Kommunalwahlen - Test für Kaczynski-Brüder
Die anstehenden Kommunalwahlen sind ein Test für Politik der Kaczynski-Brüder
Warschau (n-ost) - „Let’s twist again“ dröhnt es. Die Menschen in der Straßenbahn drehen die Köpfe zum Fenster. An ihnen vorbei fährt ein Bus mit einem Plakat von Kazimierz Marcinkiewicz in Übergröße, neben dem Bild des ehemaligen Ministerpräsidenten steht in großen Buchstaben sein Motto „Vision und Wirksamkeit“. Viele Fahrgäste schütteln den Kopf, eine junge Frau sagt zu ihrer Freundin: „Oh Gott, was für ein Quatsch. Ich gehe sowieso nicht wählen.“Kazimierz Marcinkiewicz will Bürgermeister von Warschau werden und dafür tut er einiges: Er lässt nicht nur Busse mit seinem Konterfei und Musik durch die Hauptstadt fahren, sondern schreibt im Internet Blogs über sein Privatleben und zeigt sich auf Baustellen als Macher des neuen Warschau. Er soll die polnische Hauptstadt im Sinne der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) regieren, das sind der Wille und der Dank der beiden Kaczynski-Brüder. Marcinkiewicz musste im Juli dieses Jahres zugunsten von Jaroslaw Kaczynski vom Posten der Ministerpräsidenten zurücktreten. Seitdem darf der die Geschäfte Warschaus kommissarisch leiten.„Ich will, dass die polnische Hauptstadt eine der wichtigsten in Europa wird“, betont der ehemalige Lehrer seit Wochen in Interviews. Doch ob Marcinkiewicz Gelegenheit haben wird, den hohen Anspruch umzusetzen, bleibt abzuwarten. Nach aktuellen Umfragen wird es knapp für den konservativen Kandidaten. Die linksliberale Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ veröffentlichte Anfang dieser Woche Ergebnisse, nach denen Marcinkiewicz bei 35 Prozent der Stimmen und seine Gegnerin Hanna Gronkiewicz-Waltz von der liberalen Bürgerplattform (PO) bei 34 Prozent liegt. Bei der konservativen „Rzeczpospolita“ und der regierungsnahen Tageszeitung „Dziennik“ liegt Marcinkiewicz mit etwa drei Prozent vor seiner Mitbewerberin. Hanna Gronkiewicz-Waltz wirbt für sich mit dem Slogan „Gemeinsam für Warschau“. Oberstes Ziel der ehemaligen Präsidentin der polnischen Nationalbank ist es, die Investitionen in der Hauptstadt zu beschleunigen. Um deutlich zu machen, wie sie sich die Entwicklung Warschaus bis 2014 vorstellt, hat die liberale Kandidatin eine große Karte der Hauptstadt verteilen lassen, auf der sie die wichtigsten Investitionen eingezeichnet hat. Sie will unter anderem neue Brücken, Straßen und Sportzentren bauen lassen. Zudem plant sie zwei weitere Metrolinien, dabei ist bisher noch nicht einmal die erste fertig gestellt. Gronkiewicz-Waltz hat sich viel vorgenommen. Im Nachrichtensender TVN24 sagte sie: „Ich verspreche nichts. Ich mache das, was ich sage.”Nur 50 Prozent der Befragten wollen nach Umfragen am Sonntag wählen gehen, aber die letzten Wahlen in Polen haben gezeigt, dass die Wahlbeteiligung am Ende meist noch niedriger ausfällt. Die Wahlmüdigkeit im Land ist groß. „Ich rechne mit 35 bis 40 Prozent Wahlbeteiligung. Das größte Problem ist, dass besonders die jungen Menschen aus Frust nicht wählen gehen“, sagt Jaroslaw Zbieranek, politischer Analytiker beim unabhängigen wissenschaftlichen Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP) in Warschau. Der 22-jährige Marcin Kribus bestätigt den Befund. „Die machen so oder so, was sie wollen“, meint Kribus. „Das ist doch alles nur Theater, immer geht es um Macht. Ich habe noch nie gewählt, bringt doch nichts“, sagt der Soziologie-Student in Warschau.Politikverdrossene Nichtwähler wie ihn will die Initiative „Wybieram.pl“ („Wählen.pl“) erreichen, die Studenten vor etwa einem Jahr in Warschau gründeten. „Wir wollen jungen Menschen klar machen, dass es sich lohnt, wählen zu gehen“, sagt die 23-jährige Kasia Szajewska. Sie studiert in Warschau Internationale Beziehungen und ist die Vorsitzende des unabhängigen Vereins, der mit keiner Partei verbunden ist und nur durch Sponsoren unterstützt wird. Motto von „Wybieram.pl“ ist: „Wähle, wie Du willst.“ Warum junge Menschen wählen sollen? Der Verein hat viele Antworten: „Weil es mich nichts kostet“, „Weil ich in einem normalen Land leben will“, „Weil meine Oma mir 5 Zloty brutto zahlt“, „Weil ich will“ oder „Weil ich über meine Zukunft entscheiden will“. Die Sprüche verteilen die 25 Mitglieder des Vereins als Aufkleber, sie hängen Plakate an den Universitäten auf, zeigen Fernseh-Spots, organisieren Chats mit Politikern im Internet oder organisieren Partys, um vor und nach den Wahlen zusammen zu feiern, egal, wie das Ergebnis ausfällt. Ob Kazimierz Marcinkiewicz nach den Kommunalwahlen am Sonntag zusammen mit seinen Wahlhelfern zu „Let’s twist again“ tanzen und feiern wird, ist ungewiss. „Er ist zwar sehr beliebt, aber am Ende wird es nicht reichen“, glaubt der Wissenschaftler Jaroslaw Zbieranek. Denn seiner Meinung nach werden die Kommunalwahlen vor allem „ein Referendum über die Politik der Regierung“, der erste große Stimmungstest für die Kaczynski-Brüder, die bisher vor allem damit beschäftigt waren, ihre Regierung zusammenzuhalten und Affären zu überstehen. Und so steht mehr die große nationale Politik im Vordergrund und weniger die lokalen Probleme. In Warschau ist deshalb auf kommunaler Ebene ein politischer Wechsel möglich.„Es wird auf jeden Fall einen zweiten Wahlgang und damit einen Kampf um das Amt des Bürgermeisters geben. Den Schlüssel dafür hat der dritte Kandidat in der Hand“, glaubt Jaroslaw Zbieranek. Gemeint ist Marek Borowski, der für das Mitte-Links-Bündnis antritt und nach Umfragen bei 16 bis 18 Prozent der Befragten liegt. „Seine Wähler werden beim zweiten Mal die Wahl entscheiden. Ich glaube, dass sie für die Kandidatin der PO stimmen oder nicht wählen gehen werden“, ist sich Zbieranek sicher. Im Falle einer Wahlniederlage würden die Kaczynski-Brüder ihren Kandidaten Marcinkiewicz aber wohl nicht fallen lassen, dazu sei er „zu beliebt bei den Menschen“ und damit „zu wichtig für die Partei“.*** Ende ***----------------------------------------------------------------------------
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