Bulgarien

Bald nur noch Beton?

Jordanka Dineva ist wütend. Verzweifelt. Enttäuscht. Die Umweltaktivistin der Biodiversity Foundation zeigt auf eine Karte von Bulgarien. Rote und grüne Zonen sind dort eingetragen. Grün ist wenig zu sehen, rot überwiegt. Die roten Gebiete sind diejenigen, die die bulgarische Regierung von der Natura-2000-Liste gestrichen hat - vorläufig. Die Gebiete würden bis zum Herbst nochmals geprüft, heißt es.Für die Streichung von Schutzgebieten hatten Proteste vor allem von Bauinvestoren gesorgt. Ursprünglich waren 20 Prozent der Landesfläche Bulgariens von Experten in die Liste des europäischen Naturschutzprogramms Natura 2000 aufgenommen worden. Sie umfasst Gebiete, die die Artenvielfalt und die Lebensräume wildlebender Tiere und Pflanzen in Europa erhalten soll. Anfang Januar - pünktlich zum EU-Beitritt - hätte die Liste in Brüssel eingereicht werden müssen. Doch nach deren Veröffentlichung war die Regierung vor den Protesten der Wirtschaft eingeknickt.


Das Rhodopen-Gebirge / Simone Böcker, n-ost

"In allen Gebieten, die nun gestrichen wurden, gibt es Wirtschaftsinteressen", sagt Jordanka. "Das hat die Regierung sogar als offiziellen Grund angegeben, um diese Gebiete jetzt nochmals zu prüfen." Die Holzindustrie möchte das Holz in den alten Wäldern des Rhodopengebirges fällen, in den hohen Bergen im Pirin und Stara Planina entstehen Skiressorts, an der Schwarzmeerküste geht es um alle Arten von Massentourismus-Komplexen. "Eine wirtschaftliche Begründung ist jedoch nicht zulässig, da es in den Direktiven von Natura 2000 heißt, es dürfe nur nach ökologischen Kriterien entschieden werden", empört sich die Umweltaktivistin.

Die Baubranche boomt in Bulgarien schon seit dem letzten Jahr. Tourismusanlagen in großem Stil sprießen aus dem Boden. Allein 40 Golfplätze sollen in diesem Sommer entstehen - neben unzähligen weiteren Komplexen an der ohnehin schon stark bebauten Schwarzmeerküste. Aber auch die Berge sind interessant für den aufblühenden Skitourismus. Dass viele Projekte dabei schon jetzt gegen bulgarisches Gesetz verstoßen, scheint weder Justiz noch Regierung zu stören. Konsequenzen mussten die Bauherren bislang jedenfalls nicht fürchten. Wie etwa der Investor, der derzeit ungehindert und höchst illegal die Hotelanlage "Slatna Perla" - Goldperle - mitten im Strandja-Nationalpark baut. Er fordert nun zusammen mit dem Bürgermeister der Gemeinde Zarevo vor Gericht, den Status des Nationalparks aufzuheben, weil er seine wirtschaftliche Tätigkeit behindert sieht. Das Gericht will den Antrag prüfen.


Auswüchse des Baubooms an der Schwarzmeerküste / Jutta Sommerbauer, n-ost

Das ist nur möglich in einem Land, in dem Korruption die Hauptspielregel für die Regierung darstellt", meint Andrej Kovatchev von der Balkani Wildlife Association in Sofia. Er selbst hat bereits Bekanntschaft mit der Korruptionspraxis gemacht. In einem Klageverfahren der Organisation gegen einen Umweltsünder wurde ihnen Geld geboten, um das Verfahren einzustellen. Das Gerichtsurteil lautete dann: das Bauprojekt sei zwar illegal, aber nicht von bedeutendem Ausmaß. "Das ist Korruption auf allen Ebenen".

Kovatchev ist überzeugt davon, dass es den meisten Investoren nicht um Tourismus geht. "Die ganze Bautätigkeit dient in Bulgarien der Geldwäsche - die neuen Hotelkomplexe, die überall entstehen, sind dafür eine sehr geeignete Methode."Die Umweltschützer haben in ihrem Kampf gegen diese Methoden schlechte Karten. Durch gezielte Desinformation haben es die Investoren geschafft, auch die Bevölkerung gegen Natura 2000 aufzubringen. "Sie haben den Leuten in den Gebieten, die zu Natura 2000 zählen sollen, gesagt, ihr Land würde an Wert verlieren", berichtet Jordanka Dineva.

Mangels staatlicher Aufklärungskampagne hätten es die Investoren leicht gehabt. "Sie haben die Menschen angelogen, um das Land billig aufzukaufen." Mit ihren Kollegen von anderen Organisationen fährt Jordanka nun durchs Land, um die Menschen über die wahren Ziele des EU-Naturschutzprogramms aufzuklären.Eine schwierige Aufgabe - liegt im Tourismus doch eine der größten Hoffnungen auf ökonomischen Aufschwung in Bulgarien. Allerdings fehlt es an Konzepten, Strategien und Know-how, um den Tourismus tatsächlich nachhaltig zu entwickeln, beklagen auch Fachleute. "Wir dürfen nicht nur auf Massentourismus setzen", meint Ilyan Ivanov vom National Hospitality Management Club.

Tatsächlich blieben im letzten Jahr vor allem deutsche Touristen der Schwarzmeerküste fern - wegen der hohen Dichte und der schlechten Qualität der Bebauung. Ivanov hofft nun wie Balkani Wildlife und andere Umweltorganisationen auf klare Signale aus Brüssel, auf Sanktionsandrohungen bei Nichterfüllung der Natura 2000 Kriterien. Doch müsse dies schnell geschehen, sagt Andrej Kovatchev, angesichts der Geschwindigkeit, mit der gebaut werde. "Wir kommen in die EU mit einem der größten Naturschätze an Artenvielfalt in Europa. Doch ist die Gefahr groß, dass wir in manchen Regionen bald kein freies Plätzchen mehr finden, sondern nur noch Beton."


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