Deutschland

Mit Osteuropa zum Erfolg

Herr Rust, das Festival des osteuropäischen Films wurde 1991 von Cottbuser Kinoenthusiasten gegründet, die aus der Filmclubszene der DDR kamen. In diesem Jahr feierte es sein 20-jähriges Jubiläum. Wie ist es Ihnen gelungen, die Veranstaltung als weltweit bedeutendstes Festival des osteuropäischen Films zu etablieren?

Roland Rust: Sicher nicht mit einem dicken Budget. Die klare konzeptionelle Ausrichtung auf Osteuropa war der Schlüssel zum Erfolg. Es war auch ein Stück weit Widerstand: Am Anfang wurde die Veranstaltung als ein randständiges, provinzielles Ereignis fernab der großen Medienstandorte wahrgenommen. Und genau das hat uns am Ende stark gemacht.

Wie das?

Roland Rust: Die Festivalgründer hatten gehofft, dass sich nach dem Mauerfall das Angebot in den Kinos weit über die osteuropäischen Produktionen hinaus erweitern würde. Diese Hoffnung blieb unerfüllt. Die osteuropäischen Filme brachen ein, wurden aber nicht von anderen europäischen Kinematografien beerbt, sondern von Hollywood. Das führte zu der Vision, die Filmkultur unserer östlichen Nachbarn weiter zu pflegen und zu schauen, wie sie sich unter den veränderten Bedingungen entwickelt. Dieser Ansatz des Festivals trägt heute mehr denn je, weil Osteuropa uns so nahe gerückt ist wie nie zuvor.

Die Zuschauer lieben das Filmfestival...

Roland Rust: Das liegt auch daran, dass sich Cottbus als idealer Standort erwiesen hat. Bis zur polnischen Grenze sind es nur 25 Kilometer, und auch Tschechien ist nicht weit. Diese Nähe prägt den Alltag hier mehr und mehr. Und so entwickeln die Menschen eine besondere Empfänglichkeit für die Themen, die in den Filmen aus osteuropäischen Ländern behandelt werden.

Wie wird das Festival außerhalb Deutschlands wahrgenommen?

Roland Rust: Das Filmfestival Cottbus ist in ganz Osteuropa bestens etabliert. Auch im westeuropäischen Raum ist es weitgehend anerkannt, und mit unserem diesjährigen Fokus „Global east“ haben wir erstmals auch andere Kontinente an unser Festival herangeführt. Nicht von ungefähr hat die Fachzeitschrift „Variety“ das Cottbuser Filmfestival unter die 50 Top-Events der Welt gezählt. Wir gelten inzwischen als die führende Plattform, die in jedem Jahr das Beste aus dem gesamten osteuropäischen Raum an einem Ort bündelt.

Was die Genres, die Themen und auch die Filmsprache betrifft, unterscheiden sich Produktionen aus Ost und West nicht mehr so gravierend wie noch vor zehn Jahren. Fürchten Sie für die Zukunft einen Profilverlust?


Roland Rust: Ganz im Gegenteil: Ich sehe eher eine Veröstlichung der Welt. Es ist ja auch nicht unsere vorrangige Aufgabe, die Filme zu bewerten. Wir tun unser Möglichstes, um ihnen jene Plattform zu bieten, die es sonst kaum noch gibt – besonders nicht im Kinoalltag. Es kann aber nicht sein, dass wir als Festival ein künstliches Ghetto schaffen und sagen: „Der osteuropäische Film muss so bleiben, wie er vor der Öffnung der Grenzen war.“     

In diesem Jahr ist die Sektion „Fokus“ nicht wie sonst einem speziellen Land oder einer Region gewidmet. Stattdessen haben Sie unter dem Titel „globalEAST“ die Spuren Osteuropas im internationalen Film der Gegenwart gesucht. Was haben Sie gefunden? 

Roland Rust: Erstaunlich viel. Es ist ja bekannt, dass früher Filmemacher aus Asien, Lateinamerika oder auch Afrika an namhaften Filmhochschulen in Moskau oder Prag ausgebildet wurden. So ist das Kino eines ganzen Kontinents wie Afrika bis heute sehr stark von der osteuropäischen Filmsprache geprägt. Wir haben aber auch einmal sehen wollen, was osteuropäische Filmemacher in Westeuropa drehen. Und wie blickt der nichtosteuropäische Teil der Welt auf Osteuropa – 20 Jahre nach den großen Veränderungen? Da haben wir Spuren gefunden, die führten einerseits bis nach Brasilien und auf der anderen Seite bis ins indische Bollywood oder auch von den Vereinigten Staaten bis nach Israel.

In welchen osteuropäischen Ländern tut sich filmisch derzeit am meisten?

Roland Rust: Man kann es deutlich an der Präsenz der Länder bei uns im Wettbewerb ablesen. Es sind zehn Filme aus acht Ländern zu sehen. Russland ist traditionell das mit Abstand größte und produktionsreichste Filmland Osteuropas. Seit einigen Jahren schon spricht man immer wieder vom rumänischen Film und seit jüngster Zeit folgt auch Bulgarien diesem Erfolgssog. Außerdem sieht man schon das nächste aufstrebende Filmland, das ebenfalls mit zwei Produktionen im Wettbewerb vertreten ist: Serbien. Das ist eine sehr zukunftsfähige Kinematografie, die mit der Auflösung Jugoslawiens und den anschließenden kriegerischen Außeinandersetzungen in große Schwierigkeiten geraten war. Aktuell merkt man, wie das serbische Kino zu einstiger Stärke zurückfindet – denn es war traditionell ein starkes Filmland. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass der Eröffnungsfilm, „Die Frau mit der gebrochenen Nase“, ebenfalls aus Serbien kommt.

Welchen Film aus dem Programm des diesjährigen Festivals empfehlen Sie?

Roland Rust: Bei den Wettbewerbsfilmen bin ich wie Eltern zu ihren Kindern: Alle sind mir gleich lieb. Aber ich weise gern auf die aktuelle Oscar-Hoffnung Russlands hin: „Krai“ („Am Rande“). Der Film spielt im gleichnamigen Ort in Sibirien nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutsche und Russen treffen in dieser isolierten Landschaft fernab von allem Weltgeschehen aufeinander, und Sieger und Besiegte tauschen scheinbar die Rollen. Dieses opulente Werk wird sicher noch für viel Furore sorgen.

Was wünschen Sie sich für die kommenden zehn Jahre?

Roland Rust: Ich wünsche mir, dass wir auf diesem erfolgreichen Weg weiter gehen können und in den nächsten Jahren noch mehr Publikum dazu gewinnen. Trotz der bereits hohen Besucherzahlen sehe ich noch Reserven. Es wäre schön, wenn wir noch mehr Zuschauer aus der Hauptstadt-Region, aus Potsdam, Leipzig, Dresden, anderen Bundesländern und auch aus Polen gewinnen können. Ein Festival ist nicht umsonst zu haben, aber der Effekt, den es hat, der lohnt den Aufwand. Bei uns ist das Geld jedenfalls gut angelegt.


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