Russland

Leere Stadien, volle Kassen


MOSKAU/WARSCHAU (n-ost). Es liegt wohl an den Eigenarten des russischen Fußballs, dass es erst einer eingefärbten Blondine bedurfte, um das größte Stadion im größten Land der Erde zu füllen. Aber Madonna gelang es bei ihrem Konzert vor zwei Wochen, die Menschen im voll besetzten Luschniki-Park zu begeistern. So eine prächtige Stimmung wird der Hamburger SV dort bei seinem Gastspiel heute in der Gruppenphase der Championsleague gegen den Armeesportklub ZSKA Moskau wohl kaum erwarten. Denn im Alltag der russischen „Premjer-Liga“ herrscht meist gähnende Leere in diesem riesigen Stadion - so wie bei anderen Vereinen der auseinander gefallenen Sowjetunion auch. Das Stadion gehört eigentlich dem Lokalrivalen LOK, bei wichtigen Spielen zieht ZSKA aus dem eigenen maroden Bau dorthin um. In der heimischen Liga kommt der russische Meister ZSKA gerade mal auf einen Zuschauerschnitt von 10.000 – und das auch nur wegen der zahlreichen Stadtderbys. Dem „Zentralen Armeesportklub“ fehlt es nämlich an der traditionellen Fangemeinde, die keine Pokale braucht, um ihre Treue zu zeigen. Immerhin hat ZSKA seit seinem überraschenden Uefa-Cup Sieg 2005 zahlreiche junge Fans hinzu gewonnen, von denen sich einigen allerdings als Fußball-Hooligans gebärden. HerzenssacheAuch dieses Phänomen ist ein ständiger Begleiter an den Spielfeldrändern des ehemaligen Ostblocks. Bei der Champions-League-Qualifikation im slowakischen Rozomberok warfen ZSKA-Hools mit Feuerwerkskörpern um sich, so dass der Spielabbruch drohte. Darauf marschierte der hemdsärmelige ZSKA-Präsident und Unternehmer Ewgenij Giner Zigarre schmauchend in den Fanblock, beruhigte die Gemüter und stellte sich anschließend schützend vor sie: „Ich mag unsere Fans trotzdem. Warum sollen sie  Der schwerreiche Giner steht seit fünf Jahren an der Spitze des Vereins, der 1991 letzter Sowjetmeister wurde, danach aber jahrelang in der Ligatristesse verschwand. Wie üblich in diesem Teil der Welt, fragt niemand danach, woher seine erste Million kam. So wie bei dem Oligarchen Roman Abramowitsch, dem Eigentümer von Chelsea London, der sich zusätzlich in seiner Heimat beim ZSKA engagiert, wo die Besitzverhältnisse nebulös sind: 49 Prozent des Klubs gehören der in Großbritannien registrierten Firma Bluecastle Enterprises, 26,1 Prozent der Investitionsgesellschaft AWO Kapital, und der Rest liegt beim russischen Verteidigungsministerium. ZSKA ist der beste Werbeträger für die Streitkräfte, deren Image in Russland wegen verschiedener Korruptions- und Menschenrechtsskandale schlecht ist. Hautsponsor in der laufenden Saison ist die von der Regierung kontrollierte „Wnetschtorgbank“, die sieben Millionen Dollar zum angeblichen Jahresbudget von 40 Millionen Dollar beisteuert. Auch bei anderen Clubs in der „Premjer-Liga“ haben staatliche Firmen ihre Hand im Spiel: Beispielsweise der Gasmonopolist „Gasprom“, an dem auch die deutsche „Eon.Ruhgas“ beteiligt ist: Dieser unterstützt das ambitionierte „Zenit St. Petersburg“, so dass dort zu dieser Saison der niederländische Trainer Dick Advocaat anheuern konnte. Dessen Landsmann Guus Hiddink soll als russischer Nationaltrainer zwei Millionen Euro netto verdienen; die Geldgeber seien Geschäftsleute, „denen der russische Fußball eine Herzenssache ist“, heißt es unter Sportjournalisten.Spieler des JahresWegen des Geldes aber ist die „Premjer-Liga“ spielerisch stark und strahlt auch auf die übrigen Länder Osteuropas. Im Gespräch mit dieser Zeitung sagte Mircea Lucesu, rumänischer Trainer des ukrainischen Meisters und Championsleague-Teilnehmers Schachtjor Donezk: „Da kann jeder gegen jeden gewinnen, weil jeder Klub Geld hat. Uns wäre eine gemeinsame Fußballunion mit Russland am liebsten, an der auch die besten ukrainischen Klubs teilnehmen könnten“. Zahlreiche osteuropäische Nationalspieler, die den Scouts der westlichen Clubs entgingen, spielen in Russland: Etwa der ukrainische Nationalspieler Maksym Kalinitschenko (Spartak Moskau), der bei der WM überzeugte, oder der Torschützenkönig der polnischen Liga aus dem vergangenen Jahr, Grzegorz Piechna, der seither bei Torpedo Moskau spielt. Längst ist Russland auch zum attraktiven Gastabeiterland brasilianischer Fußballer geworden, von denen vier auf der Gehaltsliste von ZSKA stehen. Spielmacher Daniel Carvalho wurde im vergangenen Jahr „Spieler des Jahres“ in Russland.Spielerisch sind die Legionäre ein Gewinn. So konnte der Armeesportklub auch im ersten Championsleague-Gruppenspiel gegen den spielstarken FC Porto mithalten und kam am Ende auswärts zu einem torlosen Unentschieden, während der HSV sein Heimspiel gegen Arsenal London verlor. ZSKA-Trainer Walerij Gassajew gibt sich daher vor dem HSV-Spiel optimistisch: „Unser Ziel ist und bleibt der Einzug in die nächste Runde“. Am Wochenende verlor ZSKA übrigens zu Hause gegen Lok mit 1:2, steht allerdings weiter an der Tabellenspitze. Das Spiel wurde von einem eingeflogenen italienischen Schiedsrichter gepfiffen; damit wollte der russische Fußballverband (RFU) einem in Russland weit verbreiteten Phänomen vorgreifen: Der Korruption.Ende


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