Sogar Österreicher schwenken Schwarz-Rot-Gold
Die WM wandelt das Deutschlandbild im AuslandÖsterreich/Wien„Ich halte zu Deutschland“, dieser Satz aus österreichischem Mund hätte noch vor kurzem in Wien zumindest für Spott, wenn nicht für handgreifliche Auseinandersetzungen gesorgt. Bei der WM 2006 hat sich das geändert, auf einmal gibt es eine Art von Sympathie für die „Piefke“. „Die Deutschen sind als Underdog gestartet“, erklärt das der österreichische Meinungsforscher Peter Hajek, „und seit kurzem gibt es einen Solidaritätseffekt mit den armen Deutschen, die ja nicht nur im Fußball, sondern auch wirtschaftlich unterlegen sind.“ In vielen Städten waren vor den Spielen der deutschen Elf deutsche Fahnen zu sehen – und zwar deutlich mehr, als die bundesrepublikanischen Arbeitsmigranten hätten anbringen können. Die „Ösis“, die sich ja nicht für die WM qualifizieren konnten, haben ihren Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Nachbar im Norden abgelegt. Und können sich erstmals auch über Tore der deutschen Mannschaft freuen.
Rumänien/Bukarest„Die Deutschen können auch weinen!“ Darüber staunte man in Rumänien nach dem Spiel Deutschland gegen Italien. Bilder mit deutschen Fußball-Fans, denen vor Tränen die schwarz-rot-goldene Schminke im Gesicht zerläuft, relativieren das Vorurteil, Deutsche seien kalt, rigide und oft gefühllos. Auch wenn die Fans nicht ganz so hemmungslos wie die Portugiesen geweint haben, so sei die Trauer voller Ehrlichkeit gewesen. Rumänische Sportjournalisten sind außerdem beeindruckt, mit wie viel Stolz sich Deutschland vom Finaltraum verabschiedet hat. Das Ausscheiden so kurz vor dem Ziel werde der WM-Stimmung nichts anhaben, ist man sich sicher. Alles werde weiterhin so ablaufen, wie geplant, Bier werde weiterhin getrunken, Würstchen gebraten und gefeiert auch. Der Gewinner der WM ist in Rumänien schon bekannt: Es sei Franz Beckenbauer – als Organisator der besten WM aller Zeiten, schreibt der Journalist Cristian Topescu. Nach Fußballspielen der deutschen Mannschaft fuhren sogar durch die Straßen von Bukarest Autos mit kleinen deutschen Fahnen.
Polen/WarschauDeutsche und Polen sind sich bei dieser WM ganz nahe gekommen. Körperlich und emotional. Durch ein Erlebnis, dass gemeinsamer nicht sein könnte und für lange Zeit Teil des jeweiligen nationalen Bewusstseins wird: Beide Mannschaften verloren im Dortmunder Stadion ein entscheidendes Fußballspiel in letzter Minute. Beide gingen erhobenen Hauptes vom Platz. Brüder im Schmerz. Wenngleich in den drei Wochen zwischen der polnischen Erfahrung im Spiel gegen die Deutschen und der deutschen Erfahrung im Spiel gegen die Italiener alte Stereotypen wieder aufbrachen: „Die Geschichte wiederholt sich im Fußball“, hieß es da in der Presse. Nach dem deutschen Schwedenspiel war sogar von der deutschen „Wunderwaffe“ und von „Blitzkrieg“ die Rede. Im Polnischen Fußballverband wurde sogar nach dem Schuldigen gesucht, der verhindert hat, dass Lukas Podolski schon bei der WM 2002 für Polen hätte spielen können. Nun aber ist alles wieder im Lot, weil die Polen deutsche Verlierer mögen – lass sie doch ihre schwarz-rot-goldenen Fähnchen schwenken ist der Tenor, solange Frankreich Weltmeister wird.Deutsch-Tschechische Fußballfreundschaft auf einem Plakat nahe Brünn, Foto: Boris Blahak
Russland/MoskauMoskauer Blätter staunten, wie die sonst so „trockene“ Angela Merkel auf der Tribüne „Tor, Tor“ jubelte. Die Fan-Meile – wichtigste Neukreation dieser WM – hat sich bereits als „milja fanatov“ in den russischen Sprachgebrauch eingeschlichen. Die russische Illustrierte „Ogonek“ berichtete seitenweise, wie selig deutsche Fans „flagi“ (Flaggen) schwenkten und sich in schwarz-rot-goldene „girlandy“ wickelten – ein lustiges Bild, gefügt aus Millionen „schtuki“ (Stück) fröhlicher Deutscher! Den russischen Journalisten, die permanent in Deutschland leben, ist etwas Eigenartiges aufgefallen. „Man erkennt die Deutschen nicht wieder“, schreibt Wladimir Guschin in der in Berlin erscheinenden Emigrantenzeitung „Russkaja Germanija“. Guschin gehört zu den über zwei Millionen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die heute in Deutschland leben. „Wo ist das ewige Jammern, der Pessimismus, die Selbstbeschuldigung?“, fragt „Russkaja Germanija“. Was ist geworden „aus den allabendlichen Fernsehsendungen unter der Rubrik ´Kann man Deutschland noch reformieren?“, fragt das Blatt weiter und antwortet – offenbar sichtlich erleichtert – „all das gibt es nicht mehr.“ Deutschland zeige sich als „einiges und befreites Kollektiv von Enthusiasten und Patrioten“. Deutschland feiere „sich selbst“, „ohne nationalistisches Überschäumen“.Russland/Wladiwostok„Die Deutschen sind kein fröhliches Volk.“ Diese Meinung hat Anastasia, Soziologie-Doktorandin aus Wladiwostok – der östlichsten Großestadt der russischen Föderation - , aus Büchern und den Gesprächen mit Bekannten gewonnen. Nun ist sie in ihren Grundfesten erschüttert worden. Nach dem Sieg der deutschen Mannschaft über Argentinien erhielt sie von einer deutschen Freundin dann folgende Mail: „Stell dir vor - die Deutschen sind fröhlich! Sie feiern! Fußballgott, ich danke dir!"Bosnien/SarajewoDie Altstadt von Sarajewo könnte in diesen Tagen auch „Café Fußball“ heißen: Großleinwände und Plasma-Bildschirme, soweit das Auge reicht. Selbst wer keinen Platz in einem der unzähligen Straßencafés mehr gefunden hat und durch die Fußgängerzone schlendert, verpasst mit Sicherheit kein Tor, so hoch ist die „Bildschirm-Dichte“: Die „Mundijal“, wie die WM genannt wird, hat die bosnisch-herzegowinische Hauptstadt fest im Griff – auch ohne Beteiligung der eigenen Nationalmannschaft. Und die Tageszeitungen sind voll des Lobes über Deutschland. „Oslobodjenje“ erklärt die traditionell als „Panceri“ (Gepanzerten) bezeichneten Deutschen trotz ihres Ausscheidens zum „Gesamtsieger. Sie haben der ganzen Welt gezeigt, dass sie fähig sind, ein Spektakel auf die Beine zu stellen – zusammen mit fantastischen, nimmermüden und euphorischen Fans".Mazedonien/Skopje In der Republik Mazedonien fanden zwar gerade Parlamentswahlen statt, aber die Fußball-WM in „Germanija“ ist auch ein heißes Thema. Früher imponierte den Makedonen vor allem die deutsche Hartnäckigkeit bis zur letzten Minute, jetzt bewunderten sie deutschen Spielwitz und anderes, was nicht zum gewohnten Bild Deutschlands passte. Dass sich ungezählte ausländische Fans in Deutschland wohl fühlten, erschien in makedonischen Augen verständlich. Amüsiert hat man sich nur, dass die korrekten Deutschen mit der Buchhaltung ins Schleudern kamen: Waren es 1,3 oder über 2 Millionen Besucher in den Stadien? Deutsche Ämter zucken die Schultern (wie die Agentur MIA in Skopje berichtete, und niemand weiß, ob das Gastland eine oder zwei Milliarden Euro an der WM verdient hat. In einem Städtchen „südlich von Berlin“ wurde nach Jürgen Klinsmann eine Straße benannt. Dass der Ort tatsächlich in Baden-Württemberg liegt, wusste MIA nicht – aber dass Klinsmann aller Ehren wert ist, ist für Makedonen ausgemachte Sache. *** ENDE ***------------------------------------------------------------------
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