Bulgarien

Wo Orpheus und Eurydike sich Gute Nacht sagen

Grün. Weit und breit nichts außer Grün. Wiesen mit Blumen in unendlichen Farbschattierungen. Nadelwälder, die sich über die sanft geschwungene Hänge erstrecken. Die Tannen stehen so gerade, als habe sie jemand wie Nadeln in den Boden gesteckt. Hier, im südlichen Bulgarien, fast an der Grenze zu Griechenland, liegt ein Gebirge, das europäische Touristen erst noch entdecken müssen: die Rhodopen. Der höchste Gipfel misst immerhin  2190 Meter und die Berge bestechen durch abwechslungsreiche Landschaften mit wilder Natur, durch eine Vielfalt an Pflanzen und Tieren und ein mildes Klima. Auf zahlreichen Wanderwegen kann man diese Gegend bequem zu Fuß entdecken."

Die Rhodopen sind wegen ihrer Geschichte sehr wichtig für die Bulgaren", erzählt Bergführerin Radi. Nach der Legende soll hier Orpheus geboren sein. Als er von den Mänaden zerrissen wurde, entstand aus jedem seiner Blutstropfen eine Blume - die Orpheusblume, die nur in diesem Gebirge vorkommt. "Die Menschen hier erzählen, dass man beim Sonnenuntergang die Schatten von Orpheus und seiner geliebten Eurydike auf den Wiesen sehen kann".


Die Landschaft der Rhodopen ist vor allem durch das satte Grün der Pfanzen geprägt. / Simone Böcker, n-ost


Weitere Informationen

Reisezeit: Hochsaison ist von Juni bis August. Zum Wandern eignen sich der Mai und Juni, der Spätsommer und Herbst. In den höheren Bergregionen kann allerdings noch lange Schnee liegen.

Anreise: Internationale Flughäfen gibt es in Sofia, Varna, Burgas und Plovdiv. Linienflüge der Lufthansa gehen täglich, günstiger fliegt die bulgarische Linie Hemus Air von Köln und Berlin nach Sofia. Charterfluggesellschaften bedienen hauptsächlich die Schwarzmeerküste. Mit dem Zug ab München dauert es etwa 26 Stunden. Mit dem Auto geht es über Serbien. Die Straßenqualität in Bulgarien ist allerdings nicht immer die beste - besonders auf kleinen Gebirgsstraßen.

Transport: im Land kommt man gut und günstig mit Bussen und dem Zug auch in kleinere Orte.

Veranstalter: Wander- und Kulturreisen bietet "Hauser exkursionen international" an. Das Programm bietet leichte bis anspruchsvolle Tageswanderungen im Rhodopen-, Rila- und Pirin-Gebirge. Außerdem Besichtigungen der Städte Sofia und Plovdiv, das Rila-Kloster (UNESCO-Weltkulturerbe), das Batschkovokloster bei Plovdiv, Höhlen und andere kulturell interessante Plätze. (Tel: 089/ 235006-0, www.hauser-exkursionen.de)

Die bulgarische Reiseagentur Odysseia-In (www.odysseia-in.com) betreibt sanften Tourismus und bietet Rundreisen und Trekking-Touren. Von Vogelbeobachtung über Klettern bis zum Skifahren kann hier alles gebucht werden.Unterkunft: Die Anzahl an Übernachtungsmöglichkeiten ist groß. Große Hotelketten entsprechen europäischem Standard. Zum Land kennen lernen und günstiger sind Pensionen und Privatzimmer, die es überall gibt. Es kann auch in Klöstern übernachtet werden.

Informationen: Bulgarisches Fremdenverkehrsbüro, Eckenheimer Landstraße 101, 60318 Frankfurt; Tel: 069/ 295284. Im Internet unter www.bulgarien-web.de. Ausführliches in englischer Sprache auf den Seiten des bulgarischen Fremdenverkehrsamtes www.bulgariatravel.org.


Mythen und Legenden - auch die jüngere Geschichte bietet dafür geeigneten Stoff. Auf unserer Wanderung vom Dörfchen Gela umrunden wir den Gipfel Karluk. Hier werden wir in Form einer Festungsruine an die Eroberung Bulgariens durch die Türken im 14. Jahrhundert erinnert. Die Rhodopenbewohner widerstanden der türkischen Armee am längsten, viele Freiheitskämpfer stammten aus dieser Gegend. Hier wurden die letzten bulgarischen Aufständischen nach langer Belagerung getötet und ihre Knochen wurden von der Bastion heruntergeworfen. Da liegen sie noch heute und geben dem Berg seine mystische und verzauberte Aura. In zahlreichen Liedern leben diese und ähnliche Geschichten von Kampf und Leid, von Freiheit und Unterdrückung auch heute noch weiter.

Der Weg führt über üppig duftende Wiesen mit hohen Gräsern und einer ungeheuren Vielfalt an Blumen, von denen viele nur in den Rhodopen vorkommen. Unterschiedliche wilde Orchideen, Knabenkraut, die Türkenbundlilie. Tausende von Königskerzen stehen am Wegesrand Spalier. Bei Jagodina und Trigrad wird die Landschaft schroffer: plötzlich tauchen tiefe Schluchten und wilde Flüsse auf. In dem felsigen Karstgebirge verstecken sich Tausende von Höhlen, von denen einige zu besichtigen sind.

Hier glitzert eine Ursprünglichkeit auf, die nur noch wenigen europäischen Landstrichen zu Eigen ist. Nur hin und wieder wird die Landschaft von kleinen, durch Handarbeit unregelmäßig geformten Feldern unterbrochen. Alte Frauen in blauen Kitteln und bunten Kopftüchern stehen gebückt zwischen den schnurgeraden Reihen und zupfen an den Kartoffelpflanzen. Ab und zu ein kleines Dörfchen mit rauchenden Schornsteinen, geheizt und gekocht wird noch immer mit Holz. Pferdekarren, mit Heu beladen, rattern über die steinigen Straßen. Sehenswert ist das Architekturreservat Shiroka Luka mit seinen Wiedergeburtshäusern. Typisch für diese traditionellen Wohnhäuser sind die hölzernen Balkone und geschnitzten Dachgesimse.


Eine Reiterin auf einem Bergpass in den bulgarischen Rhodopen an der Grenze zu Griechenland. Foto: Simone Böcker

Doch das Leben scheint abgeschieden und auch im 21. Jahrhundert fern der modernen Welt. Holzscheite stapeln sich an den Häuserwänden, in den Gärten wachsen Kartoffeln, Bohnen schlängeln sich an gekreuzten Stöcken empor. Nichts geht hier mit Maschinen. "Wir sind die schwere Arbeit gewöhnt", sagt eine alte Frau und bietet uns von ihren geernteten Erdbeeren an. Ihr runzeliges Gesicht spricht von Sonne, von Kraft, vom Überleben in schwierigen Zeiten. Sie kocht gerade Obst für den Winter ein - in einem Topf über dem Holfeuer brodeln die Gläser auf dem Bürgersteig. "Jeder hier im Dorf macht das. Aprikosen, Pfirsiche, Kirschen werden im Sommer eingekocht, im Herbst dann das Gemüse. Und jeder macht es da, wo es Platz gibt."

Hauptsächlich die alten Leute leben noch hier - die Jungen sind schon längst in den Städten oder im Ausland. Wie überall ist die Arbeitslosigkeit in den Dörfern groß. Die, die bleiben, arbeiten saisonweise in den neuen Ski-Touristenorten Pamporovo oder Bansko, auf dem Bau, oder in den ausländischen Textilfabriken, die sich angesiedelt haben und mit Dumpinglöhnen billige Kleidung auf den europäischen Markt werfen. Den Tabakanbau, von dem die Menschen in vielen Orten der Rhodopen gelebt haben, geben immer mehr von ihnen auf. Zu wenig Geld gibt es vom Staat dafür. Dennoch bleibt die Landwirtschaft für die meisten die einzige Möglichkeit, wenigstens ihre eigene Versorgung zu sichern.


In den Rhodopen scheint die Welt still zu stehen. Foto: Jutta Sommerbauer

Doch langsam wird die Schönheit der bulgarischen Natur auch von Touristen entdeckt. Und von Ausländern, die in Erwartung ihrer Pensionierung oder eines attraktiven und günstigen Urlaubsdomizils im künftigen EU-Land Immobilien erwerben, wodurch die Marktpreise in den letzten Monaten in die Höhe schossen. Trendige Skiressorts wie Bansko gehören zu den bevorzugten Reisezielen. Aber auch der Öko- und Wandertourismus nimmt zu. Die Gastfreundschaft der Bulgaren kann man am besten kennen lernen, wenn man in einem der kleinen Familienhotels absteigt.

Zum Abendessen werden die typischen bulgarischen Speisen zubereitet, meist mit frischem Gemüse aus dem eigenen Garten. Nach dem Essen schenkt der Hausherr vielleicht ein Gläschen Rakija ein - der bulgarische Schnaps. Selbstgemacht, versteht sich. Und vielleicht wird man es erleben, dass einige der Rhodopenlieder angestimmt werden. Die von den Legenden der Freiheitskämpfer erzählen oder von der Liebe zu den wunderschönen Bergen, die dann langsam in der Abenddämmerung verschwinden.


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