Deutscher dreht Spielfilm in Auschwitz
Robert Thalheim zeigt erstmals die Stadt neben dem Todeslager Auschwitz / InterviewOswiecim/Auschwitz (n-ost) - „Ruhe... Aufnahme“ tönt es über den Bahnsteig. Eine Filmklappe gibt das Startsignal und ein Nahverkehrszug der polnischen Eisenbahn rollt heran. Einige Reisende steigen aus und eilen weg, der Zug fährt rasch weiter und auf dem Bahnsteig bleibt etwas verloren ein junger Mann mit Rucksack und Rollkoffer zurück. Im Hintergrund ist ein Bahnhofsgebäude aus den 60er Jahren zu sehen, nicht schön aber funktional – in großen Buchstaben ist im Licht der tiefen Abendsonne der Name des Bahnhofs zu lesen: „Oswiecim“.„Ende. Danke. Die Szene haben wir“, ruft Robert Thalheim, Regisseur aus Berlin, der an diesem Bahnhof einen einzigartigen Film dreht: Es ist der erste Spielfilm, der die polnische Kleinstadt Oswiecim zeigt, die seit über 60 Jahren stets im Schatten des einstigen deutschen Todeslagers Auschwitz steht. Der Drehtag am Bahnhof von Oswiecim ist für Robert Thalheim und sein deutsch-polnisches Filmteam besonders wichtig: Hier beginnt die Geschichte von „Am Ende kommen Touristen“: Der junge Mann auf dem Bahnsteig ist der Deutsche Sven, der in Auschwitz seinen Zivildienst beginnt. Seine wichtigste Aufgabe dort ist es, sich um den ehemaligen polnischen KZ-Häftling Krzeminski zu kümmern, der noch immer in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Lager lebt. Parallel dazu verliebt sich „Zivi“ Sven in eine junge polnische Museumsführerin in der Gedenkstätte und lernt dadurch die Menschen und Probleme des heutigen Oswiecim kennen, am Rande und im schatten von Auschwitz gelegen, dem weltweiten Symbol für den nationalsozialistischen Völkermords. Dreharbeiten auf dem Bahnhof von Oswiecim. Foto: Hartmut ZiesingBei „Am Ende kommen Touristen“ steht besonders die Beziehung zwischen Sven und dem Überlebenden Krzeminski, die problematisch und kompliziert, manchmal auch tragikomisch ist, im Mittelpunkt. Thalheim greift dabei auf seine eigene Biographie zurück. Er selbst arbeitete für Aktion Sühnezeichen Mitte der 90er Jahre in Auschwitz.Der 32-jährige Thalheim zählt zu den größten deutschen Nachwuchshoffnungen. Sein erster Film „Netto“, eine Vater-Sohn-Beziehungsgeschichte im Zeitalter von Hartz IV, war eigentlich nur eine in den Semesterferien gedrehte Seminararbeit bei Rosa von Praunheim, Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Doch der Film schaffte den Sprung ins Programm der Berlinale 2005 und gewann den Max-Ophüls-Förderpreis der Deutschen Filmkritik. Vor wenigen Tagen eröffnete „Netto“ in der renommierten ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ die Nachwuchsfilmreihe „Gefühlsecht“. Das Besondere an „Netto“: Sein damaliges Budget betrug gerade einmal 3200 Euro. Für „Am Ende kommen Touristen“ hat Robert Thalheim nun knapp eine Million Euro zur Verfügung, fast 600.000 Euro stammen aus der öffentlichen Filmförderung, auch das ZDF ist wieder dabei. Den Rest steuert die Berliner Produktionsfirma 23/5-Film von Hans-Christian Schmid („Lichter“) und Britta Knöller bei. „Wir können jetzt viel professioneller arbeiten“, freut sich Thalheim, „aber man merkt, dass ein anderer Wind weht als bei Studentenfilmen, plötzlich ist man eingeschränkt durch Dinge wie Arbeitsrecht und Drehgenehmigungen – „Netto“ haben wir viel wilder gedreht.“ Eine besondere Herausforderung ist für Thalheim, wie der historische Ort Auschwitz in seinem Film vorkommt. Die polnische Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau erteilte ihm keine Dreherlaubnis für das Gelände des ehemaligen Lagers. Auf Nachfrage begründete Krystyna Oleksy, stellvertretende Direktorin der staatlichen Gedenkstätte, diese Entscheidung: „Seit Steven Spielberg „Schindlers Liste“ in Auschwitz drehen wollte, kann das Gelände nicht mehr für Spielfilme genutzt werden. Für sie müssen neue Elemente, wie Schauspieler, Statisten und Filmkulissen in die Gedenkstätte gebracht werden. Aber Auschwitz ist ein Friedhof und kann keine Kulisse für Spielfilme sein.“ Dennoch will Oleksy den Filmemachern Mut machen: „Spielberg hat später selber auf die Aufnahmen in Auschwitz verzichtet und dennoch viele Oscars gewonnen.“ Für den Regisseur Thalheim bedeutet diese Entscheidung, dass er sich nun ganz auf die Stadt Oswiecim konzentrieren muss und keine Szenen in Auschwitz drehen kann. Eine solche Option hatte er selber bereits von Anfang an in Erwägung gezogen und ist nun durch die Entscheidung der Gedenkstätte dazu gezwungen, auf Bilder im ehemaligen Konzentrationslager zu verzichten. „Es gab bei uns im Team immer wieder die Frage, wie viel vom Ort des konkreten Verbrechens man eigentlich zeigen muss, um Auschwitz gerecht zu werden“, erklärt Thalheim, „und jetzt bin ich sogar froh, dass wir nicht auf dem Gelände des Lagers drehen. Ich hoffe, dass man dadurch noch mehr Respekt dem Ort gegenüber wahrt.“Regisseur Robert Thalheim mit Kamerafrau Yoliswa Gärtig. Foto: Hartmut ZiesingSo befinden sich alle Drehorte nun ausschließlich in Oswiecim, nicht nur am Bahnhof sondern auch am zentralen Stadtplatz und in einer Plattenbausiedlung, die die Oswiecimer ironisch „Manhattan“ nennen, weil die Hochhäuser in den Augen der Menschen hier so hoch sind wie die New Yorker Skyline. Die meisten Bewohner von Oswiecim freuen sich, dass ihre Stadt Thema von Thalheims Film ist. „Mir gefällt, dass in der Stadt gedreht wird und nicht in der Gedenkstätte“, freut sich Gabriela Nikliborc, eine junge Oswiecimerin, „viele Menschen in der Welt wissen nicht, dass das hier auch eine ganz normale Stadt ist, dass unsere Kinder auf Spielplätzen spielen und wir in Kneipen gehen.“ Und besonders begeistert ist Nikliborc, dass sie als eine von über 300 Statisten aus der Stadt in dem Film mitspielen kann. Aber nicht alle Oswiecimer freuen sich über die Dreharbeiten: Bei einem Dreh in der Plattenbausiedlung „Manhattan“ empört sich eine ältere Frau, die ihren Namen nicht nennen will, dass ausgerechnet ein deutscher Regisseur in der Stadt einen Film macht. Gabriela Nikliborc, die selber in einer Begegnungsstätte arbeitet, hat für eine solche Kritik kein Verständnis: „Es ist ein Element der deutsch-polnischen Versöhnung, wenn ein junger deutscher Regisseur über eine polnische Stadt dreht und dies vor dem Hintergrund seiner eigenen Biographie als Zivi hier tut. Das ist auch eine neue Perspektive für viele Polen“.Deutsch-polnische Verständigung gibt es auch unter den Schauspielern: Sven wird von dem jungen Berliner Schauspielschüler Alexander Fehling gespielt, der Überlebende Krzeminski vom langjährigen polnischen Bühnenschauspieler Ryszard Ronczewski. Die Rolle von Ania übernimmt das Krakauer Nachwuchstalent Barbara Wysocka. In der deutsch-polnischen Schauspiel-Zusammenarbeit kommt es immer wieder auch zu Reibungen, z.B. über die Frage, wie die polnische Realität dargestellt wird. Regisseur Thalheim: „Es gibt da Missverständnisse, die sehr spannend sind und über die wir uns schon einige Nächte die Birnen heiß diskutiert haben. Aber das ist ein Prozess der Diskussion und der deutsch-polnischen Annäherung“.Der Film soll zur nächsten Berlinale im Februar 2007 fertig sein und wird im Sommer in die Kinos kommen. Fernsehzuschauer müssen sich noch bis 2008 gedulden, dann strahlt das ZDF Robert Thalheims Film „Am Ende kommen Touristen“ aus.*** Ende ***
„Keine einfachen Versöhnungsgesten“
Interview mit Robert Thalheim über seine Dreharbeiten zu „Am Ende kommen Touristen“Frage: Sie haben in Oswiecim selber ihren Zivildienst geleistet. Stammt daher die Idee für Ihren Film?Robert Thalheim: Als ich vor drei, vier Jahren den Film „Hiroshima mon amour“ gesehen habe, beeindruckte mich die Verknüpfung einer privaten Geschichte mit dem kollektiven Ort.
Seither habe ich Lust, etwas über Oswiecim und seine Widersprüche zu erzählen, über die Stimmung und meine Erlebnisse an diesem Ort. Ich war nach meinem Zivildienst immer wieder in Oswiecim und habe danach gesucht, wie man diese Geschichten an der Peripherie eines Ortes der deutschen Verbrechen in Polen erzählen kann. Christian Cloos vom „Kleinen Fernsehspiel“ beim ZDF hat mich früh in meiner Idee bestärkt, dass es am besten aus der Perspektive eines deutschen Zivis geht. Mit Britta Knöller und Hans-Christian Schmid von der Produktionsfirma 23/5 habe ich den Stoff dann weiterentwickelt. Ich habe übrigens während meines eigenen Zivildienstes in Auschwitz angefangen, mit der Videokamera zu experimentieren und Filme zu machen. Die Bilder, Orte und Stimmungen sind mir sehr präsent.Frage: Wie viele eigene Erlebnisse als Zivi in Auschwitz stecken in dem Film?Thalheim: Der Film ist in dem konkreten Sinn nicht sehr autobiographisch. Der Charakter vom Hauptdarsteller Sven ist eher das Gegenteil von mir. Ich bin sehr idealistisch, sehr reflektiert und sehr vorsichtig dorthin gekommen und er ist jemand, der dort reinplatzt und mal guckt, was los ist. Auch in seiner Beziehung zum ehemaligen Häftling Krzeminski hat er nicht den ganzen Ballast und einen riesigen Respekt. Das ist das Spannende, wie er sich am Anfang total über ihn ärgert, langsam eine Beziehung zu ihm aufbaut und anfängt, etwas über die Dimensionen dessen, was ihm Krzeminski im Lager passiert ist, zu lernen. Aber der Film erzählt, was ich selbst erlebt habe: diese merkwürdige Überschneidung in einer wichtigen Lebensphase. Man wird erwachsen, man fängt an, ein Wertesystem aufzubauen, man überlegt, was sein Platz in der Welt ist und wer man eigentlich ist – alle diese Fragen überschneiden sich mit dem Ort deutscher Geschichte, mit Auschwitz.Frage: Die polnische Kleinstadt Oswiecim ist in der ganzen Welt nur durch das ehemalige Lager Auschwitz bekannt. Wie zeigen Sie im Film die Menschen dieser Stadt?Thalheim: Eine extreme Haltung ist der Wunsch, sich das Leben nicht weiter von deutscher Geschichte bestimmen zu lassen. Dafür steht im Film Ania, in die sich Sven verliebt: Sie macht Führungen im Lager, aber hat in Oswiecim keine Zukunftsperspektive und ihr einziger Wunsch ist es wegzukommen. Irgendwann sagt Ania zu Sven: „Lass mich doch jetzt mal mit Deinem Lager zufrieden, ich hab wirklich genug davon“. Ich kenne das aus eigenen Begegnungen mit Jugendlichen: In einer Kneipe habe ich einmal gehört: „Nehmt doch Euer blödes Lager wieder mit nach Hause, da könnt Ihr Euch das toll anschauen und diskutieren und müsst nicht uns Polen damit auf den Geist gehen“. Ich zeige im Film verschiedene Charaktere, die die Zwiespältigkeit der normalen Oswiecimier zeigen, an so einem Ort zu wohnen. Ich packe das nicht alles in eine These sondern erzähle konkrete Geschichten von Menschen, die hier wohnen. Man ist dann ganz schnell bei der Vergangenheit und bei dem Widerspruch zwischen der Geschichte und der Gegenwart.Frage: Wie ist Ihre Erfahrung mit Deutschen in Auschwitz? Es kommt eigentlich niemand im Film vor...Thalheim: ...der alles richtig macht. Das ist meine Erfahrung mit dem Ort. Man kann hier nicht alles richtig machen, gerade als Deutscher nicht. Am Ende des Films kommt eine nervende Schulklasse und ein nerviger Lehrer, der eigentlich nicht allzu viel Ahnung hat. Trotzdem fährt Sven, der gerade aufgeben will, mit denen zurück und es ist wichtig, dass sie hierher kommen. Wir können uns nicht in die Mitte von Berlin ein Mahnmal hinstellen und uns auf die Schulter klopfen, weil wir jetzt unsere Geschichte ziemlich gut aufgearbeitet haben und alles endlich loswerden. Wir müssen uns weiter mit Auschwitz auseinandersetzen, auch wenn man vieles falsch macht.Frage: Sie drehen als Deutscher diesen Film auch mit polnischen Schauspielern und in einem deutsch-polnischen Team. Gibt es da Reibungspunkte? Thalheim: Ja, die Polen schauen zum Beispiel sehr kritisch darauf, wie ihr Land dargestellt wird. Es gibt zum Beispiel eine Szene, wo ein deutscher Meister einer Lehrlingsgruppe über das Chemiewerk in Oswiecim sagt „Das haben die Polen ja hier ganz schön runtergewirtschaftet aber wir nehmen das jetzt wieder in die Hand, wir haben schon ganz andere Sachen hingekriegt“. Einige Polen im Team haben das als Angriff gegen ihr Land verstanden, obwohl der Meister in meinen Augen eine negative Figur ist, die für eine Art deutscher Arroganz steht. Solche Missverständnisse sind sehr spannend. Ich weiß, dass der Film vor allem zeigt, wie verschiedene Deutsche hier mit dieser Geschichte umgehen, aber es geht zugleich darum, wie sie dabei Polen begegnen. Ausgangspunkt des Films ist für mich eine Art Liebeserklärung an Polen. Ich bin sehr geprägt von meiner Zeit dort, aber je mehr man eine Sache mag, desto genauer schaut man ja auch hin. Deswegen sucht der Film auch keine einfachen Versöhnungsgesten.*** Ende ***------------------------------------------------------
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