Russland

Weinkrieg gegen Georgien

Rotweine aus Georgien und Moldau werden staatlich boykottiertNowosibirsk/Tiflis/Moskau (n-ost) - Russische Weintrinker trauern alten Zeiten hinterher, in denen ihrem Alkoholgenuss noch keine Schranken auferlegt waren. 15 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion rächt sich das große Russland an zwei kleinen, politisch ungezogenen Bruderstaaten, indem es den Import der beliebten süßen Rotweine aus dem georgischen Kaukasus und der Republik Moldau boykottiert. Auch für das berühmte Mineralwasser aus Georgien gilt das Importverbot. Alles begann am 27. März. Nach einer Anzeige des Moskauer Amtsarztes Gennadi Onischtschenko wanderten Weine aus Moldau und Georgien auf die schwarze Liste – angeblich wegen Verseuchung mit Pestiziden. Die Moldauer und Georgier reagierten erwartungsgemäß empört. Roman Gasarijan, Verkäufer in einem Weingeschäft im georgischen Tiflis, argumentiert: „Die Russen fälschen zum Teil den georgischen Wein samt Etiketten und werfen uns nun mangelnde Qualität vor. Unsere Weine sind gut und die Welt weiß das. Aber letztlich ist es ein politisches Problem.“Ein georgischer Weinhändler in Tiflis präsentiert seine Köstlichkeiten, Foto: Timo Vogt/randbildDiese Meinung ist nicht von der Hand zu weisen. Im Gegensatz zu anderen ehemaligen Sowjetrepubliken stehen die georgische und die moldauische Regierung Russland kritisch gegenüber. In beiden Ländern gibt es abtrünnige Republiken. Transnistrien in der Republik Moldau wird von Moskau am Leben gehalten, Südossetien und Abchasien in Georgien suchen gar den Anschluss an die russische Föderation.Nachdem Russland im Mai auch noch den zweiten Exportschlager Georgiens – das Mineralwasser Borschomi – verbieten und demonstrativ 10.000 Liter in die Kanalisation kippen ließ, drohte der georgische Präsident Michail Saakaschwili mit dem Austritt aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Geholfen hat diese Drohung nicht - im Gegenteil. In Russland gibt es seit einigen Wochen nun ein perfekt nachgemachtes „Mineralwasser aus dem Borschomi-Tal“, das nicht aus georgischer Produktion stammt.
 
Die Führung des „Weinkrieges“ von georgischer Seite übertrug Saakaschwili  inzwischen folgerichtig dem Verteidigungsminister: dessen Taktik besteht vor allem in Marketing-Offensiven in der Ukraine – und in West-Europa, unter dem Motto: „Kauft den in Russland verbotenen georgischen Wein!“. Bis jetzt ist der Erfolg jedoch eher mäßig.Für die zwei betroffenen Länder ist der Wasser- und Weinboykott eine wirtschaftliche Katastrophe:
Der Weinexport nach Russland machte allein in Moldau 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Insgesamt deckten beide Länder gut 60 Prozent der russischen Importe – im Wert von 500 Millionen Dollar. „Russland ist bisher der größte Abnehmer unseres Weines gewesen“, erläutert der georgische Weinverkäufer Gasarijan. Auch er spricht bereits von einem „Weinkrieg“.In Russland fällt der Verzicht auf Alkohol, wie er hier an der Peter- und Paulsfestung in St. Petersburg gefordert wird, derzeit leichter, Foto: Andreas MetzDie „trockengelegten“ Russen sind ebenfalls sauer auf ihre Behörden. In Moskau gab es sogar eine Unterstützungsdemonstration vor der georgischen Botschaft. Dabei stieß man demonstrativ mit  georgischem Rotwein und georgischem Wasser an. Tatjana, Kundenberaterin in einer Nowosibirsker Weinboutique, bestätigt: „Schon unsere Großeltern und Eltern haben diese Weine geschätzt.“ Warum sie nun verboten sind, wisse nur die Regierung. „Wer will, findet immer Rückstände von Pestiziden im Wein. Kein Land der Welt produziert Wein gänzlich ohne Pflanzenschutzmittel.“
 
Auch Tatjana glaubt, dass georgische Weine in Russland vielfach gefälscht wurden: „In Russland darf alles als ‚Wein’ verkauft werden, was aus ‚Traubenmaterial’ hergestellt wird“ – damit mache man Fälschungen leicht, erklärt sie. So wurde der bekannte georgische „Kindsmarauli“, der im Fachgeschäft umgerechnet 20 Euro kostet, in Supermärkten oft für weniger als die Hälfte angeboten. Georgien soll vor dem Boykott 50 Millionen Flaschen nach Russland importiert haben – 200 Millionen aber wurden verkauft. Begleitet wird der „Weinkrieg“ nun von einer brisanten logistischen Panne. Ob Spanischer Wein, französischer Cognac oder schottischer Whisky – sämtlicher ausländischer Alkohol muss nach einem neuen Gesetz seit dem 1. Juli mit neuen Steuermarken versehen sein. Nicht mehr der Zoll, sondern das vom Geheimdienst FSB betriebene „Einheitlich-Staatliche Automatisierte Informationssystem“ beaufsichtigt das Aufkleben der neuen, mit einem Strichcode versehenen und angeblich fälschungssicheren Marken. Weil die neuen Marken aufgrund eines Sofware-Fehlers aber zum 1. Juli nicht rechtzeitig vorlagen, verschärfte sich der Alkoholmangel in Russland. Eine Internetseite russischer Händler spricht von der „Apokalypse des Alkoholmarktes“. Der russische Ministerpräsident Michail Fradkow richtete dieser Tage einen dringenden Appell an sechs Ministerien und Behörden und den Geheimdienst, in dem er unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der Krise verlangt Seit über drei Wochen sind die Spirituosen-Regale in Moskaus Supermärkten und Lebensmittelläden fast leer.Auch Tatjana, die Weinhändlerin aus Nowosibirsk, ist ratlos: „Ich weiß einfach nicht, wer daran wieder verdient.“ Ihr Laden ist wie leergefegt, nur auf wenigen Brettern der langen Regalreihen stehen einzelne Flaschen. Noch ist völlig unklar, wann die Behörden die Umstellungsprobleme in den Griff bekommen. Tatjana: „ Wahrscheinlich werden wir frühestens im November wieder unser volles Sortiment anbieten können.“Das volle Sortiment? Das ist eher unwahrscheinlich - mit Moldau und Georgien wurde noch immer keine Lösung gefunden. Auf einer Pressekonferenz nach bilateralen Gesprächen zwischen Russland und Georgien betonte der russische Präsident Wladimir Putin vor zwei Wochen, dass die russische Förderation an der Lieferung qualitativ guten Weins aus Georgien interessiert ist. Problematisch seien aber weiterhin Fälschungen. Erst wenn dieses Problem gelöst werde, „wird es keine weiteren Fragen zur Öffnung des russischen Marktes für diese Produkte geben“, so Putin.Das klingt nicht unbedingt nach einem schnellen Kompromiss. So werden die Russen, wenn endlich alle Steuermarken geklebt wurden, auf die bis dahin wohl weit teureren Weine aus Europa und aus Übersee zurückgreifen müssen. Im Moment verkauft sich alles, was Rebensaft nur ähnelt – selbst ein „Verschnitt trockener Weine aus verschiedenen EU-Ländern“ für zehn Euro.ENDE


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