Der König ist tot, es lebe der König
Es regnet viel in Turkmenistans Hauptstadt Aschgabat in diesem Frühjahr. Dicke, graue Regenwolken ziehen unentwegt vom Kaspischen Meer hierher, wo sonst um diese Jahreszeit schon Sonnenschein und Hitze herrschen. Wie ein triefendes Tuch legen sie sich über die wuchtigen neuen Ministerialbauten und vergoldeten Turkmenbaschi-Statuen. Als wollten sie sagen, dass dieZeit noch nicht reif für Veränderungen ist.
Eine Studentin erklärt anhand eines Gemäldes Turkmenbaschis Familiengeschichte. / Henryk Alff, n-ost
Und tatsächlich geht alles seinen gewohnten Gang auf den Straßen der Hauptstadt des erdgasreichen Wüstenstaates, der so groß wie Spanien ist, aber kaum fünf Millionen Einwohner zählt. Die einstige orientalisch-provinzielle Atmosphäre Aschgabats ist den städtebaulichen Fantasien des Staatsgründers Saparmurat Nijasow gewichen. Riesige weiße, mit Marmor verkleidete Wohntürme werden gleich dutzendweise auf den von Bulldozern planierten Flächen ehemaliger Stadtviertel hochgezogen. Im Zentrum recken sich die von der französischen Baufirma Bouygues errichteten Verwaltungsgebäude in den Himmel.
Polizei und Militär patrouilliert an jeder Straßenecke und hält dann und wann verdächtige Autos an. Zahlreiche Reinigungskräfte pflegen die unzähligen Blumenrabatten und Denkmalanlagen zu Ehren Turkmenbaschis, des "Führers der Turkmenen". Saparmurat Nijasow hatte sich kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 mit 99,5 Prozent der Stimmen zum Präsidenten der neuen, unabhängigen Republik Turkmenistan wählen lassen und übernahm in Personalunion bald auch das Amt des Ministerpräsidenten und des religiösen Führers. 1999 ernannte er sich zum Staatschef auf Lebenszeit, doch diese endete unvermittelt im Dezember 2006 durch einen Herzinfarkt.
Unter Parolen wie "Das XXI. Jahrhundert - Das Goldene Zeitalter der Turkmenen" und "Volk, Vaterland, Turkmenbaschi", mit denen fast jedes Haus, Omnibusse und Mineralwasserflaschen plakatiert sind, mischen sich inzwischen auch Zitate des neuen Präsidenten Gurbanguly Berdymuchammedow. Eine bedrückende Stimmung wie in Orwells Roman 1984 macht sich im Lande breit. Darüber können auch die die traditionellen farbenprächtigen Gewänder der turkmenischen Frauen nichts ändern. Denn sie haben sich per Präsidentenwort zur Einheitskleidung gewandelt.
Seit der Unabhängigkeit Turkmenistans 1991 hat Nijasow das Land in die internationale Isolation getrieben. Die immensen Erdgasressourcen ermöglichten es Turkmenistan zwar, relativ erfolgreich am Welthandel teilzunehmen. Der Deal zwischen der Ukraine und Russland im Gasstreit Anfang 2006 wäre ohne die günstigen turkmenischen Gaslieferungen nicht möglich gewesen. Politisch schottete sich der Staat aber immer mehr ab. Freie Medien konnten gar nicht erst entstehen. Oppositionelle wurden ins Exil getrieben, verhaftet oder verschwanden spurlos. Die staatliche Gesundheitsversorgung wurde flächendeckend abgeschafft, die Renten gekürzt und die Schulbildung um zwei Jahre verringert.
Im Gegenzug erhielten die Turkmenen Nijasows exzentrische Schriften, die heute Pflichtlektüre in Schulen und Universitäten, ja sogar für Staatsbeamte und Fahrschüler sind. Die Ruhnama, Nijasows Hauptwerk, ist eine groteske Mischung aus Bibel, Verhaltenskodex und Geschichtsumdeutung. Im Jahre 2001 erschienen, wurde der erste Band inzwischen in mehr als 30 verschiedene Fremdsprachen übersetzt. Ein Exemplar umkreist gar in einer Raumkapsel die Erde. "Unsere 5000-jährige Historie ist wie ein unauslöschbares Licht, das jedem von uns leuchtet und uns alle begeistert", steht es in dem Werk geschrieben. "Für einen echten Turkmenen, der sich um seine geistige Welt sorgt, muss die Ruhnama, die Quelle sein, die nie versiegt." Paradoxerweise hat sich die turkmenische Regierung gerade das "Buch der Seele" zum Instrument auserkoren, um mehr internationale Legitimation zu erhalten.
"Die heilige Ruhnama ist nicht nur das Buch der Turkmenen, sondern auch das seiner Nachbarn und der ganzen Welt", verkündet stolz der Chef des Ministerrats Hydyr Saparlijew bei der Eröffnung einer internationalen Studentenkonferenz zum bildungspolitischen Wert des Präsidententraktats. "Wer das Buch liest, wird Freundschaften mit anderen Kulturen schließen können."
Unter den strengen Augen von Turkmenbaschi, dessen übergroßes Portrait den Konferenzsaal der Uni schmückt, spenden jugendliche Vertreter aus Indonesien und Sudan, Nordirland und Belarus tosenden Beifall. "Solch ein Buch wird nur einmal in vielen Hundert Jahren geschrieben", verliest ein äthiopischer Teilnehmer. "Als ich zum ersten Mal in die Ruhnama schaute, dachte ich "Wow, was für ein Buch!", sagt auch ein österreichischer Student. "Die Bewohner dieses Landes sollten es in Ehren halten."
Schüchtern zu Boden blickende turkmenische Studentinnen in schweren Seidengewändern und mit langen geflochtenen Haaren bringen ihre Verehrung zum großen Führer in glühenden Worten zum Ausdruck. "Allah hat die Ruhnama in die Hände Turkmenbaschis des Großen gelegt, um damit die Herzen der Menschen zu erleuchten." Ein kräftiger Hauch von Despotismus und Personenkult strömt durch den Saal. Verstimmung oder gar Kritik ist hier völlig fehl am Platze.
Stattdessen tanzen im anschließenden Konzert turkmenische Volksmusikensembles zu Poemen, die der große Führer selbst geschrieben hat. Als die Nationalhymne erklingt, legen alle die Hand auf die Brust und schmettern: "Das große Haus, erbaut von Turkmenbaschi, mein fester Staat, mein Herz, meine Seele."
In der Pause treffen wir Anar Atajew. "Ich habe hier keine Freunde mehr. Fast alle sind in Europa geblieben", erzählt er mit gesenkter Stimme. Er ging vor einigen Jahren für einen Sprachkurs nach Schweden, kehrte jedoch aus familiären Gründen in seine Heimat zurück. Jetzt studiert der 22-jährige Englisch an der Hochschule für Fremdsprachen in Aschgabat. Man merkt ihm an, dass er die Vergötterung Turkmenbaschis leid ist. "Dort hinten links findet ihr das Ruhnama-Museum der Universität, davor den Gedenksaal für Turkmenbaschis Mutter und den für seinen Vater", deutet er gelangweilt mit dem Finger. "Ich gehe inzwischen lieber in die Kantine zum Tee trinken."
Viele Universitätssäle sind mit kitschigen Turkmenbaschi-Reliquien gefüllt. Ölgemälde, die den ehemaligen Präsidenten im Schoße der Familie zeigen, und unzählige Propagandaformeln schmücken die Wände. Randvolle Regale mit den Büchern des Präsidenten in unterschiedlichen Sprachen stehen herum. Vor einem riesigen turkmenischen Teppich glänzt eine goldene Büste Nijasows im Lampenschein. "Unser Führer hat uns in eine große Zukunft geleitet", erklärt eine Studentin mit fester Stimme den Besuchern. "Wir werden immer seinem Weg folgen."
Auch der neue Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow scheint sich diesem Credo angeschlossen zu haben. Der Zahnarzt und ehemalige Gesundheitsminister im letzten Kabinett Nijasows wurde am 11. Februar 2007 mit großer Mehrheit zu dessen Nachfolger bestimmt. Tatsächliche Gegenkandidaten gab es keine. Internationale Wahlbeobachter verzichteten aufgrund des zu erwartenden unfreien Charakters der Abstimmungen bereits im Vorfeld auf eine Teilnahme.
"Ich werde die von meinem Vorgänger Saparmurat Nijasow begonnenen Anstrengungen zur Erhöhung des Lebensstandards des turkmenischen Volkes fortführen", hatte Berdymuchammedow in seiner Antrittsrede gesagt, aber auch Reformen angekündigt. "Im ganzen Land sollen neue Krankenhäuser errichtet werden. Die Schulpflicht wird auf zehn Jahre angehoben, Stipendien und Lehrergehälter werden um 40 Prozent erhöht."
"Auch das Internet soll nach Angaben des Präsidenten jedem Turkmenen zugänglich gemacht werden", erklärt uns Anar, während wir abends bei Fleischspießen und Bier in einem Cafe sitzen. Tatsächlich hätten auch die ersten Internet-Cafes in Aschgabat eröffnet. "Aber eine Stunde kostet dort 90 000 Manat, etwa drei Euro. Das kann sich kaum jemand leisten." Außerdem müsse man sich mit seinem Reisepass registrieren. Viele hätten deshalb Angst, überwacht und wegen des Besuchs einer unerwünschten Webseite verhaftet zu werden.
"Nein", meint Anar fast flüsternd und nippt an seinem Bier, "wir brauchen ernst gemeinte Veränderungen. Nicht nur Absichtserklärungen und als Reform verkleidete leere Phrasen." Wie als wollte man uns ein Zeichen geben, zu schweigen, werden plötzlich die Lichter ausgeschaltet. Die Bedienung bringt uns die Rechnung. "23 Uhr ist Schließzeit. Das hat Turkmenbaschi bestimmt", tuschelt uns Anar zu.
Draußen hat der Regen aufgehört. Der Mond taucht Aschgabat in fahles Licht. Aus den knöcheltiefen Pfützen eines nahe gelegenen Parks ertönen Unkenrufe. Anar atmet tief durch. Nachdenklichen Blickes verabschiedet er sich von uns. "Turkmenistan ist mehr als sein Präsident. Die Menschen hier finden ihren eigenen Weg."