Kampf gegen Kinderprostitution
Als Cathrin Schauer im Herbst 2003 in Buchform über die Kinderprostitution berichtete, die sie auf den Strassen im deutsch-tschechischen Grenzgebiet über Jahre hinweg beobachtet hatte, war die Empörung in Tschechien gross. „Übertrieben“ lautete damals noch das mildeste Urteil. Inzwischen haben sich die Wogen etwas geglättet. Tschechien hat den Kampf gegen die Kinderprostitution aufgenommen. Und Cathrin Schauer spricht genau das aus, was auch in Tschechien viele denken: „Deutschland muss endlich seinen Teil der Verantwortung übernehmen. Denn ohne die deutschen Freier gäbe es den Kinderstrich in Tschechien nicht.“
90 Prozent der Freier sind Deutsche
Dass es in 90 Prozent der Fälle Deutsche sind, die sich in Nord- und Westböhmen an tschechischen Kindern vergehen, zählt zu den wenigen Gewissheiten im Kampf gegen die Kinderprostitution. Wirklich aussagekräftige Zahlen darüber, wieviele Kinder in Tschechien jeden Tag ihren Körper gegen Geld, Süssigkeiten oder Geschenke eintauschen, liegen bis heute nicht vor. 67 Fälle von komerzieller sexueller Ausbeutung hat die tschechische Polizei 2005 festgestellt. Die Dunkelziffer dürfte nach einhelliger Meinung etwa zehnmal so hoch liegen. Viel weiter reichen die Erkenntnisse auf beiden Seiten der Grenze jedoch kaum. „Die Kinder stehen heutzutage nicht mehr offen an der Strasse herum“, erklärt Cathrin Schauer. „Die Freier verabreden sich einfach übers Internet – und die Prostitution findet dann in Privatwohnungen oder Bordellen statt.“ Unter diesen Umständen ist es extrem schwierig, auch nur die Opfer, geschweige denn die Täter zu identifizieren. Dabei hat die tschechische Regierung in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um Kinder besser vor sexueller Ausbeutung zu schützen.
„Ein integriertes Konzept zur Bekämpfung der Kinderprostitution gibt es in Tschechien bereits seit dem Jahr 2000“, sagt Jakub Svec, Mitarbeiter des Innenministeriums in Prag, „Die Umsetzung dieses Konzepts wird alle zwei Jahre von Fachleuten aus der Regierung, von der Polizei und von Nichtregierungsorganisationen überprüft.“
Vor allem im Bereich der Gesetzgebung sei in den letzten Jahren einiges erreicht worden. So hat das Parlament die Altersgrenze, ab der sexuelle Dienstleistungen nicht mehr als Kinderprostitution gelten, von 15 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Das neue Telekommunikationsgesetz verschafft der Polizei bessere Möglichkeiten bei der Verfolgung von Kinderpornografie. Ab Juni können Gesundheitseinrichtungen, die ihren Verdacht auf sexuellen Missbrauch eines Kindes nicht den zuständigen Behörden melden, mit bis zu 50 000 Kronen (etwa 1500 Euro) bestraft werden. „In vielen Städten ist es uns gelungen, Runde Tische ins Leben zu rufen, an denen Polizei, Sozialarbeiter und Behörden über konkrete Kinder sprechen, die gefährdet erscheinen“, sagt Svec. „Und in den Schulen werden die Kinder inzwischen nicht mehr nur darüber aufgeklärt, was sexueller Missbrauch und Kinderprostitution sind. Sie lernen auch, wie sie sich wehren können, wenn sie auf der Strasse von Freiern angesprochen werden.“
Diese Anstrengungen im Kampf gegen die Kinderprostitution honorieren sowohl tschechische als auch deutsche Nichtregierungsorganisationen. „Inhaltlich ist die Strategie der Regierung sicherlich zu begrüssen“, sagt Cathrin Schauer. „Die Frage ist aber, ob die einzelnen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden“, meint Zuzana Baudysova, Leiterin der tschechischen Stiftung „Nase dite“ (“Unser Kind“). Das Problem ist dabei nicht nur der Mangel an Polizeibeamten auf lokaler Ebene – sondern eben auch die beständige Nachfrage von Seiten der deutschen Freier.
„Ich habe dieses Thema bei Treffen mit Kollegen aus Berlin immer wieder angesprochen“, sagt Jakub Svec. „Aber mehr als ein freundliches Nicken haben wir dabei bisher nicht erreicht.“ Das mag daran liegen, dass die Kinder, die fern der deutschen Öffentlichkeit missbraucht werden, als „tschechisches Problem“ gelten. Die deutsche Zurückhaltung könnte jedoch auch ein Ausweis der Hilflosigkeit sein. Denn die Möglichkeiten, wie Deutschland seine Sextouristen an einem Besuch im Nachbarland hindern kann, sind ziemlich bescheiden. „Wenn jemand bereits strafrechtlich auffällig geworden ist, können wir das an der Grenze zwar im Computer erkennen“, sagt Ralf Werth aus dem Pressereferat des Bundespolizeipräsidiums Ost in Berlin. „In aller Regel überprüfen wir jedoch nur das Passfoto“, ergänzt Eva Haukova, Sprecherin der Grenzpolizei in Usti nad Labem (Aussig). „Bei der Menge an Reisenden, die jeden Tag die Grenze überqueren, ist eine detaillierte Kontrolle auch gar nicht möglich.“
Aussichtsreicher als die Strafverfolgung, da sind sich alle Beteiligten einig, ist deshalb die Prävention. „Das Ziel muss sein, die Anonymität zu durchbrechen, in der die Kinderprostitution stattfindet“, sagt Jakub Svec aus dem Prager Innenministerium. Und tatsächlich haben etwa Kampagnen, die die breite Masse der Einkaufs- und Kulturtouristen auf das illegale Sexgeschäft in Tschechien aufmerksam machen, in der Vergangenheit durchaus Erfolge erzielt. „Im Jahr 2000 haben wir mit dem Bundesinnenministerium ein Projekt namens KISS gestartet“, erzählt Cathrin Schauer. „Dabei wurden an mehreren Grenzübergängen Postkarten verteilt, auf denen die Reisenden aufgefordert wurden, alles bei der Polizei zu melden, was auf Kinderprostitution hindeutet. Auf diese Weise haben wir wirklich ein paar wertvolle Hinweise erhalten.“ Seither ist allerdings nichts Vergleichbares mehr passiert. „Obwohl die meisten Sextouristen weltweit aus Deutschland kommen, tun wir einfach viel zu wenig“, sagt Cathrin Schauer. „Solche Aufklärungskampagnen müssten in Deutschland kontiunuierlich fortgesetzt werden.“
Ob sich der Wunsch nach einem größeren Engagement der Bundesregierung alsbald erfüllt, bleibt abzuwarten. „Ich habe aber den Eindruck, dass sich immer mehr deutsche Organisationen für das Problem der Prostitution in Tschechien interessieren“, sagt Elisabeth Suttner-Langer, die in Regensburg das Prostituierten-Projekt „Jana“ leitet. Im Juli wird so etwa die „Evangelische Jugendfürsorge Lazarus“ aus Berlin in Cheb (Eger) ein Betreuungszentrum für Kinder eröffnen, die durch ihre ökonomische Situation und familiäre Vernachlässigung zu Opfern sexueller Ausbeutung geworden sind oder werden könnten. „Wir freuen uns sehr über dieses Engagement von deutscher Seite“, sagt Jakub Svec. „Denn jede Aktion dieser Art ist ein Symbol dafür, dass das Problem Kinderprostitution kein rein tschechisches Problem ist. Es ist unser gemeinsames Problem.“