„Deutsche Unternehmen wollen weiter investieren“
4.600 Unternehmen sind am Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen Deutschland und Bulgarien beteiligt. Gesamtvolumen: rund drei Milliarden Euro. Wie wird sich der EU-Beitritt Bulgariens auf das Geschäft auswirken? Darüber sprach n-ost-Korrespondent Stephan Ozsváth mit Dr. Mitko Vassilev. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer (DBIHK) in Sofia.
Wenn wir über deutsch-bulgarische Wirtschaftsbeziehungen sprechen, über welche Größenordnungen reden wir da?
Über eine Größenordnung von etwa 2,9 Milliarden Euro Handelsumsatz. Das ist eine absolute Rekordmarke. Das ist besser als in den Glanzzeiten des Sozialismus und besser als alle bisherigen Ergebnisse seit der Wende 1990. 2004 waren es 22 Prozent Zuwachs, 2005 sind es weitere 15 Prozent Zuwachs, und wir hoffen, dass auch diese Rekordmarke gebrochen werden kann.
Womit verdienen denn bulgarische Firmen in Deutschland ihr Geld und umgekehrt deutsche Firmen, die hier investieren?
Die Palette ist sehr breit. Bulgarien exportiert nach Deutschland an erster Stelle Textilerzeugnisse (Bekleidung), Maschinenbauprodukte, chemische Erzeugnisse, Metall- und Metallwaren. Deutschland liefert Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge, weiße Technik, chemische Produkte, Elektrotechnik, Elektronik usw. Dabei ist das bulgarische Handelssaldo negativ, das heißt Deutschland exportiert viel mehr nach Bulgarien als umgekehrt. Aber erfreulich ist, dass wir Wachstumsraten in beiden Richtungen haben. Sowohl die deutschen als auch die bulgarischen Exporte sind gestiegen.
Warum sollte ein deutscher Investor hier in Bulgarien investieren?
Deutschland ist der größte Handels- und Wirtschaftspartner für Bulgarien. Und seit 1992 ein wichtiger strategischer Investor in Bulgarien. Der Standort Bulgarien bietet einige Vorteile, zum Beispiel gut ausgebildete Arbeitskräfte, die auch ziemlich preiswert sind im Vergleich zu anderen EU-Ländern. Das Material, technische Kapazitäten stimmen. Die klimatischen Bedingungen sind gut. Was auch wichtig ist: Bulgarien ist ein sehr Deutschen-freundliches Land. Deutsch wird in Bulgarien sehr gern gesprochen, es ist die zweitwichtigste Fremdsprache. Ein deutscher Investor wird hier mit offenen Armen empfangen. Aber natürlich haben wir auch Probleme. Ich möchte nicht alles rosarot malen. Jedes Jahr machen wir eine Stimmungsumfrage unter deutschen Investoren und Geschäftsleuten. Und da hören wir positive und negative Dinge. Die Medaille hat immer zwei Seiten.
Dann reden wir doch mal über die Stimmungsumfrage. Was sagen deutsche Unternehmer über die Zusammenarbeit mit Bulgaren, über das Arbeiten hier vor Ort?
Die sagen, dass sie optimistisch eingestellt sind. Dass sie größere Wachstumsraten im Umsatz erwarten. Dass sie weiterhin investieren wollen. Dass sie neue Mitarbeiter einstellen werden. Aber die nennen auch die Störfaktoren, etwa das träge Justizsystem, die Administration. Da gibt es Hindernisse, inklusive Korruptionsfälle. Die Infrastruktur ist nicht so vollkommen wie in Deutschland. Ein Problem sind auch die Arbeitskräfte. Einerseits sind sie gut ausgebildet und preiswert. Andererseits mangelt es auch langsam an Arbeitskräften. In bestimmten Branchen, etwa der Baubranche, gibt es einen Boom. Aber gut qualifizierte Arbeitskräfte sind nicht so einfach zu finden. Und man rechnet damit, dass die Löhne und Gehälter mit dem EU-Beitritt Bulgariens weiter steigen werden. Damit schwindet der bisherige Investitionsvorteil. Dennoch sind Bulgarien und Rumänien momentan ohne Zweifel für Investoren noch attraktiv, gerade wegen der im europäischen Vergleich billigen Löhne.
Sie haben das Stichwort Korruption angesprochen. Was erleben deutsche und bulgarische Unternehmer da?
Erstaunlicherweise reden viele Leute über Korruption, aber es gibt wenige Fälle, in denen Korruptionsverdächtige hinter Gittern gelandet sind. Die Korruption ist kein typisch bulgarisches Phänomen, die gibt es in anderen Teilen der Welt genauso. Nur ist Bulgarien derzeit unter besonderer EU-Beobachtung. Und einige Fälle sind jetzt vor Gericht gelandet. Aber das dauert.
Nennen Sie mal ein Beispiel.
Ein Beispiel ist die Fernheizung in Sofia. Die ist teilweise im Besitz der Sofioter Großgemeinde, teilweise auch im Staatsbesitz. Der Geschäftsführer, ein Herr Dimitrov, war 10 Jahre an der Spitze. Über Interpol hat man einige seiner Konten in der Schweiz gefunden. Letztendlich zahlen wir alle als Bürger die Rechnung für teure Fernheizung. Und es hat sich herausgestellt, dass Unsummen für teure Luxusgüter, für Repräsentationskosten in den Rechnungen versteckt waren. Bei dem Skandal geht es um einige Millionen. Aber er war nicht alleine. Das ist ein Netzwerk. Es gab andere, die geholfen haben. Inwieweit die Justiz die Schuldigen aburteilen kann, das müssen wir abwarten.
Aus ihren Worten höre ich Skepsis, dass die Justiz das hinkriegt.
Es ist klar, dass das ziemlich lange dauert. Am Anfang der Reformen wurde Bulgarien mit einer Geldvernichtungsmaschine verglichen. Deutsche Firmen haben viel Geld verloren, weil wir eine Hyperinflation hatten. Und die Gerichtsverfahren dauerten sehr lang, zwei bis vier Jahre. Damals sagten deutsche Firmen: Es lohnt sich überhaupt nicht, vor Gericht zu ziehen, um unser Geld zurück zu bekommen. Heute ist das anders. Wir haben ein stabiles Wirtschaftssystem. Auch das Bankensystem ist relativ stabil. Aber die Gerichtsverfahren dauern zu lange. Und das steht besonders in der EU-Kritik. Da ändert sich etwas, aber ziemlich langsam.
Ist Bulgarien fit für die EU?
Dass Bulgarien und Rumänien nicht alle Kriterien hundertprozentig erfüllen werden, war von Anfang an klar. Aber beide Länder haben sich größte Mühe gegeben, haben viele Reformen begonnen, etwa in der Gesetzgebung, der Administration. Sie sind auf dem Weg, diese schwierige Aufgabe zu meistern. Die Bulgaren versprechen sich nicht Reichtümer. Da sind sie schon nüchterner geworden. Nur eins wollen sie: Klare Regeln. Meine Empfehlung für den EU-Beitritt: Die EU-Kommission soll das Monitoring weiter machen und in den Kontrollen nicht locker lassen. Wenn die Bulgaren merken, dass es sich lohnt anzustrengen, dann tun sie das. Aber sie müssen kontrolliert werden.
Stichwort Braindrain. Also Abwanderung Hochqualifizierter. Wie hoch schätzen Sie diese Gefahr ein?
Bulgarien hat schon eine Million Menschen dadurch verloren. Gerade Spezialisten haben nach der Wende das Land verlassen in Richtung Nordamerika, Südafrika, Westeuropa, Australien. Das waren gut ausgebildete IT-Spezialisten, Ingenieure, Chemiker. Das Problem ist nicht neu. Diese Leute unterstützen heute ihre Eltern. Die bekommen hier bekanntlich wenig Rente. Sie sind arm. Bulgarien bekommt viele Euros und Dollars von diesen Auslandsbulgaren, die ihr Land nicht vergessen haben. Aber man hofft, dass eines Tages diese Spezialisten zurückkehren. Die niedrigen Löhne und Gehälter sind dabei aber ein Hindernis.
Sie sagen: Viele gehen weg. Gibt es denn Fachkräfte, die die Lücke füllen können – Leute, die wegen des EU-Beitritts einwandern?
Ja. Viele Mazedonier stellen den Antrag auf bulgarische Staatsangehörigkeit. Ethnische Türken, die ausgewandert sind, wollen wieder zurück und auch ihre Immobilien zurück haben. Aus Moldawien und anderen Ländern holt man sich Leute für bestimmte Projekte, sogar aus China.
Wenn Sie den Blick in die Zukunft wagen: Bulgarien im Jahr 2010 – wo ist das Land da?
Man hofft, dass mit dem EU-Beitritt mehr Projekte und mehr Geld ins Land kommen. Bulgarien und Rumänien werden von den EU-Fonds deutlich profitieren können. Und das ist die Kunst, bis zum Jahr 2010 etwas zu unternehmen, damit es hier schöner wird. Das betrifft insbesondere die Infrastruktur. Wenn das gelingt, wird das Land noch attraktiver für Investoren.