Polen

„Ich wünsche mir einen Aufstand für Europa“

Adam Krzemiński über Gegenwart und Zukunft des deutsch-polnischen VerhältnissesBerlin (n-ost) – Im Kleinen funktioniert bereits eine Menge, aber in der großen Politik passieren bisweilen erschreckende Missverständnisse – das deutsch-polnische Verhältnis bleibt schwierig, daran hat auch das gerade zu Ende gegangene Deutsch-Polnische Jahr nichts geändert. Im Gespräch mit Andreas Metz analysiert der Publizist Adam Krzemiński den gegenwärtigen Zustand der nachbarschaftlichen Beziehungen. Krzemiński  wurde 1945 in Radecznica/Westgalizien geboren, studierte Germanistik in Warschau und Leipzig und ist seit 1973 Redakteur der angesehenen Zeitschrift „Polityka“. Er gilt als einer der profiliertesten Analysten des deutsch-polnischen Verhältnisses und des europäischen Erweiterungsprozesses. Als Co-Chefredakteur leitete er das deutsch-polnische Magazin „Dialog“ und schreibt regelmäßig für die ZEIT.  FRAGE: Herr Krzemiński, gerade ist das Deutsch-Polnische Jahr zu Ende gegangen, das ursprünglich dazu gedacht war, die gemeinsamen Beziehungen zu entspannen. Hat das Jahr ihre Erwartungen erfüllen können?KRZEMIŃSKI: Ich halte die Idee des Jahres für hervorragend. Dass es das gab, ist wunderbar. Ich überbewerte das aber auch nicht. Ich weiß, dass es sich auf einen Kreis der ohnehin Gläubigen beschränkte. Es gab keine ausreichende Ausstrahlung nach außen. Das kann man den Veranstaltern aber nicht vorwerfen. In beiden Ländern fanden Wahlen statt, die zu einem Politikerwechsel und einer Re-Provinzialisierung geführt haben. Noch gibt es keine neuen Sprecher der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Solche Symbolfiguren wie Bartoszewski, Kohl oder Johannes Rau fehlen. Bei den heute 30- bis 40-jährigen Politikern in Deutschland weiß ich nicht, wer sich tatsächlich für Polen interessiert. In den polnischen Parteien sehe ich umgekehrt überhaupt niemanden. Im Gegenteil, im Wahlkampf waren eher deutschfeindliche Töne zu hören.Adam Krzeminski, Foto: Andreas MetzFRAGE: Woher stammt der Sand, der nun im früher so gut geölten deutsch-polnischen Getriebe steckt?KRZEMIŃSKI: Nach den 15 Jahren, die seit 1989 vergangen sind, braucht das Verhältnis einen neuen Schub. Die Ziele aus den 90er Jahren wurden erreicht. Wir sind nun gemeinsam in der NATO und der EU. Diesen Beitrittsprozess als normierende Kraft gibt es nun nicht mehr. Wir brauchen neue Inhalte. Meiner Meinung nach konnten die durch das Deutsch-Polnische Jahr nicht kommen. Es diente aber der Überbrückung dieses tektonischen Risses, den wir durch die Wahlen und den Politikerwechsel durchgemacht haben.FRAGE: Vor allem der Streit um das vom Bundesverband der Vertriebenen geforderte „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin hat das deutsch-polnische Verhältnis in eine Sackgasse geführt. Nun gibt es polnische Stimmen, die im Gegenzug eine Gedenkstätte für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus in Berlin fordern. Kann dies ein Ausweg sein?KRZEMIŃSKI: Die Politiker müssen eine kooperative Lösung suchen und finden. Und es müssen gerade diejenigen machen, die auf beiden Seiten so verbissen sind. Beide Seiten müssen sich bewegen. Warum machen wir kein Museum der deutsch-polnischen Nachbarschaft? Die Konzentration auf die Zeit der Konfrontation ist zu eng. Uns verbindet eine 1000-jährige Geschichte.FRAGE: Man hat den Eindruck, derartige Spannungen werden durch Politiker und Interessengruppen oft künstlich erzeugt. Sind die einfachen Bürger auf beiden Seiten nicht schon viel weiter?KRZEMIŃSKI: Man darf die Politik nicht unterschätzen. Sie beeinflusst Stimmungen. Man hat das zum Beispiel bei der europäischen Verfassung gesehen. Die Meinungsumfragen waren lange positiv. Aber einzelne Menschen sind oft nicht fähig, den geschickt manipulierenden Politikern zu widerstehen. In Deutschland ist das Beispiel des polnischen Fliesenlegers berühmt. Sowohl Müntefering als auch Stoiber haben dieses Beispiel bemüht. Das spricht Emotionen an. Einerseits die Heuschrecken, andererseits der polnische Fliesenleger. Die Folgen sind verheerend.FRAGE: Geht nicht ein Teil der Schuld auch auf das Konto der Medien, die Politiker zu derartigem Populismus erziehen, um Schlagzeilen zu bekommen?KRZEMIŃSKI: Natürlich. Wir haben in den Medien eine pervertierte Form der intellektuellen Debatten. Die Medien stecken in einem schrecklichen wirtschaftlichen Wettkampf. Sie werden deshalb dauernd flacher und erzeugen eine Demokratie der Unwissenden. Möglicherweise ist es nur eine Phase. Man kann derzeit beobachten, dass Texte wieder länger werden. Die ZEIT, hieß es, sei ein überkommenes Modell. Derzeit floriert sie wieder. So eine starke, gebildete Nation wie Deutschland braucht ihre Denkfabriken. Wir dürfen nicht länger abgespeist werden mit arroganten, emotionalisierten Plakaten. Was uns vor allem fehlt, ist eine europäische Öffentlichkeit, eine Verzahnung der Medien.FRAGE: Auch der Einigungsprozess in Europa ist ins Stocken geraten. Wie bekommen wir diesen schwerfälligen Tanker wieder flott?KRZEMIŃSKI: Ich wünsche mir eine Jugendbewegung für Europa, ein Europa, in dem man die Befreiung von, nicht die Rückbesinnung auf nationale Begrenzungen sucht. Die politische Stimmung in Europa verläuft wellenartig. Erst ging es um die Öffnung, dann um nationale Besinnung. Die junge Generation sollte sich auf den nächsten Pendelausschlag vorbereiten und den gegenwärtigen Politikern die Leviten lesen. Sie verfügt über eine bessere Bildung, bessere Erfahrungen, sie kann deshalb mutig sein. Sie kann im Unterschied zu den Populisten ein anderes Europabild leben, sie kann so einen Aufstand für Europa proben.FRAGE: Sie sind 1945, also im Jahr des Kriegsendes, geboren. Der Hass auf alles Deutsche muss damals groß gewesen sein. Trotzdem haben Sie die Sprache der Täter gelernt. Warum?KRZEMIŃSKI: Meine Familie stammt aus dem Osten. Später lebten wir dann in Breslau. Es gab keine Erziehung zum Hass. Meine Mutter brachte mir, als ich Kind war, vier verschiedene Zeitschriften – eine englische, französische, deutsche und eine russische. Russisch hatten wir sowieso in der Schule. Aus den anderen habe ich die deutsche gewählt. Meine Mutter hat geschluckt. Dann sagte sie:„Gut. Es ist wichtig, die Sprache der Nachbarn zu kennen.“Ende-----------------------------------------------------------------------------------------------------
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