Rumänien

„Die EU will von ihren Erweiterungsfehlern ablenken“

Berlin/Bukarest (n-ost) - Die EU-Kommission in Brüssel wird am 16. Mai ihre Empfehlung aussprechen, ob die beiden Beitrittskandidaten Rumänien und Bulgarien bereits 2007 in die Europäische Union aufgenommen werden sollen. Möglich ist auch die Empfehlung, den Beitritt auf 2008 aufzuschieben, falls die beiden Länder nach EU-Ansicht die Aufnahmekriterien noch nicht vollständig erfüllt haben. Die EU bemängelt bislang unter anderem, dass die Justiz in beiden Ländern nicht unabhängig agiert und Rumänien und Bulgarien stärker die Korruption bekämpfen müssen. Der Europäische Rat wird im Juni entscheiden, ob er die Empfehlung der EU-Kommission annimmt oder ablehnt. Unsere Mitarbeiterin Annett Müller hat die Politikexpertin Anneli Ute Gabanyi vom „Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin befragt, wie sinnvoll es wäre, den Beitritt der beiden osteuropäischen Länder zu verschieben.

Frage: Rumänien und Bulgarien wollen 2007 in die EU aufgenommen werden, doch kann ihr Beitritt auf 2008 verschoben werden, falls sie die Aufnahmekriterien nicht erfüllen. Wie gut stehen die Chancen, dass die EU-Kommission am 16. Mai empfiehlt, die beiden Länder bereits 2007 aufzunehmen?

Gabanyi: Aus meiner Sicht, sind Rumänien und Bulgarien auf den Beitritt genauso gut oder genauso schlecht wie die ersten zehn Länder der EU-Erweiterungswelle vorbereitet. Die EU hatte allen zwölf dieselben Aufnahmekonditionen versprochen. Jetzt wird sich zeigen, ob sich die EU an ihre Zusage hält, oder ob sie meint, anderen Beitrittskandidaten ein Zeichen setzen zu müssen, dass nur in die EU darf, wer alle Auflagen zu hundert Prozent erfüllt. Doch wie man diese Auflagen überprüfen, sie sind nicht alle quantifizierbar. Wie wollen Sie beispielsweise das Ausmaß der Korruption oder den Erfolg von Antikorruptionsmaßnahmen in einem Land messen? Dafür gibt es keine Maßeinheit.

Frage: Sie meinen, dass für Rumänien und Bulgarien härtere Spielregeln für den EU-Beitritt gelten?

Gabanyi: Ja. Vor Abschluss der ersten Etappe der EU-Osterweiterung habe ich die letzten von der EU-Kommission verfassten Fortschrittsberichte für diese zehn Länder gelesen und war regelrecht schockiert angesichts der darin aufgezeigten schwerwiegenden Mängel, die allerdings ihren Beitritt 2004 weder verhindert noch verzögert haben. Auch die Presse hat hier im Vorfeld vieles beschönigt. Nach dem Beitritt der zehn konnten diese Mängel nicht mehr vertuscht werden. Das trug nicht unwesentlich zur Erweiterungsmüdigkeit und der selbst verschuldeten Krise innerhalb der EU bei. Um von ihrem Fehlverhalten in der Erweiterungsfrage abzulenken, will die EU nun am Beispiel von Rumänien und Bulgarien offenbar mit Blick auf eventuelle künftige Erweiterungsrunden Strenge demonstrieren.

Frage: Was spricht dagegen, dass die EU-Kommission ihre Fehler korrigiert?

Gabanyi: Fehler zu korrigieren ist ein richtiger Ansatz. Die EU will bei künftigen Kandidatenländern wie der Türkei ergebnisoffen verhandeln und nicht vor der Umsetzung der Aufnahmekriterien schon den Beitritt versprechen. Im Fall von Rumänien und Bulgarien liegen die Dinge jedoch anders. Diese beiden Länder waren einst aus Budgetgründen von den übrigen zehn Kandidatenstaaten abgekoppelt worden. Durch die Aufschiebung des Beitritts sind ihnen in den zwei Jahren trotz Vorbeitrittshilfen erhebliche Fördermittel verloren gegangen. Außerdem kann die EU-Kommission nicht für Staaten, die Teil ein und derselben Erweiterungsrunde sind, plötzlich die Aufnahmekriterien verändern: Das spricht gegen das fundamentale Solidaritäts- und Gleichheitsprinzip der EU. Wäre die EU ihren Prinzipien treu geblieben, jedes Beitrittsland nur zu dem Zeitpunkt aufzunehmen, zu dem es hundertprozentig vorbereitet ist, dann hätte die EU-Kommission auch den zehn vorhergehenden Beitrittsstaaten kein konkretes Beitrittsdatum nennen dürfen. Nur im Falle Rumäniens und Bulgariens sind Sicherheitsklauseln vorgesehen, bei deren Aktivierung der sichere Beitritt um maximal ein Jahr verschoben werden kann. Das wird die Länder jedoch nicht anspornen, ihre Hausaufgaben zu machen.

Frage: Warum nicht?

Gabanyi: Nur ein unbefristeter Aufschub wäre ein Druckmittel gewesen. Die beiden Länder wissen, dass sie trotz Verschiebung auf jeden Fall 2008 beitreten werden, ein Ansporn wird durch den Aufschub nicht gewonnen. Ich bin mir im Falle Rumäniens auch ziemlich sicher, dass bei einer Verschiebung des EU-Beitritts eine Regierungskrise ins Haus stehen wird.


Frage: Welches Empfehlungsszenario erwarten Sie von der EU-Kommission am 16. Mai?

Gabanyi: Die Empfehlung der EU-Kommission muss im Juni vom Europäischen Rat einstimmig bestätigt werden. Der Rat wird, wie beim EU-Beitritt der anderen zehn Länder, eine politische Entscheidung treffen und die beiden Länder 2007 aufnehmen. Ich bin mir aber auch sicher, dass Rumänien und Bulgarien von der EU-Kommission zusätzlich Auflagen erhalten, die in einem letzten Fortschrittsbericht im Oktober evaluiert werden. Dies wäre tatsächlich ein wirksames Mittel, die beiden Länder für weitere Anstrengungen zu motivieren.


Für Info-Kasten:
Das "Deutsche Institut für Internationale Politik und Sicherheit" der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wird aus Bundesmitteln finanziert und berät den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.
Anneli Ute Gabanyi ist im Institut als Rumänien-Expertin tätig. Die Politikexpertin war in den 60er Jahren aus Rumänien ausgewandert, sie arbeitete zunächst in der Rumänischen Abteilung von Radio Free Europe Research in München und später beim Südost-Institut, das 2001 ins Berliner SWP-Institut integriert wurde. Zu Gabanyi`s Rumänien-Schwerpunkten gehören die Themen: Transformationsproblematik, Parteienlandschaft und EU-Integrationspolitik.

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