Serbien

Das Kosovo als Wahlkampf-Instrument in Serbien

Die Kosovo-Frage ist eines der dominanten Wahlkampf-Themen in Serbien. Der nationalkonservative Ministerpräsident Kostunica wird nicht müde zu betonten, das Kosovo gehöre "auf ewig" zu Serbien und verlangt eine Kompromiss-Lösung. Doch die Positionen auf kosovo-albanischer und auf serbischer Seite sind unvereinbar: Prishtina/Pristina will so rasch wie möglich die Unabhängigkeit des Kosovo, Belgrad lehnt dies kategorisch ab.

Die Macht in der Kosovo-Hauptstadt Prishtina/Pristina ist auf engem Raum konzentriert: es ist ein und derselbe Zaun, der den Sitz des Präsidenten, das Parlament und das Regierungsgebäude umspannt. Innerhalb des Zauns scheint es so etwas wie ein Markenzeichen zu geben: die konsequente Dreisprachigkeit bei allen Beschriftungen. An den Bürotüren, bei der Sicherheitskontrolle, am Personenaufzug, alles ist in den drei offiziellen Sprachen - Albanisch, Serbisch und Englisch - des seit 1999 von der Uno verwalteten Kosovo angeschrieben.

In etwas abgeänderter Form ist dieses "Markenzeichen" auch außerhalb des Zauns wahrnehmbar: Im Stimmengewirr auf den Strassen des fast nur von Albanern bewohnten Prishtina/Pristina ist - nebst dem Englisch der Internationalen - immer wieder auch Serbisch zu hören, ohne dass sich jemand daran stören würde. Noch vor drei Jahren hätte sich kaum ein Serbe gewagt, in der Kosovo-Hauptstadt öffentlich in seiner Muttersprache zu sprechen.

Die konsequente Dreisprachigkeit soll eine Botschaft vor allem an ausländische Beobachter sein: Das Kosovo ist reif, ein unabhängiger und demokratischer Staat zu werden, in dem die Minderheiten selbstverständlich dazugehören. Dafür steht auch Fatmir Sejdiu, der seit Februar 2006 Präsident des Kosovo ist und das Erbe seines verstorbenen charismatischen Vorgängers und Parteifreundes Ibrahim Rugova konsequent weiterführt. "Wir wollen die Versöhnung mit den im Kosovo lebenden Serben. Wir wünschen uns, dass sie hier bleiben und so auch eine Brücke zu Serbien sein können", erklärt der ehemalige Rechtsprofessor gegenüber dieser Zeitung.


Blerim Shala, der Leiter der kosovarischen Delegation bei den Wiener Verhandlungen / Norbert Rütsche, n-ost

Doch Sejdius Worte stoßen bei den meisten Kosovo-Serben auf taube Ohren. Ja, er werde gehen, meint der 32-jährige Dejan Stojanovic aus Novoberda/Novo Brdo im Osten des Kosovo, während er auf dem Feld vertrocknete Maisstauden zusammenräumt. Und fügt hinzu: "Sollte das Kosovo unabhängig werden, wird kein einziger Serbe hier bleiben." Dieser Satz wird besonders in den serbischen Enklaven fast gebetsmühlenartig vorgetragen.

Von den zirka 5000 Einwohnern der Gemeinde Novoberda/Novo Brdo sind je rund die Hälfte Serben und Albaner. Der Serbe Petar Vasic amtet als Bürgermeister, der Albaner Xhemajl Novoberdaliu als sein Stellvertreter. Probleme zwischen den Ethnien gebe es hier keine, versichern die beiden übereinstimmend. "Sie finden im Kosovo keine andere Gemeinde, in der Serben und Albaner gemeinsam in denselben Büros arbeiten", verkündet Vasic stolz. Doch all das reicht für ihn nicht aus, um sich in einem unabhängigen Kosovo sicher zu fühlen. Auch er würde gehen, sagt Petar Vasic. Sein Vize Xhemajl Novoberdaliu bedauert dies. Zuerst sprich er Albanisch, wechselt dann aber auf Serbisch, damit ihn auch Bürgermeister Vasic versteht: "Wenn wir jetzt zusammenleben können, ist das doch auch nach der Statusentscheidung möglich. Wir teilen die Geschichte, wir alle haben die Gräber unserer Familien hier." Aber Bauer Dejan Stojanovic spricht aus, was viele Serben in diesen Tagen umtreibt: "Es ist nicht die Angst vor Gewalt. Nein", sagt er mit einer Mischung aus Trauer und Trotz in seiner Stimme, "ich habe Angst, zu einem Bürger zweiter Klasse zu werden".

Einer der wenigen serbischen Politiker, der seine Leute immer wieder zum Bleiben auffordert, ist Oliver Ivanovic, Abgeordneter der "Serbischen Liste für Kosovo und Metohija" (SLKM) im Kosovo-Parlament. "Sollte es tatsächlich zur Unabhängigkeit des Kosovo kommen, dann empfehle ich allen, erstmal abzuwarten und die Lage in Ruhe einzuschätzen. Niemand muss sofort seine Sachen packen und gehen." Ivanovic bedauert, dass die serbische Regierung die Kosovo-Serben nie klar und eindeutig dazu aufgerufen hat, im Kosovo zu bleiben. Vielmehr malt sie immer wieder Szenarien einer Massenflucht an die Wand.

Von der neu gebauten serbisch-orthodoxen Kirche des Heiligen Dmitrij im Nordteil seiner Heimatstadt Mitrovica zeigt Ivanovic auf die Brücke über den Fluss Ibar, die Trennlinie zwischen den im Süden der einstigen Bergbau-Stadt lebenden Kosovo-Albanern und den Serben im Norden. Kosovarische und internationale Polizeikräfte sichern die Brücke, an der es in der Vergangenheit immer wieder zu Zusammenstössen zwischen den verfeindeten Volksgruppen gekommen ist. Fast 95 Prozent der etwa 60.000 Menschen, die in Nord-Mitrovica und im Nordzipfel des Kosovo leben, sind Serben, Ivanovic ist wohl der bekannteste von ihnen. Wie kein anderer kosovo-serbischer Politiker tritt der 53jährige für eine Emanzipierung von Belgrad ein. Sollte das Kosovo aber ein souveräner Staat werden, sagt Ivanovic für den serbisch dominierten Norden neue Spannungen voraus: "99 Prozent der Leute hier werden dann ihre Unabhängigkeit von einem unabhängigen Kosovo erklären." Er persönlich sei allerdings strikt gegen derartige Proklamationen. Zudem befürchtet Ivanovic, kosovo-albanische "Extremisten könnten dies als 'Einladung' ansehen, Serben zu töten".


Der kosovo-serbische Politiker Oliver Ivanovic in der neuen serbisch-orthodoxen Kirche des Heiligen Dmitrij in Mitrovica / Norbert Rütsche, n-ost

Um die Situation zu entschärfen, schlägt Oliver Ivanovic ein zehnjähriges Moratorium vor, in dem nicht über den Kosovo-Status verhandelt wird. "Dafür sollten wir in dieser Zeit die Alltagsprobleme angehen." Denn ein Kompromiss - und dies sei der einzige tragfähige Weg - sei derzeit unmöglich zu erreichen. Auch Slobodan Samardzic, der Leiter der serbischen Delegation bei den im Februar begonnenen Wiener Status-Verhandlungen, plädiert für eine Lösung, der alle Seiten zustimmen können. "Wir brauchen einen Kompromiss. Man kann eine solch komplizierte Frage nicht in ein paar wenigen Monaten entscheiden", betonte Samardzic im Gespräch mit dieser Zeitung am Sitz der serbischen Regierung in Belgrad. Zudem fehle derzeit das gegenseitige Vertrauen. "In zehn Jahren sind unsere Beziehungen aber vielleicht so, dass Serbien sogar die Unabhängigkeit des Kosovo annehmen kann. Alles ist möglich." Diese Aussage lässt aufhorchen. Denn während der ganzen Abstimmungskampagne um das serbische Verfassungsreferendum Ende Oktober wie auch im laufenden Wahlkampf hat Serbiens Regierungschef Kostunica seinen Anhängern stets zugerufen, das Kosovo sei "auf ewig" ein Teil Serbiens.

Blerim Shala, der Leiter der kosovarischen Delegation bei den Wiener Verhandlungen und damit Samardzics Gegenüber, will aber nicht mehr länger auf eine Lösung warten: "Die serbischen und unsere Positionen sind klar, daran wird sich auch in den nächsten 15 Jahren nichts ändern." Es müsse jetzt eine Entscheidung her, selbst wenn eine Seite nicht einverstanden sei. "Eine rasche Klärung der Kosovo-Frage ist für die Stabilität des ganzen Balkans von immenser Bedeutung." Shala, der Chefredakteur der kosovo-albanischen Tageszeitung "Zeri" und des gleichnamigen Wochenmagazins ist, lässt keinen Zweifel daran, dass er die volle Unabhängigkeit des Kosovo erwartet. Die Ängste vieler Kosovo-Serben, dann nur noch Bürger zweiter Klasse zu sein, hält er für unbegründet und appelliert an die einflussreiche serbisch-orthodoxe Kirche, die Serben zum Bleiben aufzurufen.

Shala zählt zahlreiche Maßnahmen auf, mit denen das Vertrauen der serbischen Minderheit in ein unhängiges Kosovo gestärkt werden soll: Serbisch bleibt Amtssprache im ganzen Kosovo, es besteht die Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft, die serbischen Schulen im Kosovo können die Lehrpläne aus Serbien übernehmen, um die serbischen Kulturgüter herum werden besondere Schutzzonen angelegt, die Serben haben weiterhin zehn der 120 Sitze im Parlament garantiert. Dies alles werde unter internationaler Aufsicht geschehen. "Und wir wollen, dass die Friedenstruppe KFOR auch in einem unabhängigen Kosovo präsent bleibt". Derzeit sind unter der Führung des deutschen Generalleutnants Roland Kather 16.000 KFOR-Soldaten aus 37 Ländern im Kosovo stationiert. Aus Deutschland stammt mit 2900 Soldaten das größte Truppenkontingent. Österreich stellt der KFOR derzeit 600, die Schweiz 220 Soldaten zur Verfügung.

Die Positionen der Kosovo-Albaner und Serbiens sind auf der ganzen Linie unvereinbar. Die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates, die bald nach den serbischen Parlamentswahlen vom 21. Januar 2007 fallen dürfte, wird Enttäuschungen hervorrufen, mindestens auf einer, vielleicht aber auch auf beiden Seiten. Doch der endgültige Status scheint nicht für alle gleichermaßen wichtig zu sein. Vesna Ilic Spalevic bringt dies auf den Punkt, wenn sie sagt: "Es kommt nicht so darauf an, ob das Kosovo unabhängig wird oder nicht. Viel wichtiger ist, dass dort die Voraussetzungen für ein normales Leben gegeben sind." Die 35jährige Serbin hatte das Kosovo beim Abzug der serbischen Armee im Sommer 1999 zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern fluchtartig verlassen. Seitdem lebt die Familie mehr schlecht als recht im Dorf Baric bei Belgrad. Ihre Wohnung in Decan/Decani im Westkosovo sei ausgeräumt und beschlagnahmt. Bis jetzt sei es nicht gelungen, diese zurückzubekommen. Aber wenn sie wüssten, dass sie im Kosovo in Sicherheit leben und arbeiten könnten, würden sie sofort dorthin zurückkehren, sagt Vesna Ilic Spalevic. Hat sie denn Vertrauen in die albanische Bevölkerungsmehrheit? "Man kann nicht verallgemeinernd für ein ganzes Volk sprechen. Es gibt doch überall gute und schlechte Menschen."


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