Serbien

Botschafter in Fußballschuhen

Wenn der Schalker Mladen Krstajic und seine Mitspieler vom Team Serbien und Montenegro bei der WM antreten, dann spielen sie nicht nur Fußball. Mit jedem Freistoß, jeder Flanke, kämpfen sie gleichzeitig für ein neues Selbstvertrauen ihres Landes. Vierzehn Jahre ist es her, dass sich der blutige Zerfall Tito-Jugoslawiens auch auf die Sportwelt ausgewirkt hat: 1992 wurde das jugoslawischen Teams von der Europameisterschaft in Schweden ausgeschlossen. Dänemark rückte nach und wurde schließlich sogar Europameister. Inzwischen gehört der ehemalige Vielvölkerstaat der Südslawen endgültig der Vergangenheit an. Zuletzt hat sich bei einem Referendum am 21. Mai Montenegro aus dem Staatenbund mit Serbien gelöst, wobei beide Länder in Deutschland noch mit einer gemeinsamen Mannschaft antreten. Die praktischen Auswirkungen sind allerdings eher gering. Nach dem verletzungsbedingten Ausfall des Stürmers Mirko Vucinic ist Torwart Dragoslav Jevric der einzige Montenegriner im gesamten Team.

Die Einwohner Serbiens leiden heute unter hoher Arbeitslosigkeit, unterentwickelter Wirtschaft und alltäglicher Korruption. Die Lebensmittelpreise befinden sich teilweise auf deutschem Niveau und sind damit unbezahlbar für einen Normalbürger, der sich und seine Familie mit einem Durchschnittslohn von zweihundert Euro einen Monat lang ernähren muss. Die Hoffnung auf wirtschaftliche Verbesserungen sind erst recht nach der Aussetzung der EU-Beitrittsgespräche wegen der offenen Kriegsverbrecherfrage in weite Ferne gerückt. Zusätzlich zeichnet sich bei den komplizierten Kosovo-Statusverhandlungen immer deutlicher ein Verlust der überwiegend von Albanern bewohnten autonomen Provinz ab.

Das Büro des serbischen und montenegrinischen Fußballverbandes ist in den Monaten vor der Weltmeisterschaft zu so etwas wie einem zweiten serbischen Außenministerium geworden. Natürlich sei er auch öfters von internationalen Gästen auf die politische Situation angesprochen worden, so Sportjournalist Aleksandar Boskovic, Pressesprecher des Verbandes. „Fußball ist ein grenzüberschreitendes Business.“ Dabei nehme gerade politisch das Turnier für die Serben einen extrem hohen Stellenwert ein. Die Spieler könnten bei den WM-Zuschauern endlich wieder positive Werbung für ihr Land machen und zum Abbau von Vorurteilen beitragen. Nicht weniger wichtig sei aber auch die Wirkung im Lande selber, so Boskovic. „Für die Menschen unseres Gebietes gibt es 2006 sicherlich kein bedeutenderes, kein wichtigeres Ereignis außer der Fußball-WM.“ Die serbischen Jugendlichen würden in den Fußballern Helden finden, mit denen sie sich identifizieren könnten. Aber auch für die restliche Bevölkerung sei die WM etwas, dass ihnen Kraft gebe, in einer Periode des Frühlings und der Arbeit, die Serbien gerade erlebe.

Mit seinen von Presse und Spielern gleichermaßen gelobten menschlichen Fähigkeiten hat Trainer Ilija Petkovic aus Routiniers wie den in Spanien spielenden Savo Milosevic und Mateja Kezman und Talenten wie Stürmer Nikola Zigic von Roter Stern Belgrad ein Team geformt. Außer Mittelfeldregisseur Dean Stankovic von Inter Mailand kommt die Mannschaft weitgehend ohne Star aus und präsentierte sich bisher ausgesprochen homogen. Nach einer überzeugenden Qualifikation mit nur einem Gegentor in zehn Pflichtspielen hatte die Mannschaft noch vor den nun glänzend aufspielenden Spaniern souverän den ersten Gruppenplatz erreicht. Trotzdem, so räumte Aleksandar Boskovic schon im Vorfeld des Turniers ein, fehle es der Mannschaft an Kontinuität und Erfahrung mit großen Spielen. Die Hoffnung sei, dies durch den Zusammenhalt der Spieler ausgleichen zu können. Es herrsche „eine familiäre Atmosphäre im Team, die absolut niemand entzweien kann.“ Dies war nicht immer so: Bereits vor Turnierbeginn trat überraschend Verteidiger Dusan Petkovic kurz nach seiner Nachnominierung wieder aus dem Team zurück. Grund soll die starke Kritik der einheimischen Medien gewesen sein, er sei nicht wegen spielerischer Qualitäten gewählt worden, sondern als Sohn von Trainer Ilija Petkovic.

Nach der Niederlage gegen die Niederlande ist der Teamgeist nun besonders gefordert. Mehrere Spieler haben bereits öffentlich die defensive Taktik des Trainers kritisiert, mit in der „Todesgruppe C“ gegen die Niederlande, Argentinien und die Elfenbeinküste nicht zu bestehen sei. Vielleicht hilft in dieser Situation die Rückbesinnung auf die Verantwortung gegenüber den eigenen Fans. „Wir wollen unserem Land helfen“, so Aleksandar Boskovic. „Der Wille, kollektiv einen Erfolg erreichen zu wollen, wirkt wie ein zusätzlicher Spieler auf dem Platz.“


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