Absturz der Fallschirmjäger
Jedes Jahr am 2. August ist Moskau eine Stadt auf der Hut
Moskau (n-ost) – Das Schild ist kategorisch: „Baden verboten!“ Ein guter Grund für die prustenden Männer im großen Springbrunnen des Moskauer Gorki-Parks, es in die Mitte zu nehmen und sich damit fotografieren zu lassen, zur Erinnerung. Dann plantschen sie ausgelassen weiter im Wasser, als hätten sie noch nie welches gesehen. Ihre Kameraden stehen klatschnass um das Becken herum, winken, rauchen, fallen sich in die Arme. Heute gehört ihnen, den Fallschirmjägern der Reserve, die Welt. Und Badeverbote sind noch das Wenigste, auf das sie pfeifen, bei ihren Verdiensten um die Heimat. Der 2. August ist in Russland „Tag der Luftlandetruppen“, da zählt das Bad im berühmten Gorki-Park für Veteranen, die in der Elitetruppe ihren Wehrdienst abgeleistet haben, zum Pflichtprogramm. Genauso wie das blau-weiß-gestreifte Trägerhemd, wie das blaue Barett auf dem Kopf. Wie die zu vielen Promille im Blut. Wie melodramatische Verbrüderungsszenen und die geröchelte Losung: „Slawa, WDW!“, Ruhm den Luftlandetruppen. Der 2. August 1930 gilt als Gründungsdatum der Truppe, in der heute 35000 Soldaten und Offiziere dienen. Ihr Leitspruch lautet „Keiner außer uns“. Wer beim Stolz der russischen Armee gedient und den Kopf fürs Vaterland hingehalten hat, der darf sich bei seinem „Klassentreffen“ dann auch einiges erlauben. Die Behörden drücken beide Augen zu. Anstatt die „Ehemaligen“ mit Benimmregeln zu behelligen, sorgen Tausende Milizionäre allein in Moskau dafür, dass sie sich austoben können, ohne größeren Schaden anzurichten. Im Gorki-Park sind am 2. August vorsorglich sämtliche Attraktionen und Verkaufsstände geschlossen. Das Treiben der „Blauen Barette“ ist nicht kompatibel mit dem üblichen Familienbetrieb. Und es verirren sich auch kaum Besucher in das weitläufige Gelände, wo es vor Sicherheitskräften wimmelt.
Feiernde Elitesoldaten in Moskau. Foto: Tino KünzelMeist enden die „Picknicks“ in diesem und anderen städtischen Parks harmlos. Mitunter bekommen sich die „Barette“, nachdem sie ausgiebig dem Wodka zugesprochen haben, jedoch auch dermaßen in die Haare, dass die Fäuste fliegen. Und immer wieder gehen sie auf Dritte los. Besonders gefährdet sind Migranten: Markthändler aus dem Kaukasus oder aus Zentralasien. So vereitelten 2004 OMON-Sondereinheiten einen Überfall auf den Markt im Moskauer Stadtteil Petrowsko-Rasumowskoje, 40 Angreifer wurden verhaftet. 2003 stoppten Fallschirmjäger einen „Schiguli“ mit vier Kaukasiern und drehten ihn dreimal aufs Dach. Im vergangenen Jahr wurden keine derartigen Zwischenfälle gemeldet. In Internetforen waren vorher Aufrufe erschienen, sich zum 75. Jubiläum nicht wieder zu betrinken, „zumindest nicht viehisch“, wie einer schrieb. Eine „traurige Sitte“ sei das, hieß es in nahezu sämtlichen Wortbeiträgen.Die russische Gesellschaft insgesamt ist weit davon entfernt, den Helden a.D. irgendwelche Exzesse zu verübeln. In einer repräsentativen Umfrage von 2005 billigten ihnen 51 Prozent der Befragten zu, sie sollten „feiern, wie sie es für richtig halten“. Je jünger die Befragten, desto größer das Verständnis. In einem Land, das seine Stellung in der Welt durch die Brille militärischer Stärke zu beurteilen gewohnt ist, gelten für die Armee und Armeeangehörige immer auch besondere Maßstäbe. Zudem imponiert vielen offenbar der Männlichkeitskult der „Barette“, die Schutz verkörpern, aber sich auch nichts gefallen lassen und natürlich wissen, wie man feiert. Und so erzählt der „Tag der Luftlandetruppen“ eine Menge über das heutige Russland. Auf den Rolltreppen der Metro applaudieren den „Jungs“ häufig Passanten. Viele ziehen es aber auch vor, ihnen gar nicht erst über den Weg zu laufen und vor allem ihre Kinder nicht in die Nähe der Innenstadt zu lassen. Das Veranstaltungsmagazin „TimeOut Moskau“ empfiehlt für den diesjährigen 2. August, den Abend „lieber mit einer DVD in den eigenen Wänden“ zu verbringen.
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