Georgien

Eine Nation und ihre Leibspeise Chatschapuri


Lecker: Blätter- oder Hefeteig, gefüllt mit warmem Käse. / Timo Vogt, n-ost

Für die Zubereitung von Chatschapuri (mit einem gekrächzten CH) gibt es ungefähr so viele Rezepte, wie es in der Presse des Landes tägliche Gerüchte um Ränke und Intrigen gibt. Viele also. Denn so wie die Verköstigung mit Chatschapuri ein tiefgeorgisches Bedürfnis, so ist die Verbreitung von hauptsächlich politischen Verschwörungstheorien eine tiefgeorgische Spezialität. Meist gehört das eine zum anderen: der Biss in die warme Köstlichkeit zu den neuesten Erzählungen über Korruption in der Regierung. Die jüngsten Schreckensmeldungen über eine drohende Konflikteskalation zum Abwischen der letzten Krümel aus den Mundwinkeln. Wann immer man in Georgien Präsidenten stürzte, Systeme veränderte, Kriege führte oder das Auseinanderbrechen des Territoriums beklagte, es geschah mit einem Mundvoll Chatschapuri und den Resten von Käsefäden am Kinn. Profan gesagt ist Chatschapuri eine Teigmasse, die mit warmem Käse gefüllt wird. Der Teig besteht aus Blätter- oder Hefeteig. Der Blätterteig wird wie deutsche Plundertaschen im Viereck ausgerollt und dann zur Mitte hin von allen Ecken gefaltet. Der Hefeteig wird zu einem Rund geformt wie Pfannkuchen, anschließend gibt man Käse darauf, schlägt die Ränder über und rollt auf’s neue aus. Diese Definition jedoch ist so vereinfacht, als würde man behaupten, Gedichte seien aufeinander folgende Zeilen, die sich reimen und einen Rhythmus einhalten.

Frauensache

Die Zubereitung von Chatschapuri ist Frauensache, wie auch die anderen Angelegenheiten der Küche. Über georgische Männer kann man viel Gutes sagen, trotzdem sind sie Machos vor dem Herrn. Es wäre ihnen verziehen, wenn sie dann wenigstens die bereiteten Chatschapuri mit Manieren äßen. Leider gelingt auch dieses nur wenigen und sollten sie ihre Frauen so anfassen wie diese Teigstücke, dann kann man nur sagen „Gute Nacht Marie“, nein, nicht Marie sondern Thea und Pikria oder Essma und Lehla.

Da die warme Sünde bereits zum Frühstück gegessen wird, stehen die Frauen in den konservativeren Haushalten und in der ländlichen Gegend mit den Hühnern auf und machen sich an die Arbeit. In den Städten hat man es leichter: fast jeder Tante Emma-Laden verkauft heiße Chatschapuri zu Hartz-IV-freundlichen Preisen. Weil es in Georgien aber kein Hartz IV gibt, bleibt diese Angabe vage und kann nur dadurch präzisiert werden, dass man sagt, auch die alte Frau, die von morgens um acht bis abends um acht für umgerechnet 15 Cent ihre Tüten mit Sonnenblumenkernen verkauft, wird am Abend in der Lage sein, sich den hungrigen Bauch mit mehr als einem Käsepfannkuchen zu füllen.

Natürlich sind die Qualitätsunterschiede erheblich, und wer in der Hauptstadt etwas auf sich hält, kauft seine Chatschapuri nicht irgendwo. Einheimische behaupten, dort, wo die Hauptstraße Rustaweli auf die Melikischwili Kucha stößt, vis a via des ehemaligen Flüchtlingshotels Iweria, gäbe es die besten Teigtaschen. Bei näherer Recherche allerdings stellt sich heraus, dass dieser Ort von jungen, männlichen Georgiern bevorzugt wird, die der dunkeläugigen, langhaarigen Schönheit hinter der kleinen Scheibe verfallen sind. Die Teigtaschen sind mittelmäßig.

Georgisches Junkfood

Dennoch hat dieser Stand Beachtung aufgrund der Lage verdient. Nur wenige Schritte weiter konkurriert McDonalds um hungrige Morgen- Mittag- und Nachtschwärmer. Dazwischen, mit Blick auf beide Schnellfressetablissements, steht steinern der Dichter Shota Rustaweli, der einst den „Recken im Tigerfell“ schrieb, in dem von Chatschapuri noch nicht die Rede ist, und schaut drein wie ein Schiedsrichter in diesem Duell zwischen kulturimmanenter und kulturfremder Kulinarie.

Chatschapuri ist georgisches Junkfood. Schnell zwischendurch auf der Hand zu essen, auch beim Kaffeeklatsch als Vorspeise zum Kuchen. Vor und nach durchzechtem Abend als Aufsauger für Alkohol. Chatschpuri ist salzig, aber süß für die Seele, so süß wie der georgische Wein, der einem dazu eingeschenkt wird und der doch selten ein reiner ist. An Chatschapuri kann man verzweifeln, weil die Seele nach dem Zeug giert, auch wenn der Körper schon längst befriedigt ist und so entsteht ein kaukasischer Kreidekreis wie Brecht ihn nicht gemeint hat, aber sicherlich gemeint hätte, wäre er in traurigen und kalten Tifliser Nächten auf Trost angewiesen gewesen.


Dass sich dieses Gericht zu jedem Thema und jeder Gelegenheit eignet, liegt an dem Verzehr-Kollektivismus. Chatschapuri kommt meist in dreifacher Lage, wird dann in Viertel geschnitten, also insgesamt zwölf Stücke, und von allen mit den Händen gegessen. Die gleiche Teilung erinnert an kommunistische Grundlagen, das Verspeisen selbst wird zum Ganzkörperakt, weil der sich ziehende Käse mit Händen und Zunge eingefangen und gebändigt werden muss.

Loch mit Spiegelei

Ältere Tifliser Bürger kaufen ihre Chatschapuri in der Straße Leselidzis Kucha, die vom ehemaligen Leninplatz und jetzigen Tavisuplebis Moedani zum Ufer des Flusses Kura führt. Rechts und links davon erstreckt sich die Altstadt, rechts schon mit deutlichen Sanierungsergebnissen, links so pathetisch-poetisch verfallen, man weiß nicht, ob man sich die Einmischung der UNESCO wünscht. Auf der rechten Seite der Leselidzis Kucha werden Fußgänger von früh morgens bis spät abends vom Duft nach schmelzendem Käse und gebackenem Teig umhüllt. Zu jenen Stunden in denen der gewöhnliche Bürger von Tiflis seine Mahlzeiten einnimmt, ist diese kleine Chatschapuri-Stube umlagert, als gäbe es Essen noch auf Lebensmittelkarten. Mittelalterliche dralle Frauen in bunten Kittelkleidern erobern mit Ellbogenkraft die vorderen Plätze, verdrängen die Schickimicki-Büro-Miezen, die auf ihren hochhakigen Schuhen nicht genügend Halt für diesen Kampf um Terrain finden.

Eine Besonderheit wird aus der Provinz Adscharien am Schwarzen Meer berichtet. Dort isst man Chatschapuri mit einem Loch in der Mitte, in welchem ein Spiegelei gebacken wird. Adscharien unterstand lange dem aufmüpfigen Gouverneur Aslan Abaschidse, den dann aber der neue Präsident Saakashvili und seine amerikanischen Freunde politisch zur Strecke brachten. Seither kann man dort auch die herkömmliche Version von Chatschapuri essen, die nur dann ein Loch hat, wenn einer mit seiner Kalaschnikow drauf schießt. Allzu oft soll das in Adscharien aber nicht mehr vorkommen.


Rezept für Chatschapuri

1kg Weizenmehl
30-50 g Hefe
0,5 l Wasser
4 Eier
3-4- EL Fett
1kg Käse (Butterkäse, Feta, Mozzarella, Hüttenkäse oder gemischt)

Aus dem Mehl, der Hefe, dem Wasser, ein wenig Fett und zwei der Eier einen Hefeteig zubereiten, diesen wie üblich gehen lassen. Die restlichen zwei Eier mit dem zerkrümelten Käse verrühren. Aus dem Teig Kugeln formen, diese rund ausrollen, in die Mitte den Käse geben und von den Rändern her den Teig zur Mitte falten. Eventuell an den Rändern fransig einschneiden, um diesen Prozess zu erleichtern. Dann den Teig noch einmal vorsichtig überrollen oder mit den Händen platt und rund drücken. Er darf nicht einreißen. Danach den Teig in einer vorgeheizten Bratpfanne auf mittlerer Hitze mit geschlossenem Deckel gar braten. Dann von beiden Seiten mit Butter bestreichen. Dazu schmeckt grüner Salat.


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