Bulgarien

Hotline gegen das Handaufhalten

Ein bulgarisches Sprichwort sagt: Das Gesetz ist wie ein großes Tor auf freiem Feld - wer durchgeht, ist dumm. Da ist es wohl kein Wunder, dass wegen des Themas Korruption beinahe der EU-Beitritt Bulgariens zum 1. Januar 2007 gescheitert wäre. „Ich fahre oft bei Rot über die Ampel“, erzählt der Taxifahrer, während er sich durch den dichten Verkehr in Sofia wühlt. „Der Polizist hält mich an. Sagt: Jetzt musst du 40 Leva, also 20 Euro Strafe bezahlen und du bekommst Strafpunkte. Dann sagt er: Für die Hälfte lasse ich dich laufen. Das ist Korruption - wir beide verletzen das Gesetz.“ Beide Seiten haben aber auch etwas davon: Der Taxifahrer kommt glimpflich davon - der Polizist bessert sein karges Gehalt auf. Bei 200 Euro Durchschnittsverdienst kann es eben in den Fingern jucken, ein Zubrot zu verdienen.

Von „unglaublicher Korruption“ in der Kommunalverwaltung der Hauptstadt Sofia berichtet der stellvertretende Bürgermeister Tsvetan Tsvetanov in der Zeitung der Deutsch-Bulgarischen Handelskammer (DBIHK). Da habe das Grünflächenamt angeblich 120 Tonnen Kunstdünger gekauft, aber nur eine Tonne beschafft. Schaden: gut eine halbe Million Euro. Der Kreativität der Betrüger sind keine Grenzen gesetzt. Da seien als „Repräsentationskosten“ in der Stadtverwaltung angeblich Lutschbonbons und Kaugummis im Wert von 100.000 Euro verbraucht worden, listet Tsvetanov auf. Die bulgarische Polizei zog kürzlich 20 korrupte Beamte an der bulgarisch-griechischen Grenze aus dem Verkehr. Die Männer, zuständig für die Transitgebühren auf Kraftfahrzeuge, hatten mehr als 2,5 Millionen Euro hinterzogen. Als erheblichen „Störfaktor“ bezeichnen Unternehmer in einer Umfrage der Deutsch-Bulgarischen Handelskammer das Bakschisch-Unwesen, sagt DBIHK-Präsident Mitko Vassilev.

Wer arm ist, ist besonders anfällig für Mauscheleien, darauf weisen die Korruptionsbekämpfer von Transparency International in einer aktuellen Studie hin. Und das wissen auch bulgarische Politiker. Im Roma-Ghetto „Faculteta“ am Rande der Hauptstadt Sofia leben etwa 30.000 Roma – vielleicht auch mehr. Täglich kommen neue hinzu. Neun von zehn haben keinen Job. Doch immer, wenn Wahlen sind, gibt es ein paar Münzen zu verdienen, erzählt Michail Gilgiev von der Stiftung „Romani Baht“. „Eine Stimme kostet 10 Leva, das sind etwa 5 Euro“.

All das muss sich ändern, sagt EU- Erweiterungs-Kommissar Olli Rehn. Er meint damit die kleinen Bakschisch-Vergehen, aber auch Fehlverhalten im großen Stil. Die Drohung ist in den Auflagen des EU-Beitritts eingebaut: Wenn etwa die Agrarbeihilfen aus Brüssel nicht transparent durch eine eigene Behörde verteilt werden können, werden sie um drei Viertel gekürzt, so die klare Ansage aus Brüssel.

„In den letzten Jahren liegt der Akzent eher auf dem Kampf gegen politische Korruption“, erklärt Diana Kovátcheva, Leiterin von Transparency International Bulgarien. „Das wird als größeres Problem angesehen als die Mauscheleien im Alltag. Denn sie kann die Entwicklung eines Landes stark beeinflussen. Und das sieht die EU-Kommission auch so.“ Um diesen Sumpf auszurotten, müsse es auch nach einem EU-Beitritt die Kontrolle von außen geben. Nur so könne Korruptionsbekämpfung nachhaltig sein. „Der Druck von außen ist wichtig“, urteilt Kovátcheva. Immerhin: Jetzt würden auch Leute entlassen, die Schmiergeld genommen haben.

So musste der Chef der Sofioter Verkehrspolizei Anfang des Jahres seinen Hut nehmen. Auch die Leiterin der Staatsanwaltschaft im Donau-Städtchen Lom, nördlich von Sofia, musste gehen und steht jetzt selbst vor Gericht. In 15 Jahren Amtszeit hatte sie zahlreiche Akten verschwinden lassen, Urteile fielen unter den Tisch, sie „ersparte“ zwei Dutzend Angeklagten zum Teil hohe Haftstrafen.

Seit Anfang des Jahres räumt ein Generalstaatsanwalt auf, die Anti-Korruptionsbehörde wurde aufgestockt. Verdeckte Ermittler sollen jetzt gegen Geldwäsche in Mafia-Firmen zu Felde ziehen. Die Justiz nimmt auch unter die Lupe, was bei der Rückübertragung der Güter an den Ex-Zaren und ehemaligen Premier Simeon Sakskoburggotski krumm gelaufen ist.

Nach einer aktuellen Weltbank-Studie rangiert Bulgarien im Korruptions-Ranking auf einem erstaunlichen Rang 18 – steht also besser da als das EU-Mitglied Polen, wo die versuchte Bestechung einer Abgeordneten unlängst mit versteckter Kamera aufgezeichnet und in der Presse verbreitet wurde. „Was die Alltagskorruption in Bulgarien angeht, wurden in letzter Zeit einige Maßnahmen ergriffen. So wurde etwa beim Innenministerium eine Hotline eingerichtet. Dort können Sie anrufen, wenn der Polizist Sie im Verkehr stoppt und Ihnen für ein paar Leva die Strafe erlässt“, sagt die bulgarische Transparency-International-Beauftragte Kovátcheva.

Der Taxifahrer winkt ab. Er würde nie eine solche Hotline anrufen, um einen bestechlichen Polizisten anzuzeigen, sagt er. Aber auch er hat schon gewisse Veränderungen bemerkt. „Ich habe ja die Polizisten erwähnt, die im Straßenverkehr abkassieren. Das ist etwas weniger geworden in letzter Zeit. Und sie schauen sich jetzt immer um, ob sie beobachtet werden, wenn sie die Hand aufhalten.“ Dann gibt er Gas und fährt über die Kreuzung. Die Ampel zeigt Rot.


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