Wählt Serbien den Weg nach Europa?
Am Wochenende lud die nationalkonservative Demokratische Partei Serbiens (DSS) zu einem Popkonzert ins Zentrum von Belgrad. Bei der Megaparty trat die Turbo-Folk-Sängerin Svetlana Raznatovic "Ceca" auf, die Witwe des 2000 ermordeten Mafiosi und mutmaßlichen Kriegsverbrechers Zeljko Raznatovic "Arkan". Unter den 100.000 Fans befand sich auch der DSS-Vorsitzende und Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Für zusätzliche Stimmen scheint dem ansonsten eher farblosen Premier jedes Mittel recht zu sein, liegt doch seine Partei nach verschiedenen Umfragen mit 17 bis 21 Prozent nur auf Platz drei der Wählergunst. Doch nachdem beim selben Konzert auch noch Cedomir Jovanovic, Chef der jungen prowestlichen Liberaldemokratischen Partei (LDP), von der Bühne aus beleidigt und als Drogensüchtiger beschimpft wurde, platzte dem serbischen Präsidenten Boris Tadic der Kragen. An die Adresse seines politischen Gegenspielers Kostunica gerichtet, sagte er: "So etwas führt uns erneut in die balkanische Kakophonie, in die Vergangenheit, in neue Konflikte."
Boris Tadic, Chef der Demokratischen Partei (DS) / Norbert Rütsche, n-ost
Tadic ist Chef der Demokratischen Partei (DS), die vom ermordeten Reformpremier Zoran Djindjic mitbegründet wurde und seit den letzten Wahlen von 2003 auf der Oppositionsbank sitzt. Djindjics beliebte Ehefrau Ruzica soll nun der DS als Spitzenkandidatin bei der Rückkehr in die Regierungsverantwortung helfen. Die europafreundliche Partei kann mit 24 bis 28 Prozent der Stimmen rechnen und dürfte damit zweitstärkste Kraft im Land werden. Auf noch mehr Zustimmung darf nur die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) hoffen, laut Prognosen 28 bis 30 Prozent. Damit würden die Radikalen auch im neuen Parlament wie bisher die stärkste Fraktion bilden. Ihr Parteichef Vojislav Seselj ist seit 2003 wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Untersuchungsgefängnis des UN-Tribunals in Den Haag inhaftiert. Noch im Sommer forderte Seseljs Stellvertreter Tomislav Nikolic, notfalls die Armee einzusetzen, um einen Verlust des Kosovo zu verhindern. Auch die Idee eines Großserbiens geistert weiterhin in den Köpfen der SRS-Führungsriege herum.
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Erstmals mit albanischem Wahlbündnis
6,65 Millionen Wahlberechtigte sind dazu aufgerufen, am Sonntag das neue serbische Parlament für eine vierjährige Legislaturperiode zu wählen. Um die 250 Sitze bewerben sich insgesamt 3799 Kandidatinnen und Kandidaten auf 20 Listen, darunter sechs Minderheiten-Listen.
Für den Einzug in das aus nur einer Kammer bestehende Parlament muss eine Fünf-Prozent-Hürde übersprungen werden. Diese gilt allerdings nicht für die Listen der nationalen Minderheiten. Nach einem zehnjährigen Wahlboykott nimmt auch ein Bündnis von drei Albanerparteien aus dem südserbischen Presevo-Tal erstmals wieder an den Parlamentswahlen teil.
Um den Radikalen nicht noch mehr Anhänger in die Arme zu treiben, verschob der UN-Sondergesandte Martti Ahtisaari die für Dezember 2006 geplante Präsentation seines Vorschlages für den künftigen Status des Kosovo – wahrscheinliche eine bedingte Unabhängigkeit unter internationaler Aufsicht – auf Anfang Februar. Denn der Westen will unbedingt verhindern, dass die europakritischen Radikalen in der Regierung Platz nehmen. Doch Ministerpräsident Kostunica hält sich sämtliche Optionen für eine mögliche Regierungsbildung offen.
In der Kosovo-Frage unterscheidet sich seine Position kaum von jener der Ultranationalisten. In einer Anzeige der Tageszeitung "Politika" schrieb Kostunica kürzlich: "Kosovo geben wir nicht her. Es ist noch kein Serbe geboren worden, der Kosovo aufgeben würde." DS-Chef Tadic lehnt zwar eine Abspaltung des Kosovo ebenfalls strikt ab. Doch er weist auch darauf hin, dass Serbien eine derartige Lösung aufgezwungen werden könnte. Für die DS ist eine Koalition mit den Radikalen sowie den Sozialisten (SPS) des verstorbenen früheren Präsidenten Slobodan Milosevic ausgeschlossen. Ob die SPS überhaupt die Fünf-Prozent-Hürde überspringt, bleibt ungewiss.
Dasselbe gilt für Jovanovics Liberaldemokraten, die einzige Partei, die sich mehrfach offen für eine Unabhängigkeit des Kosovo ausgesprochen hat. Die Europäische Union machte deutlich, dass sie auf eine Regierung der demokratischen Kräfte hofft - am liebsten unter der Führung einer starken DS. Deren Vorsitzender Tadic sagte, seine Partei würde im Falle einer Rückkehr an die Macht uneingeschränkt und aktiver als die bisherige Koalition mit dem Haager Tribunal kooperieren und damit den Weg für die rasche Unterzeichnung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU freimachen. Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass es trotz aller Rivalitäten letztlich zu einer Regierung aus Tadics DS und Kostunicas DSS kommen wird.