Russland

Von Stalins Prachtbau zum Betrugsfall

Es war der Stolz der Moskauer Stadtplaner: Als das Hotel Moskwa Anfang der 30er Jahre gebaut wurde, war von dem Glanz des heutigen Repräsentationsviertels zwischen Kreml, Duma und Manege noch nichts zu spüren. Zwischen Holzhäusern und Händlerbuden flitzten Ratten, die Gegend war heruntergekommen und dreckig, im Kriegskommunismus war kein Geld für Pracht und Prunk. Dies sollte sich nun ändern: Das Hotel Moskau sollte eine neue Epoche markieren, vom Sieg des Sozialismus künden. „Der ambitionierte Plan war, der ganzen Welt die Blüte und Macht des Imperiums zu demonstrieren“, erläutert die Architektur-Historikerin Irina Korobina.

Das Hotel Moskau wurde zum Glanzstück des neuen imperialen Architekturstils der Stalinzeit. Der monumentale Kasten im klassizistischen Stil besetzte die ganze Straßenzeile gegenüber der Duma, seine Strenge weichte nur die Fassade mit einigen Rundbögen auf. Aleksej Schtschusew, einer der bedeutendsten Architekten der neuen Epoche, sei mit dem Bau beauftragt worden, sagt Korobina, die Direktorin des Staatlichen Schtschusew-Architekturmuseums ist. Das Hotel wurde zum Symbol Moskaus, zierte Pralinen und die Wodka-Flasche „Stolitschnaja“.

2004 wurde das monumentale Hotel abgerissen. „Da waren finanzielle Interessen im Spiel, anders kann man es nicht erklären“, sagt Korobina. Seit sechs Jahren wird die Nobelherberge wieder aufgebaut – sie ist bis heute aber noch nicht fertiggestellt. Das neue Gebäude, das nach dem Vorbild des alten vom österreichischen Baukonzern Strabag errichtet wird, sollte eigentlich 2010 als Filiale der Kette Four Seasons wieder seine Türen öffnen. Jetzt fehle noch der Innenausbau des Hotels, vor der zweiten Jahreshälfte 2012 würden die Arbeiten nicht beendet, sagte eine Sprecherin von Strabag.

Das Problem: 87,5 Millionen Dollar von dem Geld, die die Stadt Moskau für das Projekt gezahlt hatte, sind verschwunden. Wer das Geld gestohlen hat, ist bislang nicht bekannt – die Behörden ermitteln. Möglicherweise haben die neuen Besitzer selbst vom dem Betrug profitiert. Die Eigentümerstruktur des Hotels ist unklar. Auftraggeber für den Wiederaufbau ist die Gesellschaft Dekmos, die zu 51 Prozent dem amerikanischen Unternehmen Decorum und zu 49 Prozent der Regierung Moskau gehört. Hinter Decorum soll nach Ansicht von Kennern des Immobilienmarktes der Duma-Abgeordnete Aschot Egiasarjan stehen, der dies aber nie offiziell bestätigte.

2009 sei die Stadt Moskau gezwungen gewesen, die Schulden von Decorum zu übernehmen, ansonsten wäre das Hotel an den Kreditgeber, die Deutsche Bank, gegangen, berichtet der Fernsehsender Westi. Dafür sollte die Stadt weitere 25,5 Prozent der Aktien an Dekmos erhalten. Moskau zahlte 87,5 Millionen Dollar Kreditschulden von Decorum an die Deutsche Bank zurück, erhielt aber offenbar nicht das Aktienpaket, wie aus der Polizeiakte zu dem Fall hervorgeht. Der Abgeordnete Egiasarjan ist auf der Flucht, ebenso wie sein Berater Vitalij Gogochija. Gegen beide wird wegen Betrugs ermittelt. Polizisten des Innenministeriums durchsuchten deshalb Anfang Februar die Büros der Deutschen Bank in Moskau. Mit einem 600 Millionen Dollar-Kredit hatte das deutsche Geldhaus einen Großteil des etwa 800 Mio Dollar teuren Objekts finanziert. „Die Ermittlungen richten sich ausschließlich gegen einen Klienten der Bank, nicht gegen die Bank selbst“, versicherte ein Sprecher der Bank. Nach russischen Medienberichten hatte sich Egiasarjan mit einem Miteigentümer über die Höhe seines Anteils gestritten. Ein weiterer Abgeordneter, Sulejman Kerimow, hatte 2009 ein Viertel der Aktien an Dekmos für 100 Millionen Dollar erstanden.

Das Hotel Moskau ist nur ein Beispiel dafür, wie öffentliches Geld in Russland veruntreut wird. Die russische Baubranche ist berüchtigt für Korruption und Betrug. Etwa zwei Billionen Rubel fließen Schätzungen zufolge jährlich aus dem Budget in den Bau – ein großer Teil davon versickert in den Taschen korrupter Beamter und unehrlicher Unternehmer.

Zu Stalins Zeiten hingegen befolgte die Bauleitung ängstlich die Vorgaben des Herrschers. Schtschusew legte dem Generalsekretär zwei Varianten der Fassadengestaltung vor, eine streng klassische und eine mit mehr dekorativen Elementen. Auch heute ist die Front der Nobelherberge asymmetrisch. Der Architekt hatte beide Varianten verwirklicht. Denn Stalin soll seine Unterschrift in die Mitte gesetzt haben – und keiner traute sich nachzufragen, was Iosif Wissarionowitsch wirklich wollte.


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