Putins letzte Jahresbotschaft
Hamburg/Moskau (n-ost) - Am gestrigen Donnerstag hielt Russlands Präsident Wladimir Putin im Marmorsaal des Kreml seine achte und letzte Rede an die Nation. Die nächste Rede werde, so der Noch-Präsident, ein anderes Staatsoberhaupt halten, da seine Dienstzeit zu Ende gehe. Damit ist allen Spekulationen über eine mögliche dritte Amtszeit Putins endgültig ein Riegel vorgeschoben. Für großen Wirbel sorgte in den ausländischen Medien die Ankündigung Putins, dass Russland über Fragen der Rüstung, inbesondere den KSE-Vertrag, offene Verhandlungen fordert. "Putin setzt Abrüstungsvertrag aus", meldeten Medien von der "Welt", über die "Frankfurter Rundschau" bis hin zum "Handelsblatt". "Scharf und antiwestlich" sei Putins Rede gewesen, kommentierte das St.Galler Tagblatt. Dabei drückte sich Putin an dieser Stelle - die in seiner Rede eher am Rande auftauchte - moderater aus, als nun berichtet wird.Wegen der Begräbnisfeierlichkeiten für Boris Jelzin musste sich Russland einen Tag länger gedulden, als geplant. Dann fand sie am Donnerstag schließlich statt, die achte und vorerst letzte Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin an die Nation. Im Marmorsaal des Kreml hatten sich dazu Abgeordneten der Duma, Mitgliedern des Föderationsrates, alle Minister, die Spitzen der Justiz, der Wahlkommission, des Rechnungshofes, die Mitglieder des Staatsrates und die Führer der größeren Konfessionen und der nationalen und internationalen Presse versammelt. Auch die Mitglieder der Gesellschaftskammer, die als Hüterin der Presse- und der Meinungsfreiheit agiert, nahmen an der Zeremonie teil.Putin trat klar und moderat auf, konzentrierte sich auf innenpolitische Fragen. Er eröffnete mit einer Schweigeminute für Jelzin, erinnerte an dessen Verdienste, kam dann jedoch zügig auf die heutige Situation, die sich gegenüber den "schweren Zeiten" unter Jelzin zum Guten entwickelt habe. Das Realeinkommen der Bevölkerung habe sich seit dem Jahre 2000 verdoppelt, der Staatshaushalt versechsfacht, die Wirtschaft zeige stabiles Wachstum. Aber man stehe dennoch erst am Anfang einer "lange währenden Wiedergeburt des Landes", habe noch viel zu tun, politisch wie auch sozial. Die "geistig-seelische Einheit des Volkes, sowie die uns vereinenden moralischen Werte", betonte Putin, seien daher ein "ebenso wichtiger Faktor der Entwicklung wie die politische und die ökonomische Stabilität."
Bei manchen ausländischen Zuhörern rief diese Einleitung den Verdacht hervor, Putin wolle sich für den Rest seiner Amtszeit an den aktuellen Widersprüchen vorbei stehlen, indem er die "nationale Karte" ausspiele. Der moralische Einstieg war jedoch nur der Leitfaden, an dem entlang Putin seine strategischen Schwerpunkte setzte.
Die wichtigsten seien hier kurz vorgestellt:Die zurückliegenden Korrekturen der Wahlverfahren - unter anderem war eine Sieben-Prozent-Hürde eingeführt worden - trügen dazu bei, so Putin, die Wahlen demokratischer zu machen, sie von störenden "ungünstigen Methoden" zu entschlacken. In der zukünftigen Duma werde es dadurch stärkere Oppositionskräfte der "Fraktionen" geben. Ob die hinter diesen Ausführungen stehende Hoffnung Putins aufgeht, ein stabiles Parteiensystem, vielleicht gar ein Zweiparteienwahlsystem nach US-Muster von oben initiieren zu können, werden die Duma-Wahlen am Jahresende zeigen.Nicht allen gefalle die stabile Entwicklung des Landes, so Putin weiter. Es häuften sich daher die Versuche, im Interesse ausländischer Geldgeber in die russische Innenpolitik zu intervenieren. Daher müsse die Auseinandersetzung mit dem Extremismus "unausweichlich verschärft" werden. Nicht ausgesprochen aber gemeint sind damit die Aktivitäten von Boris Beresowski und Gary Kasparow in der gegenwärtigen Vorwahlsituation. Beresowski rief vom Londoner Exil aus zum Sturz Putins auf - notfalls auch mit Gewalt. Er rühmt sich, die "Opposition" auf allen Ebenen, auch im Kreml selbst zu finanzieren. Kasparow - einer der Initiatoren der Demonstrationen von Anfang April - erklärte wiederum, der Machtwechsel müsse auf der Straße erkämpft werden, weil über Wahlen nichts zu ändern sei. Beresowski war die graue Eminenz der oligarchischen Herrschaft während der Zeit Jelzins; seit seiner Flucht vor Verfolgung wegen angeblicher Steuerhinterziehung betreibt er von London aus, gestützt auf die exportierten Milliarden, seine Rückkehr an die Macht. Kasparow, der von westlichen Medien als "Führer der russischen Opposition" herausgestellt wird, ist aktives Mitglied des "National Security Advisory Council" (NSAC) in Washington, einer Neben-Organisation des "US-Centers for Security Policy." Diese Organisation ist einer der aktivsten "Think-Tanks" der US-Neo-Konservativen. Das sind jene US-Kräfte, die ihre Aufgabe darin sehen, weltweit "bunte Revolutionen" zu exportieren. Man kann sich wundern, wie verhalten, ohne Namen und Länder zu nennen, Wladimir Putin über all diese Widersacher spricht; ob Extremistengesetze allerdings das richtige Mittel gegen diese Interventionen sind, wird man bezweifeln müssen.
Eine wichtige Rolle für die zukünftige Entwicklung des Landes, so Putin weiter, spiele die Entwicklung bürgerlicher, ziviler Vereinigungen. Im letzten Jahr habe sich die Zahl gesellschaftlicher Vereinigungen und der Einsatz von Freiwilligen erhöht, die sich am gesellschaftlichen Aufbau in Russland beteiligten. In demselben Zeitraum seien auch wichtige Vollmachten an örtliche Verwaltungsorgane abgegeben worden, so im Städtebau, im Wald-, Boden- und Wasserwesen, im Tierschutz und in allgemeinen Beschäftigungsfragen der Bevölkerung. Ergänzend dazu sei zudem ein neues Gesetz der örtlichen Selbstverwaltung in Kraft getreten. Er hoffe, dass dies alles zur Entwicklung von Basiskräften beitrage, die Russland dringend brauche, sagte Putin.Nach sieben Jahren putinscher Re-Zentralisierung, in deren Verlauf die Wahl örtlicher Selbstverwaltungsorgane bis hinauf zu den Gouverneuren der Provinzen durch Ernennungen durch den Präsidenten, beziehungsweise seines präsidialen Verwaltungsapparates ersetzt wurden, wäre dies ein bemerkenswerter neuer Akzent in der russischen Politik. Zu bezweifeln ist allerdings auch hier wieder, ob dies von oben her zu verwirklichen sein kann. Es stellt sich zudem die Frage, in welchem Verhältnis die von Putin angegebene Entwicklung russischer nicht-staatlicher Vereinigungen zur Verschärfung der Zulassungsbedingungen für die Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGO) steht. Tatsache ist, dass die Aktivität nicht-staatlicher Organisationen durch die gegenwärtige Gesetzeslage nicht nur für ausländische Organisationen, sondern allgemein unter Putin sehr erschwert worden sind.Bleibt noch der außenpolitische Aspekt, der in den westlichen Medien besondere Beachtung fand, obwohl er in Putins Rede eher am Rande auftaucht: Putin beklagte, die EU halte die Verträge der KSE über konventionelle Streitkräfte in Europa nicht ein. Deshalb will er die Verträge zu erneuter Verhandlung in den NATO-Russland-Rat einbringen. Sollte dies nicht akzeptiert werden, dann werde Russland einen einseitigen Ausstieg aus den Verträgen in Erwägung ziehen. Putin wies darauf hin, dass immer noch nicht alle Nato-Staaten den KSE-Vertrag ratifiziert hätten, während Russland bereits mit dem Abzug von Truppen aus europäischen Teilen des Landes Vorleistungen erbracht habe. Putin verknüpfte den KSE-Vertrag überdies mit dem Vorhaben der Amerikaner, in Tschechien und Polen strategische Raketenabwehrsysteme zu errichten. Dies sei eine Bedrohung der nationalen Sicherheit seines Landes.Für manche westliche Medien ist damit der Tatbestand putinscher Aggression erfüllt. Tatsächlich kündigte Putin nur an, dass Russland über Fragen der Rüstung offene Verhandlungen fordert. Damit knüpft er an die Vorschläge an, die er kürzlich auf der NATO-Sicherheitskonferenz in München vortrug: Ende der von den USA betriebenen Militarisierung internationaler Beziehungen, stattdessen Eintritt in Verhandlungen zu Abrüstung auf allen Ebenen, einschließlich der Entmilitarisierung des Weltraumes.Ende---------------------------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an den Autor:Kai EhlersBelegexemplar (gerne auch als pdf) bitte UNBEDINGT an die folgende Adresse:
n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
n-ost@n-ost.org