Berufsrisiko Journalismus
Seit 1993 starben in Russland 219 Journalisten Von Alexander Schrepfer-Proskurjakov Moskau (n-ost) - Die Welt ist zutiefst bestürzt über den Mord an der prominenten russischen Journalisten Anna Politkowskaja. Dabei ist dieses grausame Verbrechen leider kein Einzelfall in Russland. Seit 1993 sind 219 einheimische sowie ausländische JournalistInnen in Russland ums Leben gekommen. Besonders gefährlich leben regierungskritische Medien.Die oppositionelle Moskauer Zeitung „Nowaja Gazeta“, deren Mitarbeiterin Politkowskaja war, verlor bereit vor diesem Mord zwei Mitarbeiter. Im Mai 2000 wurde der 42-jährige Reporter und Sonderprojekt-Redakteur der „Nowaja Gazeta“ Igor Domnikow im Eingangsbereich seines Wohnhauses überfallen, mit einem schweren Gegenstand mehrmals auf den Kopf geschlagen und bewusstlos in einer Blutlache liegengelassen. Domnikow starb am 16. Juli, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der 53-jährige stellvertretende Chefredakteur und Duma-Abgeordnete Juri Schekotschichin war am 23. Juni 2003 an einer rätselhaften Vergiftung gestorben. In der „Nowaja Gazeta“ hatte der in Aserbaidschan geborene Schekotschichin immer wieder über Korruptionsskandale berichtet. In der russischen Verfassung ist die Freiheit der Meinungsäußerung
und der freie Zugang zu Informationen garantiert. Die Diskrepanz von Medienrecht und Medienwirklichkeit ist jedoch offensichtlich: Was nützt das in der Verfassung garantierte Recht, wenn ein Journalist in Russland nicht sicher sein kann, ob er nach einer kritischen Publikation noch am Leben bleibt?Am 1. Februar 2001 wurde eine Rechtschutzstruktur des Russischen Journalistenverbandes ins Leben gerufen: das „Zentrum für radikalen Journalismus Moskau“. Diese Zentrum informiert die Öffentlichkeit in Russland sowie weltweit über besonders schwere Verletzungen der Pressefreiheit, vor allem über Angriffe gegen Journalisten in Russland. Die Webseite dieser Organisation www.cjes.ru liefert auch Informationen auf Englisch. Die Statistik des CJES vermittelt einen äußerst deprimierenden Eindruck. Seit 1993 sind 219 einheimische sowie ausländische JournalistInnen in Russland ums Leben gekommen. 16 Journalisten wurden bei der Ausübung ihres Berufes getötet, darunter der britische Reporter Rory Peck, erschossen beim Putsch in Moskau im Oktober 1993. Bei 20 weiteren getöteten Journalisten konnte eine direkte Verbindung zur professionellen Tätigkeit nicht nachgewiesen werden. Unter dieser Kategorie befindet sich Paul Chlebnikow, ein US-amerikanischer Journalist russischer Herkunft und Chefredakteur der russischen Ausgabe des „Forbes Magazine“, der am 9. Juli 2004 von zwei Tätern vor dem Forbes-Verlagsgebäude in Moskau erschossen wurde. Chlebnikow verletzte mit seiner Tätigkeit sämtlich Tabus. In seinem Buch „Der Pate des Kreml – Boris Beresowski und die Macht der Oligarchen“ informierte Chlebnikow über den kriminellen Aufstieg russischer Oligarchen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Das Strafverfahren gegen die mutmaßlichen tschetschenischen Täter endete ergebnislos: Das Geschworenengericht sprach alle Angeklagten im Mai 2006 frei.Die zahlreichste und vorsichtig formulierte dritte Kategorie umfasst 183 Journalisten, die in Folge von „Unfällen oder Vorfällen, die nicht im Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit standen“, umkamen. Jedoch auch hier werden Fälle aufgelistet, wo Verbindungen zum Beruf möglich sind. Am 18. September 2004 griffen in der Republik Burjatien fünf Fischwilderer drei Inspektoren für Naturschutz sowie den Redakteur des Fernsehsenders „Nordbaikal“ Wladimir Prittschin, der die Arbeit der Inspektoren filmte. Einer der Inspektoren sowie Prittschin wurden so brutal zusammengeschlagen, dass sie noch vor Ort starben. Die Angreifer vernichtete zudem die Videomaterialien Prittschins.Die cjes.ru registrierte außerdem 16 in vermisste oder entführte Journalisten zwischen 2000 und 2006. Nur zwei von ihnen konnten von der Polizei befreit werden. Die Polizei selbst kann jedoch auch zur Bedrohung für Journalisten werden: In der gleichen Zeitspanne gab es 46 Durchsuchungen von Journalisten-Büros und Redaktionen, 158 JournalistInnen wurden im Dienst festgenommen. 379 JournalistInnen wurden ebenfalls zwischen 2000 und 2006 bei der Ausübung ihres Berufes tätlich angegriffen. Eines der Opfer, die 31-jährige Gründerin der Website www.pravdabeslana.ru („Die Wahrheit von Beslan“) Marina Litwinowitsch, wurde am 20. März dieses Jahres in Moskau von Unbekannten überfallen und brutal zusammengeschlagen. Ihr wurden weder Geld noch Wertgegenstände entwendet, so dass ein Raubüberfall ausgeschlossen ist. Litwinowitsch sammelt und veröffentlicht alle Informationen zur Geiselnahme von Beslan.Ende