Gegen ein unabhängiges Kosovo
Alle großen serbischen Parteien haben die Kosovo-Frage ganz oben auf ihre politische Agenda gesetzt. Von einer Unabhängigkeit der südserbischen Provinz werden aber vor allem deren erbittertste Gegner, die ultranationalistischen Radikalen, profitieren.
Selten nach dem Sturz von Slobodan Milosevic im Herbst 2000 hat in der serbischen Politik solche Einigkeit geherrscht wie heute. Alle großen politischen Parteien des Landes, von den Ultranationalisten bis zu den Demokraten des prowestlichen und reformorientierten Staatspräsidenten Boris Tadic, zeigen sich als große Kämpfer gegen den Verlust der südserbischen Provinz Kosovo. Dennoch dürfte aber allen serbischen Politikern klar sein, dass das Kosovo kaum mehr zu halten ist und die Provinz nach einer Entscheidung des UN-Sicherheitsrates wohl in die Unabhängigkeit entlassen wird.
Der serbische Staatspräsident Boris Tadic / Norbert Rütsche, n-ost
Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die serbischen Stimmberechtigten Ende Oktober einer neuen Verfassung zugestimmt haben, in der das Kosovo als integraler Bestandteil des serbischen Staates festgeschrieben wird. Der Urnengang diente den Politikern dazu, vor ihren Wählern die Hände in Unschuld waschen zu können: Sie haben alles Menschenmögliche versucht, um das Kosovo zu halten. Das Verfassungsreferendum hätte für die serbische Polit-Elite allerdings fast in einem Fiasko geendet. Erst in letzter Minute war die erforderliche Mehrheit gesichert, fast die Hälfte der Stimmberechtigten blieb den Urnen fern. Der knappe Ausgang des Referendums macht deutlich, dass die Kosovo-Frage für viele Menschen in Serbien doch weniger wichtig zu sein scheint, als es die führenden Politiker des Landes immer wieder geltend machen wollen.
Präsident Boris Tadic, der gleichzeitig Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Partei (DS) ist, betonte im Gespräch mit dieser Zeitung: "Kosovo ist nicht nur ein Teil unserer Geschichte, sondern ein Teil unserer Identität. Wir wollen zwar das Schicksal der Kosovo-Albaner nicht bestimmen. Aber wir haben ein legitimes Recht, unseren Einfluss auf die Serben im Kosovo zu wahren und unsere staatliche Integrität zu schützen." Außenminister Vuk Draskovic von der nationalistischen Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) bezeichnete das Kosovo gegenüber dem "Internationalen Radio Serbien" sogar als "serbisches und europäisches Jerusalem". Niemand könne Serbien das Kosovo wegnehmen. Ebenfalls diese Meinung vertritt Ministerpräsident Vojislav Kostunica von der konservativen Demokratischen Partei Serbien (DSS). In unzähligen Auftritten vor dem Verfassungsreferendum hatte er immer wieder die "ewige Zugehörigkeit" des Kosovo zu Serbien beschworen.
In der Kosovo-Frage wissen die serbischen Regierungsparteien und Präsident Tadic auch die ultranationalistischen Radikalen (SRS) an ihrer Seite. Die in die Opposition verbannte Partei des vor dem UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten Vojislav Seselj besetzt derzeit 80 der 250 Sitze im serbischen Parlament und ist damit die stärkste politische Kraft im Land. SRS-Vize Tomislav Nikolic verlangte im Sommer sogar den Einsatz der Armee zur "Verteidigung des Kosovo". Auf den Straßen Belgrads sind allerdings oft ganz andere Töne zu vernehmen. Man solle doch das Kosovo ziehen lassen, dann sei man dieses Problem endlich los und könne nach vorne schauen, heißt es immer wieder.
Dies bestätigt auch Heinrich Sassenfeld, Leiter der deutschen SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Belgrad. "Die meisten Serben haben wichtigere, existentielle Probleme in ihrem Alltag. Sie wollen arbeiten und Geld verdienen." Doch nur wenige getrauen sich, dies offen auszusprechen. Einer von ihnen ist der 35jährige Cedomir Jovanovic, Vorsitzender der kleinen Liberal-Demokratischen Partei (LDP). Der ehemalige serbische Vizepremier und enge Weggefährte des im März 2003 ermordeten serbischen Ministerpräsidenten und Reformers Zoran Djindjic kann sich ein unabhängiges Kosovo durchaus vorstellen. Jovanovic, der mit seiner LDP auch gegen die neue Verfassung gekämpft hatte, plädiert dafür, endlich die Realitäten anzuerkennen. Schließlich sei das Kosovo bereits seit dem Nato-Bombardement 1999 faktisch von Serbien unabhängig.
Der serbischen Regierung wirft Jovanovic vor, nicht die wirklichen Probleme der Menschen zu lösen. "Sie verteidigt Legenden und Mythen."Das Thema Kosovo wird auf der politischen Agenda Serbiens auf jeden Fall ganz oben bleiben. Weniger, weil sich die Politiker um das Schicksal der im Kosovo lebenden Serben sorgen, sondern vielmehr wegen ihrer eigenen politischen Ambitionen. Denn der Streit darüber, wann die vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden sollen, hängt direkt mit dem – noch nicht klar festgelegten – Datum der Bekanntgabe des neuen Kosovo-Status zusammen. Präsident Tadic will unbedingt noch vor der Status-Entscheidung wählen lassen. Denn er weiß, dass ein endgültiger Verlust des Kosovo der oppositionellen ultranationalistischen und rückwärtsgewandten SRS massenweise Stimmen bescheren würde. Damit wäre es kaum mehr möglich, eine westlich orientierte Regierung unter der Führung von Tadics DS zu bilden. Wie sich die fast 50 Prozent der Stimmberechtigten verhalten werden, die beim Verfassungsreferendum zu Hause blieben, ist allerdings schwierig vorauszusagen.