Kasachstan

Kaviar – Die Gier nach dem schwarzen Gold

„Beluga-Caviar, frisch aus Kasachstan“ bietet der Münchener Feinkosthändler Dallmayr derzeit eine seiner exklusiven Spezialitäten im Onlineshop an, 50 Gramm für 275 Euro, inklusive „Original Caviar-Löffel aus schillerndem Perlmutt“. Luxus ist teuer, soviel ist klar. Doch die Sache hat einen Haken. Wer in diesem Jahr Beluga-Wildkaviar aus frischer Ernte serviert bekommt, kann sicher sein – das ist Schmuggelware. Denn erstmals durfte 2006 nicht ein einziges Gramm aus dem aktuellen Fang der edelsten aller Kaviarsorten vom Kaspischen Meer nach Europa importiert werden.  Cites, die UNO-Konvention zum Artenschutz, hat den traditionellen Exporteuren von Wildkaviar für das Jahr 2006 keine Handelsquoten erteilt. „Russland, Kasachstan und Aserbaidschan gaben keine Auskunft, wie sie die Störbestände im Kaspischen Meer bewirtschaften und den Kaviar-Schmuggel unterbinden wollen“, erklärt Michael Williams vom Cites-Sekretariat in Genf die Entscheidung. „Die komplette diesjährige Kaviarernte der drei Länder ist damit für den Export tabu.“


Kaviar Verkäuferin / Edda Schlager, n-ost

Markus Rüsch vom Altonaer Kaviar-Import aus Hamburg spürt einen deutlichen Engpass: „Die Nachfrage nach Wildkaviar ist größer als das Angebot“, so der Importeur. Neben Beluga, für Kenner der schmackhafteste Kaviar überhaupt, sind die Sorten Ossietra und Sevruga begehrt. Doch auch die sind vom Importstopp betroffen. Insgesamt sind durch das Cites-Verbot rund 45 Tonnen weniger Wildkaviar auf dem Markt, ein Einschnitt um 50 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr, als der Import noch erlaubt war. Großhändler Rüsch hat in diesem Jahr lediglich 450 Kilogramm aus dem Iran beziehen können. „Wir verkaufen jetzt Beluga-Restbestände aus dem Jahr 2005“, so der Kaviar-Spezialist.

Auch Jürgen Unucka, bei Dallmayr für den Kaviar-Einkauf zuständig, räumt ein: „Der kasachische Beluga, den wir anbieten, ist aus der Ernte von 2005.“ „Frisch“ hieße, dass die Ware vakuumverpackt und nicht pasteurisiert sei. Bei guter Qualität sei der Kaviar so mehrere Monate haltbar. „Wir arbeiten seit Jahren mit einem einzigen Zwischenhändler zusammen“, so Unucka, „deshalb sind wir sicher, dass Qualität und Herkunft der Ware nicht zu beanstanden sind.“

Nicht immer ist der Ursprung des Kaviars so zweifelsfrei legal. Jens-Uwe Hauffe von Feinkost Hauffe in Weimar erhielt kurz vor Weihnachten ein dubioses Angebot. Preis und Menge machten ihn misstrauisch. „200 Kilogramm russischen Beluga hätte ich haben können, das Kilo für 1.200 Euro“, so der Feinkost-Händler. Bei seriösen Großhändlern sei der Kaviar dreimal so teuer und derzeit höchstens noch kiloweise zu haben. Hauffe lehnte dankend ab.

Der Kaviar wird knapp und deshalb blüht der Schmuggel mit dem „schwarzen Gold der Zaren“. Denn beim Geschäft mit dem Stör-Rogen sind beachtliche Gewinne drin: Am Kaspischen Meer ist ein Kilo Beluga-Kaviar für 200 Euro zu haben. In Europa bringt dieselbe Menge bis zu 6.000 Euro ein. Im „Ameisenverkehr“ schleusen deshalb professionelle Banden die Ware über Russland, Polen oder Rumänien in die EU, versteckt in Tiefkühlboxen und umgebaute Pkw-Rücksitzbänke oder Tanks. „Kaviarschmuggel ist mittlerweile mit der organisierten Kriminalität beim Drogen- und Zigarettenhandel vergleichbar“, so Bernd Marx, Ermittler vom Zollfahndungsamt in Köln. Knapp eine Tonne illegalen Kaviars wurde im vergangenen Jahr allein in Deutschland konfisziert, in diesem Jahr ist die Tendenz ähnlich. 15 Tonnen, schätzt Importeur Rüsch, werden pro Jahr europaweit illegal abgesetzt.


Kaviar Schmuggelware / Wladimir Istomin, n-ost

Doch Cites hat die Quoten nicht ohne Grund verweigert. Seit Jahren gehen die Stör-Bestände im Kaspischen Meer zurück, denn um den Kaviar zu gewinnen, müssen die Weibchen getötet werden. Allein die Zahl der Belugas – die so groß wie ein weißer Hai und einhundert Jahre alt werden können – ist seit den 80er Jahren um 90 Prozent geschrumpft. Auch die kleineren Sevruga- und Ossietra-Störe sind betroffen. Und selbst der persische Stör aus dem Iran, dessen Fang strengen staatlichen Kontrollen unterliegt, ist mittlerweile bedroht. Erstmals war die Ausbeute illegalen Kaviars in diesem Jahr genau so groß wie die genehmigte Menge – 45 Tonnen. Das Problem aller Störarten: Die Weibchen werden je nach Art erst mit zehn, zwölf oder 18 Jahren geschlechtsreif. Durch Überfischung können sich die Populationen nicht mehr erholen. Mit Wildkaviar aus dem Kaspischen Meer könnte es also bald ganz vorbei sein.

Die Fischer am Kaspischen Meer haben längst bemerkt, dass ihre Existenz bedroht ist: „Der Stör reicht nicht mehr für alle“, sagt Adilgali Kemilbai, Chef von 13 Fischerei-Kooperativen in Atyrau im Westen Kasachstans. „Deshalb herrscht Krieg auf dem Kaspischen Meer.“ Auf einer Landkarte erklärt Kemilbai die Frontlinien: Hier ist der Fisch, vor dem Uraldelta, kasachisches Territorium. Und hier ist Astrachan, die alte russische Kaviarmetropole an der Mündung der Wolga. Da will kein Stör mehr hin, weil die Wolga zu dreckig ist und durch Stauwerke versperrt. Deshalb folgt die Flotte dagestanischer Fischer aus Russland dem Fisch in kasachische Hoheitsgewässer, illegal, mit Stellnetzen und schnellen Booten. „Sie fangen den Stör vor unserer Küste ab und verschwinden wieder“, so Kemilbai. „Man sollte sie abschießen.“


Die kasachischen Fischer / Edda Schlager, n-ost

Die Gemüter kochen hoch in Atyrau, wenn es um die Störe geht. Die Stadt an der Mündung des Flusses Ural ins Kaspische Meer ist das kasachische Pendant zur Kaviarhochburg Astrachan in Russland. Der Lebensrhythmus Atyraus wird durch den Stör bestimmt. Höhepunkt des Jahres ist die Ernte im Frühjahr. Dann ziehen die Störe aus dem Meer den Ural hinauf zum Laichen, die Bäuche der Weibchen prall gefüllt mit den schwarzen Fischeiern, die von Gourmets weltweit so geschätzt werden.


INFO: Laut Cites sind Frankreich und die Schweiz die größten Kaviarimporteure in Europa. Deutschland folgt an dritter stelle. Von 1998 bis 2003 bezogen deutsche Händler legal 186 Tonnen Kaviar, EU und Schweiz zusammen mehr als 700 Tonnen, Tendenz abnehmend. Konsumiert werden in Deutschland pro Jahr etwa zwei Tonnen.
• Zwischen 2000 und 2005 wurden europaweit mehr als zwölf Tonnen Kaviar beschlagnahmt.
• Die wichtigsten Kaviar exportierenden Länder sind Iran, Russland und Kasachstan gefolgt von China, Aserbaidschan, Rumänien, Bulgarien und den USA.
• Die Störbestände im Kaspischen Meer sind seit den 80er Jahren um 90 Prozent geschrumpft. Laut einer Studie des Pew Institute for Ocean Science sind alle 28 Störarten weltweit durch Überfischung gefährdet. Erstmals steht eine ganze Ordnung von Lebewesen vor dem Aussterben.


Die kasachischen Fischer sind selbst nicht unschuldig an der Situation. „Alle Fische hier sind Wilderer“, sagt Wassili Kusmin, Chef der Wasserpolizei in Atyrau. Jeder zweige sich Kaviar „für den Eigenbedarf“ ab, und die Behören könnten nicht überall kontrollieren. „Zehn Tonnen“, schätzt Natalja, die ihren Nachnamen nicht nennen will, „gehen jährlich allein von Atyrau nach Russland, illegal.“ Die Russin betreibt in Uralsk nördlich von Atyrau als Friseurin ein kleines Geschäft. Und ein etwas größeres – als Schmugglerin. Den Kaviar von kasachischen Fischern bringt sie, schon in die typischen blauen Dosen verpackt, über die Grenze nach Samara in Russland. „Dort wird er offen auf dem Basar verkauft, oder er geht weiter nach Europa“, so Natalja.

Importeur Rüsch fühlt sich durch den Kaviarschmuggel bisher nicht bedroht. Die Qualität der illegalen Ware sei durch den unprofessionellen Transport oft sehr schlecht. Er ist mittlerweile auf Zuchtkaviar umgestiegen, Kaviar aus „Stallhaltung“, bei der die Fische in riesigen Wasserbecken aufwachsen und früher geschlechtsreif werden. Auch Zuchtkaviar werde stärker nachgefragt, so Rüsch, „aber die Qualität ist nicht vergleichbar mit der von Wildkaviar.“ Er hat die Hoffnung auf Kaviar aus dem Kaspischen Meer noch nicht aufgegeben und setzt auf eine professionelle Bewirtschaftung der wilden Störe. „Die legalen Anbieter aus den traditionellen Gebieten müssen von uns finanziell unterstützt werden“, ist er überzeugt. „Nur so können sie Zuchtbetriebe aufbauen und Jungfische ins Meer aussetzen, damit sich die Bestände erholen.“


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