Ukraine

Das Lichtspiel am Ende des Tunnels

Intern hieß er nur Objekt 825. Hinter dem nüchternen Aktenzeichen verbarg sich eines der bestgehütetsten Geheimnisse der Sowjetunion: ein monumentaler U-Boot Hangar, der zugleich als Lager für Nuklearwaffen diente. Erbaut im Taurisberg von Balaklawa, einer Bucht im Südwesten der Halbinsel Krim. Nun verwandeln Künstler aus acht Ländern den einstigen Schauplatz des Kalten Krieges in einen kulturellen Hot Spot. 

Kunstobjekt Bunker / Christian Weisflog, n-ost

Hinter dem Gitter ist es feucht, finster und furchtbar kalt. Trotzdem können es die Menschen am Eingangstor kaum erwarten, endlich in den riesigen Tunnel zu treten, aus dem es bereits bedrohlich kracht und scheppert. Während andere Besucher der Bucht von Balaklawa noch in Badehose oder Bikini Schaschlik und Sommersonne genießen, drängeln sich rund 200 Gäste vor einer dunklen Pforte. Dann öffnen sich die Tore, der Tunnel verschluckt die Besucher und die „Balaklawa-Odyssee“ beginnt. Wie Kanalratten streifen die Menschen in einer Kolonne durch die dunklen Gewölbe. Sehen, hören und staunen. Denn hinter jeder Ecke lauert Kunst. Ein Trompetenspieler, der in Marineuniform eine Fanfare bläst, eine Tänzerin, die sich in weißem Gewand vor einer Videoleinwand dreht, Lichtblitze, die über feuchte Wände jagen.  

Der Tunnel, in dem ein internationales Kulturfestival gefeiert wurde, ist leicht zu übersehen, wenn man Balaklawa, einen kleinen Ort am Schwarzen Meer besucht. Die Leute kommen gewöhnlich nicht für künstlerische Projekte. Sie suchen Sonne, Strandleben und spektakuläre Aussichten auf das Meer. Sie kommen wegen einer Bucht aus dem Bilderbuch. Wer es aufzuschlagen vermag, sieht jedoch viel mehr. Eine Geschichte, die 2 500 Jahre zurückreicht. Hier vermutet man einen Schauplatz des griechischen Tantaliden-Mythos über die verbannte Iphigenie, den Euripides und später auch Johann Wolfgang von Goethe in seiner „Iphigenie auf Tauris“ verarbeitet hat. Sogar Homer soll die Bucht im zehnten Buch seiner „Odyssee“ erwähnt haben. Doch nicht nur Dichter und Denker setzten mit ihrem Werk Denkmäler. Von Hinterlassenschaften des römischen Imperiums bis zu den Zeichen des Kalten Krieges hat die Weltgeschichte in der kleinen Bucht deutliche Spuren hinterlassen.

Das ungeheuerlichste Zeugnis ist Objekt 825. Ein Deckname für einen gewaltigen Atombunker, dessen Bau Stalin 1953 kurz vor seinem Tod in Auftrag gab. 14 U-Boote und 30 000 Menschen sollten im Ernstfall darin unterkommen. Tatsächlich lagerten im Berg von Tauris nicht nur U-Boote, sondern auch Nuklearwaffen. Bis 1995 war Balaklawa deshalb hermetisch abgeriegelt.Eignet sich ein so unseliger Schauplatz des Kalten Krieges, der heute ein Museum ist, für ein internationales Kulturfestival? Ja, meinen der ukrainische Regisseur Roman Markholia und der Berliner Kurator Sebastian Kaiser. Als die beiden Freunde vor vier Jahren gemeinsam durch das malerische Balaklawa flanierten, wurde die Idee geboren. „Die Umsetzung war allerdings alles andere als ein Spaziergang“, gibt Kaiser heute zu. Die Freunde versammelten Künstler aus Russland, der Ukraine, Rumänien, Moldawien, Polen, der Schweiz, Österreich und Deutschland, „alles Länder, die historisch mit dem Ort verbunden sind“, wie Kaiser die Auswahl begründet.

Kunstwerk aus Licht und Ton / Carmen Eller, n-ost

In den drei Tagen der „Balaklawa-Odyssee“ verwandelt sich der einstige Schauplatz des Kalten Krieges in Kino und Konzertsaal, Museum und Multimediaforum zugleich. Zweimal täglich gibt es eine überaus gut besuchte Tour durch den Tunnel. Gleich zu Beginn erwarten den Besucher Porträts von Veteranen. Der Moskauer Fotograf Oleg Chernous hat ehemalige Militärs in Uniform vor die Kamera geholt. Viele der Veteranen, unter ihnen auch Stanislaw Georgijewitsch Alexejew, der Konteradmiral der Schwarzmeerflotte, hatten die einst streng geheime Militäranlage seit Jahrzehnten nicht mehr betreten. Am Ende eines der düsteren Gänge inszeniert die Dresdner Künstlergruppe DS-X.org den Mythos von Iphigenie als Multimedia-Spektakel.

Auf der Hälfte der Strecke landen die Besucher unversehens in einem Kinosaal, auf dessen kleiner Leinwand kurze Matrosenfilme laufen. Eine Reminiszenz an „Mon Plaisir“, das älteste Kino Balaklawas, das überhaupt als eines der ersten auf russischem Boden gilt. Gegen Ende der Tour legt Sebastian Kaiser den Finger auf den Mund. Ruhe möchte er, Ruhe und gespannte Aufmerksamkeit. Weiter hinten steht schon sein Kollege Roman Markholia und teilt die Menge der Besucher wie Moses das Meer. Die Menschen harren gebannt der Dinge, kichern, weil die Sache nun doch nicht so ernst sein kann, recken aber neugierig die Hälse Richtung Tunnelende, weil die Spannung sich längst auch auf sie übertragen hat. Nur wenige Minuten später fährt aus der Dunkelheit eine junge Frau auf einem quietschenden Karren durch Greise und Kinder. Wieder ist es die verbannte Iphigenie, die diesmal durch eine kurze Szene der Schweizer Schauspielerin Simona Sbaffi zum Leben erweckt wird. Das Echo lässt ihren Klagegesang von allen Wänden widerhallen. Erst als der Tunnel die Touristen wieder in das sonnige Balaklawa spuckt, löst sich der Zauber. „Die Akustik im Hangar ist fantastisch“, begeistert sich Kaiser nach der Führung. „Und der Tunnel als historisches Mahnmal ein reizvoller Schauplatz für Künstler aller Genres.“

Insgesamt 60 Menschen haben das Kulturfestival ehrenamtlich auf die Beine gestellt. In beharrlicher Sisyphusarbeit haben die Organisatoren ein Zeichen gesetzt: Auch der größte Fels kann ins Rollen kommen und Licht in den schwärzesten Tunnel fallen. Nach den Touren reflektierten Künstler und Wisssenschaftler in Balaklawa auf einer eintägigen Konferenz gemeinsam über die Geschichte des Ortes und die Kulturszene des Gastlandes. „Die Ukraine ist bisher noch gar nicht im kulturpolitischen Fokus“, bedauert Sebastian Kaiser. Das soll sich nun ändern. Denn die Organisatoren der „Balaklawa-Odyssee“ haben schon einen neuen Traum: „Wir wollen Partner aus dem Westen für diese einzigartige Region interessieren und hier irgendwann ein Kulturzentrum eröffnen.“   


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