St. Petersburg wird zu Gazprom-City
Russischer Energie-Gigant plant einen 300 Meter hohen Wolkenkratzer in der Kulturmetropole an der NewaSt. Petersburg (n-ost) – 300 Meter solle die Mindesthöhe sein. Drunter ginge es nicht. Dies übermittelte der russische Energie-Gigant Gazprom im Sommer 2006 den Großmeistern der internationalen Architektur. Diese ließen sich nicht zweimal bitten und entwickelten kühne Visionen für Gazprom-City, einen ganzen Business-Bezirk, den Russlands größter Staatskonzern in St. Petersburg ans Newa-Ufer setzen will.Sechs Entwürfe sind gegenwärtig in der Kunstakademie von St. Petersburg ausgestellt. Daniel Libeskind, Schöpfer des Jüdischen Museums in Berlin, hat sich ein Gebäude in dynamischer H-Form ausgedacht. Der Niederländer Rem Koolhaas stapelt Bauklötze übereinander. Das Züricher Architektenstudio Herzog&De Meuron lässt eine gläserne Spindel in die Wolken aufsteigen. Geradezu explosiv ist der Entwurf von RMJM London Limited, die eine Mischung aus Zitronenpresse und V2 in den Himmel jagen. Weitere Architektenbüros aus Frankreich (Atelier Jean Nouvel) und Italien (Fuksas Assosiati) sind mit von der Partie. Der niedrigste der Entwürfe ist immer noch stolze 311 Meter hoch. Zum Vergleich: Der Commerzbank-Tower in Frankfurt/Main ist ohne Antenne nur 259 Meter hoch.H-förmiger Wolkenkratzer - Entwurf aus dem Büro von Stararchitekt Daniel Libeskind. Foto: Anna WinnikVon deutscher Seite ist Peter Schweger, Architekt des gerade entstehenden Moskauer Föderations-Wolkenkratzers, in der elfköpfigen Auswahl-Jury vertreten, Seite an Seite mit dem Reichstagsarchitekten Sir Norman Foster, der Gouverneurin von St. Petersburg, Walentina Matwienko, und dem Gazprom-Chef Alexej Miller persönlich. St. Petersburg, das kulturelle Zentrum Russlands, solle sich in ein „Investitions- Industrie- und Finanzzentrum“ weiter entwickeln, heißt es im Projektkonzept zu Gazprom-City. Es gehe um das Gesicht der Stadt im 21. Jahrhundert. „Ich bin zuversichtlich, dass die Einwohner von St. Petersburg stolz auf dieses architektonische Meisterstück sein werden“, äußerte sich Gazprom-Chef Miller. Und weil Bürgerbeteiligung auch in Russland kein Fremdwort mehr ist, wurden die St. Petersburger dazu aufgerufen, bis zum 1. Dezember in der Kunstakademie und im Internet ihren Favoriten zu küren. Der Hochhausbau hat die halbe Stadt aufgescheucht. Allein am Wochenende besichtigen 1500 bis 2000 Besucher die Architekturmodelle. Doch die Petersburger, so die Erkenntnis der vergangenen Wochen, sind den Plänen des in Moskau ansässigen Gazprom-Konzerns nicht übermäßig wohl gesonnen. „Die Modelle beeindrucken, aber es sieht so aus, als hätten die Architekten St. Petersburg nie besucht”, urteilen die meisten Besucher. Von „Moskauer Spinnereien“ ist die Rede. „Natürlich finde ich die Idee, der Stadt ein moderneres Aussehen zu geben, hervorragend. Aber es wäre besser, solche Hochhäuser in den neuen Bezirken zu bauen, das würde die klassische Silhouette der Stadt erhalten”, drückt es die 60-jährige Petersburgerin Alexandra Petrowna vergleichsweise milde aus. Der Protestbrief der St. Petersburger Union der Architekten an die Gouverneurin liest sich da schon drastischer. Hier ist von einem „irreparablen Schaden für die fragile Skyline der Stadt“ die Rede.Die Isaaks-Kathedrale bringt es als bislang höchstes Gebäude im Stadtzentrum auf 100 Meter Höhe. Bislang ist die goldene Spitze der Peter-Pauls-Kathedrale mit 48 Metern die höchste Erhebung direkt am Newa-Ufer. Für Neubauten gilt dort bislang die Auflage, dass sie die Turmspitze der Kirche nicht überragen dürfen. Dies müsste außer Kraft gesetzt werden. Der Gazprom-Turm, der am rechten Newa-Ufer gegenüber des Smoly-Klosters – also in Zentrumsnähe geplant wird, wäre dreimal so hoch. Der Rest der Stadt würde neben diesem Gebäude geradezu „spielzeughaft“ wirken, urteilt die Architektenkammer. Auch die finanzielle Seite des Milliardenprojekts, das nach dem Willen von Gazprom bist 2012, spätestens aber bis 2020 realisiert werden soll, macht viele Petersburger skeptisch. Im Mai 2006 meldete sich „Sibneft”, die Öl-Tochter von Gazprom, beim Steueramt von St. Petersburg an. Seitdem läuft die Übersiedlung der Firmenzentrale, die bislang im sibirischen Omsk ansässig war. Mit der Gazprom-Citiy will der Mutterkonzern nun seinem Tochterunternehmen zu einem markanten Sitz verhelfen. Als sich Sibneft in Petersburg registrieren ließ, wurde zur Bedingung gemacht, dass alle Steuereinnahmen, die der Stadt dadurch zufließen, in den Ausbau des Businesszentrums gesteckt werden müssen. Dazu gehört auch die Erschließung der anliegenden Grundstücke mit einer Gesamtfläche von 66 Hektar. Wer sich an den Streit um den Neubau von Hochhäusern im Zentrum von Köln oder den Bau einer Brücke in Dresden erinnert, der weiß, dass die UNESCO sich kaum durch den Glanz internationaler Architektenteams blenden und mit dem Gazprom-Projekt anfreunden wird. St. Petersburg ist die einzige Großstadt der Welt, deren gesamtes Zentrum unter dem Schutz der UNESCO steht. Umgekehrt aber ist kaum zu erwarten, dass Gazprom vor der UNESCO in die Knie geht, wie es die Stadtväter von Köln und Dresden getan haben.Den Petersburgern bleibt wohl nur die Wahl zwischen sechs Entwürfen. Eine Stimmabgabe gegen das Projekt ist nicht vorgesehen. EndeInfo:
Die Modelle der internationalen Architektenteams lassen sich über die Internet-Seite www.gazprom-city.info einsehen-----------------------------------------------------------------------------------------------------------
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