USA und Russland ringen um Europa
Putins letzte Jahresbotschaft versetzt die EU in Aufregung - diese muss nun ihre Position klären.Hamburg/Moskau (n-ost) - Erst der Auftritt im Februar bei der Internationalen Sicherheitskonferenz in München, nun Ende April seine letzte Jahresbotschaft als Kremlherrscher – mit zwei Reden sorgte Russlands Präsident Wladimir Putin im Westen für helle Aufregung. Medien spekulieren bereits über einen „neuen, kalten Krieg“ und „das Ende der Abrüstung“. NATO, ebenso wie EU-Spitzen drücken ihr „Bedauern“ aus und fordern Erklärungen von Russland, was gemeint sei. Dabei müsste man sich Putins jüngste Rede nur einmal genau ansehen. Putin drohte weder, noch rief er eine neue Eiszeit aus, er sprach nicht einmal eine Kündigung des Rüstungskontrollvertrages aus – er machte nur einen Vorschlag, nämlich die aus Sicht Russlands im Zusammenhang mit dem KSE-Vertrag entstandene neue Situation und die damit zusammenhängenden Probleme im Russland-NATO-Rat neu zu beraten. Erst für den Fall, dass keine Ergebnisse durch Verhandlungen erzielt werden könnten, schlägt Putin seinen eigenen Landsleuten vor, darüber nachzudenken, ob Russland den Vertrag einseitig kündigen müsse. So kann aus dem Vorschlag eine Forderung werden, aber keine Drohung. Betrachtet man Putins Begründung, dann erscheinen die Reaktionen von NATO, EU und der Mehrheit der westlichen Medien unverhältnismäßig: Der Vertrag sei zwischen NATO und Warschauer Pakt geschlossen worden, so Putin. Inzwischen existiere der Warschauer Pakt aber nicht mehr, dafür sei die NATO bis an die Grenzen Russlands vorgerückt. Russland habe die Bedingungen des KSE-Vertrages erfüllt. Fast alle schweren militärischen Waffen seien aus dem europäischen Teil Russlands zurückgezogen worden. Einige der neuen Mitglieder der NATO, so die Baltischen Staaten und die Slowakische Republik, hätten den Vertrag dagegen bis heute nicht unterzeichnet. Mehr noch, jetzt planten NATO und USA Raketen in Polen und der tschechischen Republik aufzustellen, deren angeblicher Zweck, Europa vor Iranischem Terrorismus zu schützen, für Russland nicht nachvollziehbar sei. Zudem müsse man die US-Abfangraketen als „Element des strategischen Waffensystems“ der USA begreifen, das auf diese Weise erstmals in Europa stationiert werde. Aus all dem ergebe sich eine neue Sicherheitslage nicht nur für Russland, sondern für Europa, die nicht nur in der NATO, sondern auch in der Organisation für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kreise aller von diesen Fragen betroffenen Staaten gleichberechtigt beraten werden müsse. „Worüber wir sprechen“, so Putin in einer auf seine Vorschläge folgenden Begründung, „ist eine Kultur der internationalen Beziehungen, die auf internationalem Recht beruht – ohne Versuche, Entwicklungsmodelle aufzuzwingen oder den natürlichen Gang des historischen Prozesses zu forcieren. Das macht die Demokratisierung des internationalen Lebens und einer neuen Ethik in den Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern besonders wichtig. Es erfordert ebenfalls die wirtschaftliche und humanitäre Kooperation zwischen Ländern.“ Mit diesen Positionen knüpft Putin an die Vorschläge an, die er schon bei der Sicherheitskonferenz der NATO in München vortrug: Die von den USA betriebene Militarisierung der internationalen Beziehungen zu beenden und stattdessen in kooperative Verhandlung zu einer Abrüstung auf allen Ebenen einzutreten, einschließlich der Entmilitarisierung des Weltraums. Was an Putins Vorschlägen geeignet ist, eine „Neue Eiszeit“ einzuleiten, ist schwer zu erkennen. Selbstverständlich zielen Putins Vorschläge auch auf eine Schwächung der „atlantischen Bindungen“, so wie die Pläne der USA, Raketen in Ost-Europa stationieren zu wollen, weniger auf einen Schutz Europas, als auf eine Störung der von den USA gefürchteten strategischen Beziehung zwischen EU und Russland zielen. Offensichtlicher Ausdruck des Erfolges der einen wie der anderen Seite bei diesem Ringen um Europa sind jedoch die Positionen des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, der die derzeitige Diskussion um das geplante US-Raketenschild „ebenso problematisch“ findet wie Putins Ankündigung den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte neu zu beraten, bzw. auszusetzen. Die innenpolitische Schwerpunktsetzung, die der scheidende russische Präsident seinen Landsleuten mitgab, macht mehr als deutlich, dass Russland sich vom Westen nicht mehr gängeln lassen will, es aber auch nicht mehr muss. Damit wird der tiefere Hintergrund westlicher Beunruhigung sichtbar.Seit 2000, so Putin im Blick auf die „schweren Zeiten“ unter seinem soeben verstorbenen Vorgänger Boris Jelzin, habe sich die Situation Russlands zum Guten entwickelt. Das Realeinkommen der Bevölkerung habe sich verdoppelt, der Staatshaushalt versechsfacht, die Wirtschaft zeige stabiles Wachstum. „Wir haben Geld“, so Putin schlicht. Es komme jetzt es nur darauf an, es richtig einzusetzen, um die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur des Landes gezielt zu entwickeln. Nicht allen jedoch, so Putin weiter, gefalle die stabile Entwicklung des Landes. Es häuften sich daher die Versuche, im Interesse ausländischer Geldgeber in die russische Innenpolitik zu intervenieren. Daher müsse die Auseinandersetzung mit dem Extremismus „unausweichlich verschärft“ werden. Nicht ausgesprochen, aber gemeint sind die Aktivitäten von Boris Beresowski und Gary Kasparow in der gegenwärtigen Vorwahlsituation. Beresowski ruft von London aus zum gewaltsamen Sturz Putins auf, weil Wahlen, wie er meint, keinen Sinn machten. Er rühmt sich, die „Opposition“ auf allen Ebenen, auch im Kreml selbst zu finanzieren. US-Freund Kasparow erklärt im Lande, der Machtwechsel müsse auf der Straße erkämpft werden, weil über Wahlen nichts zu ändern sei. Ob Gesetze gegen den Extremismus das richtige Mittel zur Abwehr ausländischer Interventionen sind, soll hier offen bleiben. Putins Rede signalisiert, dass Russland selbstbewusst seinen eigenen Weg sucht. Für die Mehrheit westlicher Medien ist damit offenbar schon der Tatbestand der Aggression erfüllt.Ende---------------------------------------------------------------------------
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Kai Ehlers