Mit Fantasie gegen Gazprom
St. Petersburg (n-ost) - Über die Internetseite von "Gazprom-City.spb.ru" läuft ein kleines Männchen und schlägt einen großen Nagel zwischen die dort abgebildeten Sehenswürdigkeiten der Stadt St. Petersburg. Das macht deutlich, dass es sich nicht etwa um die offizielle Webseite des russischen Energiegiganten handelt, sondern um einen kreativen Protest seiner Gegner. Für viele Petersburger ist der von Gazprom unter dem Projektname "Gazprom-City" am Newa-Ufer geplante, 300 Meter hohe Wolkenkratzer wie ein Nagel im Fleisch der Stadt. Die Internet-Seite koordiniert den Protest und der regt sich seit Monaten.Zu den aktivsten Gruppen gehört das Bündnis "Lebendige Stadt". Etwa 80 überwiegend junge Mitglieder machen gegen den Weltkonzern mobil, toleriert von der Stadtverwaltung. In Anlehnung an die geplante Gestaltung des Riesenturms pflanzten sie jüngst einen "Maiskolben-Turm" in die Fußgängerzone von St. Petersburg. Als "Maiskolben" wird der geplante Wolkenkratzer in Form einer überdimensionalen Gasflamme von der Bevölkerung verspottet. Zu den kreativen Protestideen zählte auch ein Wettbewerb, bei dem die Petersburger in Fotomontagen ihre Stadt mit dem Turm zeigen sollten. Auf dem Siegerentwurf überschattet ein blaukalter Turm die liebliche Fassade des Smolny-Klosters
Siegerentwurf der Fotomontage. Quelle: Gazprom-City.spb.ru.Überrascht vom Widerstand versucht der russische Energiekonzern, mit einem abgeänderten Konzept die Wogen zu glätten. Das Projekt soll statt des ursprünglich geplanten Namens "Gazprom City" den Namen des Stadtteils bekommen und nun "Ochta Zentrum" heißen. Gazprom plant in den Komplex unter anderem ein Theater, eine Bibliothek, einen Sportclub, ein Schwimmbad, ein Zentrum für Moderne Kunst und ein Historisches Museum zu integrieren. "Das Projekt ist damit kein einfacher Bürobau mehr, sondern dient der gesellschaftlichen Entwicklung des gesamten Stadtteils", hebt Gazprom-Manager Alexej Miller hervor. Auch der Finanzierungsplan wurde geändert. Anstatt der vorgesehenen Komplettfinanzierung des Milliardenprojekts durch die Stadt mit der Aussicht auf zukünftige milliardenschwere Gewerbesteuereinnahmen, muss der Stadthaushalt jetzt nur knapp die Hälfte der Projektkosten tragen. Ein Teil des Business Centers wird außerdem in den Besitz der Stadt übergehen, anstatt Eigentum des Energiekonzerns zu bleiben. Am heftig kritisierten Architekturplan allerdings hält Gazprom fest: Im Mittelpunkt soll weiterhin der 300 Meter hohe Wolkenkratzer in Form einer überdimensionalen Gasflamme entstehen. Um das historische Stadtbild zu bewahren, sind für Bauten in der Petersburger Innenstadt allerdings maximal 48 Meter Höhe erlaubt - für den Gazprom-Turm müsste die entsprechende Regelung gekippt werden. Am 8. Mai soll die Entscheidung über eine mögliche Änderung der Höhenvorgaben sowie über die Endversion des Gesamtprojekts fallen.
"Jedem Depp seinen Turm" - Straßentheater gegen Gazprom. Quelle: Gazprom-City.spb.ruTatjana Krassawina ist Vorsitzende der Bürgerinitiative "Ochta-Bogen", die ebenfalls dem Riesenprojekt die Stirn bieten will. "Die Änderung der Höhenvorschriften wollen wir unbedingt verhindern", betont sie. "Wir machen Pressearbeit, sprechen mit den Abgeordneten des Regionalparlaments, organisieren Protestkundgebungen und nehmen an der Sendung "Dialog mit der Stadt" teil, in der die Bürgermeisterin Rede und Antwort steht."Die Aktivisten warnen vor einer Zunahme der Staus auf der Uferpromenade durch die tägliche An- und Abfahrt von Tausenden von Geschäftsleuten. Um Platz für das steigende Verkehrsaufkommen zu schaffen, sei der Abriss der angrenzenden historischen Gebäude nur eine Frage der Zeit. Dass Gazprom nach den Protesten finanzielle Zugeständnisse machte, erfüllt Tatjana Krassawina mit Stolz. "Wir haben die 30 Milliarden Rubel und die Territorien, die die Stadt nach dem neuen Plan bekommen wird, zurückgewonnen. Dazu haben wir der Stadtverwaltung klar gemacht, dass wir Bürger die Gesetze sehr wohl kennen." Zudem hält sie es für "unglaublich, wie unverfroren für zukünftige Steuerzahler einfach geltendes Recht ignoriert oder geändert wird. Wir werden alle weiteren Schritte juristisch genau prüfen".Julia Minutina von der Organisation "Lebendige Stadt" steht dem Vorhaben, St. Petersburg durch neue Architektur ästhetisch zu entwickeln, durchaus positiv gegenüber. "Aber es gibt Stadtteile, in die ein solcher Wolkenkratzer besser hineinpasst als in die Altstadt" sagt sie. Das ganze Projekt sei außerdem nicht nur ästhetisch, sondern auch wirtschaftlich sinnlos. "Wir haben bereits zwei Beispiele solcher ewigen Riesenbaustellen in Russland, an denen nichts mehr voran geht: Das im Volksmund so genannte "Loch" neben dem Moskauer Hauptbahnhof, und die geplante zweite Bühne des berühmten Marinski-Theaters in St. Petersburg. In beiden Fällen wurden die im Weg stehenden alten Gebäude abgerissen, ohne dass über den Neubau bereits endgültig entschieden wurde."
Aktion "Beerdigung von St. Petersburg". Quelle: Gazprom-City.spb.ruMinutinas Organisation traf sich auch mit einer Delegation der UNESCO und informierte sie über das geplante Projekt. Die Delegation kritisierte daraufhin die Baupläne und drohte damit, der alten Innenstadt St. Petersburgs den Weltkulturerbe-Status abzuerkennen, sollte der Turm tatsächlich gebaut werden. Jetzt hofft die Organisation "Lebendige Stadt" auf die nächste Tagung des Welterbekomitees der UNESCO ab 23. Juni in Neuseeland, auf der über Maßnahmen beraten werden soll."Uns geht es vor allem um die Ästhetik, aber die Bewohner des Stadtviertels Ochta sorgen sich auch darum, während der auf zehn Jahre angelegten Konstruktionszeit auf einer permanenten Großbaustelle leben zu müssen", erklärt Julia Minutina weiter. Deshalb veranstalteten sie in Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative "Ochta-Bogen" zwei Kundgebungen in dem betroffenen Stadtviertel, an denen rund 200 Menschen teilnahmen."Gazprom interessiert sich nicht für die Meinung von Bürgern und Fachleuten. Die junge Generation soll nicht mitentscheiden dürfen, ob die 300 Jahre alte Skyline von St. Petersburg verändert wird", kritisiert auch Dmitrij Zwanija, der Koordinator des oppositionellen Internetportals "Gazprom-City.spb.ru". Die Gruppe der Projektgegner um Zwanija, die das Portal regelmäßig mit den aktuellsten Informationen zur Projektplanung füttert, zählt fünfzig bis hundert Mitglieder. Neben der Betreuung der Website bemühen sie sich nach Kräften, auch außerhalb des Internets auf die Probleme des geplanten Milliardenprojekts aufmerksam zu machen. "Die Stadtverwaltung genehmigt unsere Protestaktionen nicht, daher veranstalten wir meistens spontane Blitzaktionen", erklärt Dmitrij Zwanja die Strategie seiner Gruppe. Während des Besuchs der UNESCO-Delegation inszenierten sie die "Beerdigung" St. Petersburgs: Mit schwarzen Kränzen, Friedhofslichtern und Totengesängen betrauerten sie den Verlust der St. Petersburger Seele, die für einige Milliarden Euro an einen Energiekonzern verkauft wurde.Ende
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