Bosnien-Herzegowina

Deutsche Gouverneure in „Mission impossible“

Die Diplomaten Schwarz-Schilling und Rücker sollen das UN-Engagement auf dem Balkan beenden

Sarajevo (n-ost) - Mit Christian Schwarz-Schilling in Sarajewo und Joachim Rücker in Pristina stehen mittlerweile gleich zwei Deutsche an der Spitze der UN-Verwaltungen in Bosnien und im Kosovo. Der 55-jährige Rücker, ehemaliger Bürgermeister von Sindelfingen und zuletzt UN-Privatisierungschef im Kosovo, wurde Anfang dieser Woche von UN-Generalsekretär Kofi Annan ernannt. Der 75-jährige Schwarz-Schilling amtiert in Bosnien seit dem 1. Februar 2006. Beide Deutsche haben eine „Mission impossible“ übernommen: Sie sollen den Ausstieg des UN-Engagements auf dem Balkan in die Wege leiten und ihre eigenen Posten so schnell wie möglich überflüssig machen. Dabei kann von einer gefestigten Selbstverwaltung bislang weder in Bosnien noch im Kosovo die Rede sein.Erinnerungen an eine heile Welt: Olympiaplakat in Sarajewo für die Spiele 1984. Foto: Peter Koller„Ich erwarte, dass ich der letzte UN-Verwalter im Kosovo sein werde“, mit diesen Worten trat Joachim Rücker in diesen Tagen sein Amt in Pristina an. Für seinen Kollegen Schwarz-Schilling gibt es sogar bereits eine festes Ausstiegsdatum: So beschloss die Leitung des Peace Implementation Council (PIC) – Repräsentanz von 55 Regierungen und Organisationen, die im Wiederaufbau Bosniens engagiert sind – auf einer Sitzung Ende Juni, das Amt des Hohen UN-Repräsentanten (OHR) zum 30. Juni 2007 zu schließen.Unverkennbar ist, dass der UN sowohl im Kosovo, als auch in Bosnien, die Geduld abhanden kommt. Erst Ende April lehnte das Parlament der Republik Bosnien-Herzegowina ein „Paket“ von Reformen ab, das die internationale Gemeinschaft mit großer Mühe vorbereitet hatte. Diese Tatsache wurde von der UN zunächst mit „tiefem Bedauern“ zu Kenntnis genommen und mit  Warnungen vor den „negativen Folgen einer verpassten Möglichkeit voran zu kommen“ versehen. Schwarz-Schilling bekannt frustriert: „Wenn ich in diesem Land auf Reformen dränge, fühle ich mich oft einsam. Nicht Worte zählen, sondern Taten.“Davon gibt es immer noch zu wenig. In den elf Jahren seit Beginn des UN-Engagements in Bosnien hat sich das Land nur wenig weiterentwickelt, kaum anders sieht es nach fast sieben Jahren UN-Präsenz im Kosovo aus - ökonomisch sind beide Gebiete fast hoffnungslose Pflegefälle mit einer Arbeitslosenquote von offiziell 40-50 Prozent, politisch sind es Ruinenlandschaften, und ethnisch Kampfplätze nationalistischer Obstruktion, mit dem Unterschied, dass im Kosovo eine erdrückende albanische Mehrheit sich gerade in Verhandlungen die Unabhängigkeit von den Serben ertrotzen will, während Bosnien seine Unabhängigkeit schon hat, aber in verschiedene Lager gespalten ist.Am 1. Februar 2006 übernahm Christian Schwarz-Schilling (re.) das Amt des UN-Repräsentanten in Bosnien von Paddy Ashdown (li.). Foto: Norbert Rütsche
 
An der Stagnation, so erkennt man auch am UN-Sitz New York immer mehr, sind zunehmend auch die Vereinten Nationen auch selbst schuld: Das heutige Bosnien wurde im November 1995 durch das Dayton-Friedensabkom¬men (GFAP) konstruiert. Es war zweifellos gut gemeint, das seit mindestens einem Jahrtausend bestehende integrale Bosnien in zwei „Entitäten“ – „Republika Srpska“ (RS) im Norden und Osten, Bosnisch-Kroatische Föderation im Westen und Süden – zu teilen, um es nach dem Grundsatz „Drei Völker, zwei Entitäten, ein Staat“ von Grund auf zu rekonstruieren.

Die Folge war, dass sich kaum Macht bei den Zentralorganen der Republik und viel Macht bei den beiden Entitäten konzentrierte. Dazwischen stand und steht der Hohe Repräsentant der UN als Schiedsrichter mit weit reichender Machtbefugnis. Das Hoffen der internationalen Gemeinschaft auf Wahlen als vermeintlichem Zaubermittel für Demokratie, Versöhnung und Wiederaufbau wurde enttäuscht. Die häufigen Urnengänge brachten eine stark rückläufige Beteiligung und hievten die alten Kriegsparteien – „Partei der Demokratischen Aktion“ (SDA), bei den Muslimen, „Kroatische Demokratische Union“ (HDZ) bei Kroaten und „Serbische Demokratische Partei“ (SDS) bei Serben – in frühere Machtpositionen zurück.

Die internationale Gemeinschaft solle, riet vor geraumer Zeit der angesehene Balkanexperte William Pfaff, endlich ihre Niederlage in Bosnien eingestehen und das Land der ultimativen ethnischen Teilung überantworten, nachdem sie durch die Schaffung der Entitäten den Fortgang der ethnischen Säuberung selbst initiiert habe.

Um nicht völlig ihr Gesicht zu verlieren, versucht die Internationale Gemeinschaft Bosnien nun der EU zu überantworten. Doch die EU ist mit eigenen Problemen ausgelastet und derzeit kaum fähig, weitere Länder aufzunehmen. Bosnien will in die EU, hat auch schon technische Vorgespräche für ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) aufgenommen, die aber lustlos verlaufen, weil die nationalistische Obstruktion die Erfüllung Brüsseler Standards nahezu unmöglich macht. Bosnien will in die NATO, aber halbherzige Armee- und Polizeireform samt minimalem Eifer, Kriegsverbrecher wie Radovan Karadzic, Ratko Mladic und andere zu fangen, machen das Vorhaben zur Illusion. Und so ist es allenthalben: Bosnien kann sein Potential nicht nutzen, weil nationalistische Eliten in den Entitäten unter EU-Augen an seinem Verfall arbeiten.

Schwarz-Schilling und die UN sind machtlos, denn sie können keine EU- und NATO-Mitgliedschaft verordnen. Allein Schwarz-Schillings Präsenz und seine letztinstanzlichen Vollmachten weisen Bosnien mehr als halbkoloniales Protektorat denn als souveränen Staat aus.
Nun versucht man es mit der Brechstange. Die UN kündigt ihren Ausstieg an. Ökonomisch sowohl für Bosnien als auch für das Kosovo eine echte Katastrophe, denn die Uno ist in beiden Gebieten der mit Abstand größte Arbeitgeber und eine von den einheimischen Vermietern, Taxifahrern, Restaurantbesitzern gerne gemolkene Kuh. Zudem müssen die sich bislang auf dem politischen Spielfeld bekriegenden Politiker dann ohne dominanten Schiedsrichter auskommen. Dies soll Lethargie und regionalen Chauvinismus in Aktivität, Initiative und Staatsverantwortung verwandeln. Die absehbare Schließung soll eine „absolut positive Entwicklung“ einleiten, hofft Schwarz-Schilling.

Dennoch traf die Ankündigung einen Nerv. Groß war der Aufschrei: Der derzeitige Vorsitzende des dreiköpfigen bosnisch-herzegowinischen Staatspräsidiums Sulejman Tihic versuchte umgehend, eine Verschiebung der Ausstiegsentscheidung zu erreichen.

Postwendend sammelte Schwarz-Schilling die Brechstange wieder ein und stellte einen Trostpreis in Aussicht: Der UN-Repräsentant soll in Sarajewo von einem EU-Repräsentanten abgelöst werden, mit geminderten Kompetenzen aber im Besitz des „ultimativen Lockmittels eines eventuellen EU- und NATO-Beitritts“. Diese Rolle will ausgerechnet Schwarz-Schilling übernehmen. „Mein Team und ich werden in Bosnien und Herzegowina bleiben um den Reformprozess auf allen Gebieten zu unterstützen“, erklärte der 75-Jährige und kündigte an, dass sich das europäische Engagement in den kommenden Jahren sogar noch verstärken werde.

Ende

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Wolf Oschlies
 
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