Serbien

„Die Lage im Kosovo ist dramatisch”

Am 21. Januar wählt Serbien ein neues Parlament. Laut aktueller Umfragen wird die Radikale Partei Serbiens stärkste Partei. Um dieser nicht noch mehr Wähler in die Armen zu treiben, wurde die Entscheidung um den Status des Kosovo verschoben. Nach den Wahlen soll endgültig über die Unabhängigkeit der serbischen Provinz entschieden werden. Im Interview mit n-ost äußert sich Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und Balkan-Expertin, zum möglichen Wahlergebnis, der Kosovo-Entscheidung und der internationalen Strategie auf dem westlichen Balkan

Wenn Sie an die serbischen Parlamentswahlen denken, was wäre für Sie das schlimmste, was das beste Ergebnis?

Beck: Am schlimmsten wäre es, wenn die Radikale Partei stärkste Fraktion wird und versucht, die Regierung zu bilden. Damit würde sich Serbien den Weg nach Europa verbauen.
Am besten wäre ein Sieg des demokratischen Blockes. Darunter werden unter anderem die Demokratische Partei (DS) und die Demokratische Partei Serbiens (DSS) gefasst. Doch auch die DSS hat starke nationalistische Tendenzen und die Spannbreite innerhalb der DS ist groß. Trotzdem gehe ich davon aus, dass Europa auf ein von der DS geführtes Bündnis hofft.

Die beiden Parteien haben letztes Jahr eine Änderung der alten Milosevic-Verfassung durchgesetzt. Die neue Verfassung schreibt das Kosovo als integralen Bestandteil Serbiens fest. Verdienen diese Parteien unsere Unterstützung?

Ich habe diesen Verfassungsprozess stark kritisiert. Europa hätte dieses Verfahren viel schärfer zurückweisen müssen. In der parlamentarischen Versammlung des Europarates wurde der Coup eingefädelt. Erfolgreich konnte Serbien im Oktober 2006 der Verabschiedung eines Kosovo-Berichts zuvorkommen, der sich für eine bedingte Unabhängigkeit aussprach und damit die Entscheidung des Kosovo-Status vorweggenommen hätte.

Gleichzeitig wurde auf eine Verschiebung der Entscheidung des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari gedrungen. Das serbische Versprechen war: Lasst uns ein Verfassungsreferendum durchführen, das Neuwahlen ermöglicht und verzichtet vorerst auf die Bekanntgabe der Ahtisaari-Empfehlungen. Wir werden damit einen Wahlsieg der Radikalen verhindern und können dann mit einer neu gewählten "demokratischen" Regierung die Empfehlung akzeptieren. Damit wurden die westlichen Regierungen geködert. Doch eine Verfassung, die betont, Kosovo sei ein integraler Bestandteil Serbiens, ist eine Provokation. Kosovo wird nicht zu Serbien zurückkehren. In wenigen Wochen wird Ahtisaari seine Empfehlungen bekannt geben.

Was wird dann in Serbien passieren?

Die neue Verfassung kann dazu führen, dass die neue serbische Regierung dann sagt: Wir können eine Unabhängigkeit nicht akzeptieren. Unser Volk hat uns gerade aufgegeben, das Kosovo als unverzichtbaren Teil unseres Landes zu behalten. Zum Zweiten ist es skandalös, ein Referendum abzuhalten, von dem ein Bevölkerungsteil ausgeschlossen ist. Die Kosovo-Albaner sind in den Wählerlisten nicht registriert, konnten am Referendum nicht teilnehmen.

In Europa herrscht Erweiterungsmüdigkeit. Der EU-Beitritt ist für die serbischen Reformkräfte ein wichtiger Anreiz, den Demokratisierungsprozess voranzutreiben. Bietet die EU Serbien wirklich eine reale Beitrittsperspektive?

Der Nationalismus der Jugoslawienkriege kann ohne ein gemeinsames Ziel nicht überwunden werden. Doch die EU befindet sich selbst in einer Krise. Angesichts des stockenden Verfassungsprozesses ist sie kaum integrationsfähig. Das macht es schwer, den Ländern Südosteuropas überzeugend darzustellen: ihr werdet in überschaubarer Zeit dabei sein. Die EU sollte Südosteuropa in Zukunft als Region betrachten. Wir sollten die Länder nicht einzeln aufnehmen. Sonst könnte es zu einer dramatischen Entwicklung kommen. Kroatien hat eine gute Position durch den Tourismus und weil es sich schnell transformiert hat. Es könnte relativ schnell der EU beitreten, vielleicht gefolgt von Montenegro und Mazedonien. Bei Serbien ist alles offen und dann verbleibt in der Mitte Bosnien und Herzegowina, das am meisten unter dem Krieg gelitten hat. Es würde zu einem schwarzen Loch in der EU werden mit allen negativen Konsequenzen. Natürlich müssen die Länder den Kriterien genügen, aber politisch müssen sie als Region behandelt werden.


Wandbild in Kosovska-Mitrovica / Jutta Sommerbauer, n-ost

Die EU hat die Verhandlungen mit Serbien abgebrochen, da es den Kriegsverbrecher Ratko Mladic nicht an das Kriegsverbrechertribunal überstellt hat. Unterstützt dieser Druck den Reformprozess in Serbien?

Zunächst einmal möchte ich Ihnen in die Parade fahren, weil auch Sie den Kriegsverbrecher Radovan Karadzic nicht erwähnen. Es beunruhigt mich, dass zunehmend nur noch von Mladic geredet wird. Zur internationalen Strategie: Ich habe mit großem Befremden gesehen, dass die NATO Serbien in die Partnerschaft für Frieden aufgenommen hat und dem Tribunal in den Rücken gefallen ist. Bis dato galt: Es gibt Wenn-Dann-Bedingungen. Wenn man nicht mit dem Tribunal zusammenarbeitet, dann sind die Wege in die internationalen Organisationen versperrt. Die Entscheidung der NATO im vergangenen Dezember weicht dies auf. Zur serbischen Geschichtsaufarbeitung: Serbien hat sich bisher sehr wenig mit der eigenen Rolle in den Jugoslawienkriegen auseinandergesetzt. Aber man wird niemals - und dass wissen wir aus unserer Geschichte - innerhalb kurzer Zeit eine gänzliche Befassung mit der Geschichte herbeiführen können. Aber dass Serbien die Vergangenheit schlichtweg gar nicht reflektiert, wirft die Frage auf, wie es mit europäischen Werten umgeht. Der Beitritt zur EU ist auch der Beitritt zu einer Wertegemeinschaft. Ist man nicht Willens, die zerstörerische Qualität des Milosevic-Regimes anzuschauen, ist man nicht reif für das Leben in diesem Haus.

Nach den Wahlen wird der UN-Sonderbeauftragte Ahtisaari dem Sicherheitsrat höchstwahrscheinlich eine Form bedingter Unabhängigkeit für das Kosovo vorschlagen. Wie soll sich Deutschland dann verhalten?

Ich kann nur hoffen, dass es eine europäische Stimme geben wird. Wir wissen, dass Frankreich zögerlich ist, ich hörte, dass auch Italien zögert. Es gibt Sorgen, es könnte Sezessionsbewegungen in den eigenen Ländern geben. Das Herausbrechen eines Landes aus einer anerkannten Nation ist keine Kleinigkeit. Das ist eine prekäre Strategie, doch sehe ich keine Alternative.

Hat die internationale Gemeinschaft deutlich genug betont, dass das Kosovo eine Ausnahme ist?

Kosovo muss als Fall sui generis gesehen werden. Dazu gibt es zwei Gründe: Erstens hat die NATO nicht ohne Grund interveniert, zweitens stellt die UN nicht ohne Grund dort seit Jahren eine Protektoratsregierung. Der Versuch von interessierter Seite - Abchasien, Ossetien und Transnistrien - aus dem Kosovofall Schlüsse für eigene Fragen zu ziehen, ist untauglich. Trotzdem wird es ein Kräftemessen im Sicherheitsrat geben. Russlands hidden agenda, die Frage, wie man die abspenstigen GUS Republiken wieder in die eigene Einflusssphäre hineinpressen kann, wird zu heftigen Auseinandersetzungen führen.

Wie sieht die Lage im Weltsicherheitsrat aus, der über das Kosovo zu entscheiden hat?

Eine einvernehmliche Entscheidung im Sicherheitsrat ist noch nicht gefallen. Wenn es eine gibt, wird es zwei Schritte geben: es könnte eine Resolution des UN-Sicherheitsrates geben, die - ähnlich wie bei Israel 1948 - die Unabhängigkeit des Kosovo erklärt. Parallel wird das Kosovo von den einzelnen Staaten binational anerkannt werden.

Was muss die EU tun, um aus dem Kosovo eine erfolgreiche Demokratie zu machen?

Für die Zukunft des Landes ist eine sich selbst tragende Wirtschaft elementar. Die Lage im Kosovo ist dramatisch und wird von den Verantwortlichen unterschätzt. Kosovo hat ein hohes Bevölkerungswachstum, ein minimales Bruttosozialprodukt, wenig Fläche und veralterte Reste einer noch planwirtschaftlich geführten Industriestruktur. Die EU muss einen Prozess wirtschaftlicher Entwicklung anstoßen, der nicht dazu führt, dass weite Bevölkerungsteile durch diejenigen finanziert werden, die im Ausland arbeiten. Für Bosnien- Herzegowina gilt dies in nicht ganz so dramatischer Weise. Das Zweite, was ich für elementar halte, ist Öffnung. Nach den Kriegen ist eine Generation herangewachsen, die keinen Kontakt zum westlichen Ausland hat. Wir brauchen eine junge, westlich orientierte Generation, die den Nationalismus der Väter überwindet. Das kann sie aber nicht, wenn sie vom westlichen Ausland ausgeschlossen bleibt.


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