Bulgarien

Das neue Eingangstor nach Europa

Die bulgarisch-türkische Grenze markiert ein Maschendrahtzaun: der alte Eiserne Vorhang. „Man hat sich einfach nicht darum gekümmert, ihn abzubauen“, sagt Stoicho Dimitrov, Leiter der Grenzpolizei Svilengrad achselzuckend. Gegenüber von Dimitrovs Schreibtisch hängt eine große Karte der Republik Bulgarien. Mit einem Kugelschreiber fährt der Polizeibeamte an der schwarz gestrichelten Linie entlang. Grenzen, die bewacht werden müssen, gibt es im Dreiländereck Bulgarien-Griechenland-Türkei mehr als genug. Das Hügelland des Strandzha-Gebirges, das bis zum Schwarzen Meer reicht, ist nur dünn besiedelt. Dichte Laubwälder machen es mitunter schwer zugänglich.

Auf den Maschendraht aus sozialistischer Zeit verlässt sich der Zöllner allerdings nicht mehr. Man arbeite längst mit modernen Geräten, versichert Dimitrov und gibt bereitwillig einen Überblick über die Überwachungstechnik. Nachtsichtgeräte, Wärmebildkameras und das Funknetz TETRA gehören mittlerweile zur Grundausstattung der Polizisten. Die Europäische Union lässt sich die Aufrüstung ihrer 270 Kilometer langen neuen Außengrenze einiges kosten. Mit PHARE-Projekten im Wert von zwölf Millionen Euro wurde der bulgarisch-türkische Grenzabschnitt in den letzten Jahren aufgerüstet. Nur ein Viertel dieser Summe stammt aus bulgarischen Quellen.

171 Personen wurden laut Angaben des Innenministeriums vergangenes Jahr beim Versuch aufgegriffen, die „grüne Grenze“ zu übertreten. „Leute aus grenznahen Dörfern, die die Umgebung und das Bewachungssystem kennen, helfen ihnen beim Übertritt“, so Dimitrov. Für die Hilfe eines „kanaldzhija“ – eines Schleppers – seien zwischen 500 und 1000 Euro zu zahlen. In der Vergangenheit wurden allerdings auch Fälle von Grenzpolizisten bekannt, die ihr Gehalt durch Wegschauen aufbesserten.

Der Übergang Kapitan Andreevo/Kapikule ist das zukünftige Eingangstor zur EU. Hier verläuft mit dem paneuropäischen Verkehrskorridor IV die Hauptverbindung zwischen Asien und Europa. Das Verkehrsaufkommen ist enorm: Im vergangenen Jahr überquerten fast fünf Millionen Personen, 50.000 Autobusse, 800.000 PKW und knapp eine halbe Million LKW den Kontrollpunkt. Am Grenzposten ist man sich der Verantwortung für Europa bewusst. „Da wir hoffentlich bald eine Außengrenze der EU werden, gelten hier sehr strenge Kontrollen“, erklärt Kostadin Kadev, der Leiter des Postens und verweist stolz auf die Neuerungen der letzten Jahre. Computergestützte Arbeitsplätze, die mit dem nationalen Informationssystem verbunden sind, wurden eingerichtet, der Zoll verfügt über moderne Untersuchungshallen und derzeit wird eine zweite LKW-Trasse gebaut.

Zehnerreihen von LKW warten in Kapitan Andreevo auf die Abfertigung. Zeit gibt es hier im Überfluss, und nichts zu tun. Lastwagenfahrer spazieren im miefigen Dunst der Abgase auf und ab, andere machen ein Nickerchen in den engen Kojen. Ein Polizist überprüft mit einem Messgerät den Luftgehalt im Laderaum der LKW, um Menschen aufzuspüren. Doch Personen, die sich unter Nylonzelten verstecken oder Gasmasken tragen, können auch so nicht entdeckt werden. Jede technische Innovation bietet auch eine neue Möglichkeit, sie zu umgehen.„Bulgarien ist größtenteils noch ein Transitland“, erklärt Iliana Savova, Leiterin des Flüchtlingshilfsprogramms des bulgarischen Helsinki Komitees. „Die Menschen wollen nach wie vor weiter nach Westeuropa.“ Daran werde auch der EU-Beitritt des Landes so schnell nichts ändern.

Die Straße von Kapitan Andreevo ins nahe Städtchen Svilengrad wird von Kiosken gesäumt. „Euroshop“ steht in gemalten Lettern auf einer Holzbude geschrieben, die Ladenfront ist jedoch vernagelt. Die meisten der Verkaufsstände sind nicht mehr in Betrieb. Sie wurden einst ohne Genehmigung errichtet und warten nun auf ihren Abriss. Schmuddelige Kioske, die Waren aller Art feilbieten, scheinen nicht mehr so recht ins europäische Image zu passen.Svilengrad profitiert von der Grenze. Hier ist mehr los als in anderen Provinzstädtchen. Viele hier arbeiten bei Polizei und Zoll, und mit Cafes, Casinos, Spediteursunternehmen, LKW-Service und Hotels lässt sich gutes Geld verdienen. Jeden Freitag kommen eine Menge Einkaufstouristen aus Griechenland und der Türkei zum Markt. „Keine Stadt dieser Größe hat so viele Diskotheken wie unsere“, rühmt der Lokaljournalist Velko Velev das Nachtleben seines Heimatortes.

Die heutige Grenzregion wurde erst im Jahr 1912 ein Teil Bulgariens. An die osmanische Zeit, als Svilengrad Mustafa Pasha hieß, erinnert heute nur noch eine 300 Meter lange, imposante Steinbrücke. „Die historischen Beziehungen der Balkanländer sind sehr widersprüchlich“, erklärt der Bürgermeister Georgi Manolov. „Doch das hindert uns nicht daran, heute einvernehmlich zu leben.“ Längst praktiziere man hier grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden. Der umtriebige Bürgermeister sieht keinen Grund, warum nicht auch die Türkei einmal EU-Mitglied werden soll. Zunächst sei jedoch sein Land an der Reihe. „Wir leben hier an einem Ende Bulgariens“, sagt Manolov bedächtig, „Aber hier beginnt eben auch Bulgarien.“ Und ab 1. Januar 2007, so hofft er, die EU.


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