Bulgarien

Noch geiziger als die Schotten

Wer erfand die Streichholzschachtel mit nur einer Reibefläche? Den Minirock und die engen Herrenhosen? Wo tanzt man auf Socken, um die Musik aus dem benachbarten Sevlievo hören zu können? Wo verkauft man farblose Limonade in farbigen Flaschen? Wo hat man durch ständiges Unterschieben von Enteneiern die Störche aus der Stadt vergrault? Und wo schneidet man Katzen die Schwänze ab, um im Winter rascher die Tür hinter ihnen schließen zu können? Viele Fragen, eine Antwort: natürlich im bulgarischen Gabrovo!

In diesem Städtchen am Nordhang des Balkangebirges lebt wirklich eine schwanzlose Katzenrasse – die die witzigen Gabrovoer sogar zum inoffiziellen Wappentier kürten. Womit sie sonst noch prunken könnten, verschweigen sie lieber, um nicht den Neid von Rest-Bulgarien zu wecken. Den Gabrovo ist eine Stadt der Superlative: Hier entstand Bulgariens erste moderne Schule (1835), die erste Schulbibliothek (1840), das erste Physiklabor (1872), die erste Rot-Kreuz-Gesellschaft (1883), die erste Wetterstation (1887), die erste Schuhfabrik (1918), der erste Tennisplatz (1922) und noch viel mehr. Worauf die Gabrovoer aber wirklich stolz sind, ist ihr Titel „Welthauptstadt des Humors“.

1968 verbreitete sich die Kunde von Gabrovo bis nach Schottland und löste dort ein begeistertes Echo aus: Gabrovski schegi (Gabrovo-Witze) sind nämlich Zwillinge der Schottenwitze, nur witziger: „Oma, gib mir die Schere! – Die gibt’s nur, wenn Gäste da sind. Beiß den Faden ab!“ In Glasgow fand damals ein Wettbewerb um den besten Gabrovo-Witz statt. Nun findet das Humor-Festival alle zwei Jahre in Gabrovo selbst statt. Als Organisator fungiert das „Haus des Humors und der Satire“ in der Uliza Brjansk, das auch für einen berühmten Karneval, Karikaturenwettbewerbe und Ausstellungen zuständig ist, was alles Unmengen von bulgarischen Levas kostet.

Verblüffend, denn eigentlich gelten die Gabrovoer als äußert sparsam: Ein Fremder will sich in Gabrovo eine Zigarette anzünden. Ein Gabrovoer reicht ihm seine brennende Zigarette hin und sagt dann: „So, und jetzt gib mir das Streichholz!“ Zehntausende Witze, die meisten von Gabrovoern erdacht, rühmen den Geiz der Bürger – die entsprechenden Witzsammlungen sind in Dutzende Sprachen übersetzt worden, und so wird man „Welthauptstadt des Humors“.

Gabrovo liegt am Nordeingang des berühmten Schipkapasses. Ratscho Kovatscha (der Schmied) soll die Stadt um 1400 gegründet haben. Das jedenfalls steht an seinem Denkmal – das auf einem Inselchen im Fluss Jantra steht, weil dieser Platz, nach damaliger Aussage eines Stadtrats „wirklich zu nichts anderem zu gebrauchen war“. Bis heute sind die rund 80.000 Gabrovoer ein besonders sympathischer Menschenschlag, die den Fremden gastfreundlich einladen, um ihm den ganzen Abend lang Witze über den angeblichen Gabrovoer Geiz zu erzählen.

Dabei sind Gabrovoer nur sparsam. Sparsamkeit bedeutet für sie, alles Überflüssige zu vermeiden, ganz besonders überflüssige Ausgaben: Drei Gabrovoer gehen ins Restaurant. Zwei suchen erst einmal den Waschraum auf, der dritte streicht unterdessen alle teuren Gerichte in der Speisekarte durch – er sollte nämlich die Zechen zahlen. Oder: „Kellner, mir ist ein Lev unter den Tisch gefallen. Wenn Sie ihn finden, geben Sie ihn mir. Wenn nicht, dann ist er Ihr Trinkgeld!“ Oder: „Junge hast du die neuen Schuhe an? Ja, Vater! Dann mach’ gefälligst größere Schritte!“

„Varikletschkovzi“ wurden die Gabrovoer im alten Bulgarien genannt: „Stäbchenkocher“. Auf Reisen kochten sie nämlich mittags eine gemeinsame Suppe – in die jeder sein eigenes Fleisch an einem markierten Stäbchen tunkte. Diese Sitte ist verbürgt, wie es aber eine Erfindung ist, dass Gabrovoer bei Dienstreisen nach Sofia ihren Durst mit dem warmen Mineralwasser aus dem Brunnen vor dem Sofioter Badehaus stillten. Den Gabrovoern war es immer egal, was man über sie sagte, wenn man nur von ihnen sprach! „Svetat e oceljal, saschtoto se e smjal“ reimen sie: Wie wär’ die Welt zu retten, wenn wir kein Lachen hätten!


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