Klarer Sieg der Demokraten in Serbien
Die demokratischen Parteien haben die Parlamentswahl in Serbien klar gewonnen und fast zwei Drittel der 250 Sitze errungen. Die ultranationalistischen Radikalen sind zwar stärkste Kraft geblieben, dürften aber für die Regierungsbildung kaum einen Partner finden.Staatspräsident Boris Tadic platzte fast vor Freude, als er am Sonntag kurz vor Mitternacht sichtlich gutgelaunt vor die Medien trat. Denn seine Demokratische Partei (DS) hatte soeben das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Mit 65 Sitzen errang die DS nicht nur annähernd doppelt so viele Mandate wie bei den letzten Wahlen im Dezember 2003, sondern sie stellte auch ihren Führungsanspruch im demokratischen Lager unmissverständlich unter Beweis.
Die nationalkonservative Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Ministerpräsident Vojislav Kostunica hingegen büßte nach Angaben der Wahlforscher des Belgrader Zentrums für freie Wahlen und Demokratie (CeSID) sechs Sitze ein und kommt noch auf 47 Mandate. Ebenfalls die 5-Prozent-Hürde übersprangen die Wirtschaftsreformer von G17 Plus mit 19 Sitzen und die proeuropäischen Liberaldemokraten (LDP) mit 15 Sitzen. Somit kommt das demokratische Lager auf 146 Mandate und verfügt damit über eine deutliche Mehrheit im 250 Sitze umfassenden serbischen Parlament.
Staatspräsident Boris Tadic ist mit dem Wahlergebnis sehr zufrieden / Norbert Rütsche, n-ost
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums konnten die ultranationalistischen serbischen Radikalen (SRS) ihre uneingeschränkte Vormachtstellung behaupten. Die Partei des vor dem UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten Vojislav Seselj gewann 81 Sitze und bleibt damit stärkste Partei. Allerdings verfehlte die SRS die angestrebte absolute Mehrheit deutlich. Zusammen mit den Sozialisten (SPS) des verstorbenen früheren Präsidenten Slobodan Milosevic, die nur 16 Mandate errangen, stellt das nationalistische, europakritische Lager künftig noch 97 Parlamentarier. Die restlichen sieben Sitze verteilen sich auf nationale Minderheiten (Ungarn, Bosniaken, Roma), die erstmals von der Fünf-Prozent-Hürde befreit waren. Die Beteiligung an der von der OSZE-Beobachtermission als frei und fair bezeichneten Wahl lag bei 60 Prozent.
Obwohl die Radikalen als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgingen, gilt als sicher, dass Staatspräsident Tadic seine Demokratische Partei (DS) mit der Regierungsbildung beauftragen wird. Denn die Ultranationalisten werden nicht in der Lage sein, eine parlamentarische Mehrheit hinter sich zu bringen. Dies bestätigte auch der SRS-Vizechef Tomislav Nikolic: „Wir haben zwar gewonnen, aber wir haben keinen Partner für eine Koalition.“ Der DSS-Vorsitzende und Ministerpräsident Vojislav Kostunica wollte noch keine Aussagen zu möglichen Regierungspartnern machen. Um seine Position im wohl bevorstehenden Kräftemessen mit Tadics DS zu verbessern, schloss er auch eine Zusammenarbeit mit Seseljs Radikalen nicht explizit aus.
DSS und Radikale kämen zusammen auf eine knappe Mehrheit von 128 Sitzen. Allerdings ist kaum davon auszugehen, dass die beiden Parteien gemeinsam eine stabile Regierung bilden können. Denn einzig in der Kosovo-Frage vertreten sie ähnliche Standpunkte. Während Kostunica sein Land nach Europa führen möchte, stehen die Radikalen einer Öffnung nach Westen äußerst kritisch gegenüber.
Am wahrscheinlichsten scheint die Bildung einer Regierung aus Tadics DS, Kostunicas DSS und den Wirtschaftsexperten von G17 plus zu sein, die gemeinsam 131 Sitze aufweisen. Die drei Parteien eint das Ziel eines möglichst schnellen EU- und Nato-Beitritts Serbiens. Die bisher nicht im Parlament vertretenen Liberaldemokraten (LDP) dagegen kündigten bereits an, dass es für sie keine Kompromisse mit der Politik von Ministerpräsident Kostunica gebe. Der charismatische LDP-Chef Cedomir Jovanovic, einst engster Mitarbeiter des ermordeten Reformpremiers Zoran Djindjic, rief seinen Anhängern in der Nacht auf Montag zu: „Unser Sieg ist ein Sieg für alle, die unter schwierigsten Umständen im Kosovo leben.“ Jovanovics LDP hatte sich im Wahlkampf als einzige Partei offen für eine Unabhängigkeit des Kosovo ausgesprochen.
Ein europäisch-serbisches Nummerschild / Jo Dethlefs, n-ost
Genau die Kosovo-Frage ist es, die die Regierungsbildung in die Länge ziehen oder gar zum Scheitern bringen könnte. Denn in den nächsten Tagen und damit in der Phase erster Koalitionsgespräche wird der UN-Sondergesandte Martti Ahtisaari seinen Plan für den künftigen Status des Kosovo vorlegen und wahrscheinlich eine bedingte Souveränität unter internationaler Aufsicht vorschlagen. Tadic und Kostunica eint zwar die strikte Ablehnung einer Abspaltung des Kosovo von Serbien. Allerdings ist unklar, wie die beiden führenden demokratischen Parteien auf Ahtisaaris Vorschlag reagieren werden. Tadic gilt in dieser Frage als viel kompromissbereiter als Kostunica. Denn der Ministerpräsident gab im Wahlkampf mehrfach zu erkennen, dass er wegen der Kosovo-Frage die an sich angestrebte Annäherung an die EU aufs Spiel setzen könnte.
Dies wäre nicht das erste Mal. Weil Kostunica den politischen Willen vermissen ließ, den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic zu verhaften und an das Haager UN-Tribunal zu überstellen, setzte die EU die Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien im Mai 2006 aus. Die Milosevic-Sozialisten, auf deren Tolerierung die Minderheitsregierung bislang angewiesen war und die das Haager Kriegsverbrechertribunal nicht anerkennen, sind im neuen Parlament nicht mehr von Bedeutung. Somit fehlt Kostunica in Zukunft das politische Argument gegen eine vollständige Zusammenarbeit mit dem UN-Gericht, wie sie Tadic schon lange fordert.
Der Staatschef versprach im Falle einer Regierungsübernahme seiner DS, alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher, die sich in Serbien verstecken, so rasch wie möglich zu verhaften. Kostunica allerdings war bisher nur bereit, Angeklagte auszuliefern, die sich freiwillig gestellt hatten. Auch an dieser Frage dürften sich die möglichen Koalitionspartner noch die Zähne ausbeißen. Momentan ist nur eines sicher: Bis zum 25. April muss die neue Regierung stehen. Ansonsten bleibt Präsident Tadic nichts anders übrig, als Neuwahlen anzuordnen.