscher diesen Film auch mit polnischen Schauspielern und in einem deutsch-polnischen Team gedreht. Gab es da Reibungspunkte?
Thalheim: Ja, die Polen haben zum Beispiel sehr kritisch darauf geschaut, wie ihr Land dargestellt wird. Es gibt zum Beispiel eine Szene, wo ein deutscher Meister einer Lehrlingsgruppe über das Chemiewerk in Oswiecim sagt "Das haben die Polen ja hier ganz schön runtergewirtschaftet aber wir nehmen das jetzt wieder in die Hand, wir haben schon ganz andere Sachen hingekriegt". Einige Polen im Team haben das als Angriff gegen ihr Land verstanden, obwohl der Meister in meinen Augen eine negative Figur ist, die für eine Art deutscher Arroganz steht. Solche Missverständnisse waren sehr spannend. Ich weiß, dass der Film vor allem zeigt, wie verschiedene Deutsche hier mit dieser Geschichte umgehen, aber es geht zugleich darum, wie sie dabei Polen begegnen. Ausgangspunkt des Films ist für mich eine Art Liebeserklärung an Polen. Ich bin sehr geprägt von meiner Zeit dort, aber je mehr man eine Sache mag, desto genauer schaut man ja auch hin. Deswegen sucht der Film auch keine einfachen Versöhnungsgesten.
Frage: Was machen Sie nach Cannes als nächstes?
Thalheim: Erstmal möchte ich jetzt sehen, wie der Film aufgenommen wird und freue mich auf ein paar Diskussionen. Ansonsten sitze ich über dem Entwurf für einen neuen
Film...
*** Ende ***