Russland

Polnisch-russischer "Fleischkrieg"

Gespräche in Berlin über Moskauer Embargo - Merkel und Putin suchen Ausweg
Berlin (n-ost) Der Fleischhandels-Konflikt zwischen Polen und Russland ist längst zu einer Chefsache in der EU geworden. Über das Thema wollen am Sonntag Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen in Sotschi reden. Der Durchbruch soll zuvor schon in Berlin gelingen. Politiker Polens, Russlands und der EU verhandeln seit Mittwoch in der russischen Botschaft über die Aufhebung des Moskauer Importverbots für polnisches Fleisch. Das Ende des vor 14 Monaten verhängten Embargos würde auch den Weg frei machen für ein neues Partnerschaftsabkommen der EU mit Russland.Warschau hat die russische Importerlaubnis für polnisches Fleisch zur Bedingung dafür gemacht, dass es Gesprächen zwischen Brüssel und Moskau über ein Partnerschaftsabkommen zustimmt. Als einziges EU-Land hatte Polen im November sein Veto gegen solche Verhandlungen eingelegt. Die EU-Kommission darf deshalb nicht mit Russland über einen Nachfolgevertrag für das im Herbst auslaufende Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1997 sprechen.Wenn bei den Berliner Verhandlungen alles gut läuft, könnte am Freitag in der Bundeshauptstadt im Beisein des EU-Gesundheitskommissars Markos Kyprianou und des russischen Landwirtschaftsministers Alexej Gordejew eine Absichtserklärung über das Ende des Moskauer Embargos unterschrieben werden. "Wir gehen davon aus, dass Russland sich dann verpflichtet, polnisches Fleisch wieder reinzulassen und die EU gleichzeitig garantiert, dass das Fleisch den Hygienestandards entspricht", sagte der Sprecher der Vertretung der EU-Kommission in Berlin, Harald Händel, dieser Zeitung. Doch seit Mittwoch suchen die Vizelandwirtschaftsminister Polens und Russlands, Marek Zagorski und Sergej Dankwert, in der russischen Botschaft in Berlin erfolglos nach einer Einigung. An den Gesprächen sind auch die EU-Chefveterinärin und Vertreter des Bundeslandwirtschaftsministeriums beteiligt.Moskau begründet sein Einfuhrverbot für polnisches Fleisch mit angeblichen Hygieneproblemen und massiven Fälschungen bei der Deklarierung. Entgegen der Zollzertifikate sei kein hochwertiges Fleisch aus Polen, sondern minderwertiges aus Asien nach Russland geliefert worden. Polnische Fernsehsender sprachen von einem "Fleischkrieg" und zeigten zu Beginn des Embargos schimpfende Lasterfahrer, die an der russischen Grenze abgewiesen wurden. Putin betonte im vergangenen November beim EU-Russland-Gipfel in Helsinki: "Unter den derzeitigen Bedingungen sind wir gezwungen, alle polnischen Lebensmitteleinfuhren weiter zu unterbinden."Premier Kaczynski: Embargo politisch motiviertDie polnische Regierung hatte Fehler bei der Fleischdeklarierung Ende 2005 eingeräumt. Doch längst klagt Premierminister Jaroslaw Kaczynski, das russische Embargo sei nur noch politisch motiviert. Alle Anforderungen würden inzwischen erfüllt. Das bescheinigte Polen auch EU-Kommissar Kyprianou bei einem Besuch in Warschau Anfang dieser Woche. Ebenso solidarisierten sich die EU-Regierungen und das EU-Parlament mit Polen.Auch wenn die Federführung bei den Berliner Verhandlungen bei der EU-Kommission liegt, spielt die Bundesregierung als EU-Ratspräsident eine Schlüsselrolle. Merkel rief am Dienstag den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski an, um über den polnisch-russischen Handelsstreit zu reden. Das Telefonat diente der Vorbereitung ihres Treffens mit Putin am Sonntag, bei dem sie notfalls ein Ende des Handelstreits erreichen will. Schon zuvor hatte sie sich "recht optimistisch" geäußert, "dass wir das Problem der polnischen Fleischexporte nach Russland gelöst bekommen". Bereits im Dezember hatte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei seinem Moskau-Besuch mit Putin "heftig über das polnische Fleisch diskutiert", berichtete die Warschauer Gazeta Wyborcza.Polen liefert nun Fleisch über Umwege nach RusslandWie hoch der Embargoschaden für die polnische Lebensmittelindustrie ausfällt, ist unklar. Schätzungen reichen bis zu 100 Millionen Euro. Das eigentlich für Russland bestimmte Fleisch werde an andere Länder verkauft, heißt es in Warschau. Selbst nach Russland gelange polnisches Fleisch weiterhin - über die Umwege Litauen, Slowakei oder Ungarn mit falschen Etiketten. Es scheint bei dem großen Handelsstreit daher vor allem ums Prestige zu gehen.
Infokasten
Polnisch-russischer Handel boomtDie polnisch-russischen Handelsbeziehungen entwickelten sich im vergangenen Jahr trotz des russischen Fleischembargos prächtig. Neuesten offiziellen Zahlen zufolge legten Polens Ausfuhren nach Russland in den ersten zehn Monaten gegenüber demselben Zeitraum des Vorjahres um 18 Prozent zu: auf 3,4 Milliarden Euro. Agrarprodukte spielen nur eine untergeordnete Rolle. Am wichtigsten sind chemische Produkte.Russland belegt Platz sechs auf der polnischen Exportrangliste. Über vier Prozent der polnischen Ausfuhren gehen in den einstigen Bruderstaat. Bei den Importen nimmt Russland mit einem Anteil von zehn Prozent sogar den zweiten Platz ein. Er wächst ebenfalls stark. Aber auch Polens Handelsdefizit mit Russland nimmt zu. Polen importiert mehr als doppelt soviel aus Russland als es nach Russland exportiert.

Ende----------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt.Oliver Hinz

Zwei Belegexemplare gerne auch als pdf bitte an:n-ost
Schillerstraße 57
10627 Berlin
Mail: n-ost@n-ost.org


Weitere Artikel