Grenzstädter kochen gegen Vorurteile
„Nur bitte keine Strukturtapete!“ Carsten steht vor einem kleinen Mehrfamilienhaus am Rande von Gubin. Dahinter liegt das weite Feld in der Dämmerung. Der 26-jährige Gubener dreht in den Händen eine Flasche Rotwein, streicht sich über seinen Haarzopf und atmet noch einmal tief durch, bevor er auf den Klingelknopf drückt.
Der Politologiestudent ist einer von rund zwanzig Gubenern und Gubinern, die derzeit miteinander kochen – in kleinen Gruppen, mal auf der einen Seite der Neiße, mal auf der anderen. Das abenteuerliche daran: Die meisten haben sich noch nie zuvor gesehen. „Smacznego – wir kochen gut!“ heißt das Projekt des deutsch-polnischen Klubs „Gubien“. Über so alltägliche Dinge wie Kochen und Essen will der Gubener Initiator Klaus Pocher Vorurteile gegenüber dem Nachbarn abbauen. Bedeutungsschwangere Freundschaftsbekundungen seitens der Politik und hirnlastige Aktionen haben das in der Stadt, durch die sich seit Ende des Krieges in Form der Neiße die Grenze zieht, bislang nicht geschafft. Die Vorurteile vom arroganten Deutschen einerseits und windigen Polen andererseits leben weiter, private Kontakte sind seit den gut 16 Jahren seit Grenzöffnung immer noch selten.
Der Türsummer öffnet Carsten eine neue Welt. Im Treppenhaus geht das Licht an, plötzlich steht er im Flur einer modernen Wohnung. Von Strukturtapeten keine Spur. Glattverputzte weinrote Wände, Metallleuchten, Holzdielen, eine große CD-Sammlung. Der junge Deutsche weiß nicht, wohin er zuerst schauen soll. „Ich bin Musiker“, erklärt Gastgeber Andrzej auf Polnisch und gibt ihm etwas unsicher die Hand. Seine Freundin Regina und der zehnjährige Franek schauen neugierig hinter seinem Rücken hervor, winken dann in die kleine Küche, die nur ein Stehtisch vom Wohnzimmer trennt.
Alles ist vorbereitet. Auf der Arbeitsplatte taut schon der Fisch in einer Auflaufform. Die 36-jährige Angestellte der Gubiner Stadtverwaltung drückt Carsten keck einen Salatkopf in die Hand. „Setz Dich, hier ist ein Messer, du machst den Salat“, sagt sie langsam. Carsten ist sichtlich erleichtert. Er versteht. Carsten studiert in Berlin lernt seit einem Jahr Polnisch, wenn er nicht weiter weiß, antwortet er auf Russisch. Das kann er noch aus der Schule. Wo die Verständigung stockt, helfen Gesten und Mimik. Lächeln.
Die erste Flasche Wein leert sich. Während Regina die heiße Bouillon im Topf mit Sahne und Mehl zur Sauce andickt, dreht Andrzej eine Knoblauchzwiebel in der Hand: „Czosnek?“, fragt er. „Knoblauch“, antwortet Carsten langsam und deutlich. Andrzej lauscht konzentriert, runzelt die Stirn und wiederholt zaghaft. Carsten nickt anerkennend. Regina beobachtet die beiden, der Rührbesen in der Hand schwingt in der Luft weiter. Sie lacht: „Wir haben uns gefragt, wie wir uns verhalten, wenn uns Carsten nicht sympathisch ist. Und jetzt ist alles ganz einfach.“ Während sie in der einen Hand die Auflaufform balanciert, öffnet sie mit der anderen die Backofentür. Ein heißer Luftschwall strömt ihr ins Gesicht: „Jetzt fehlt noch der Reis, und in 20 Minuten können wir essen.“
Die Idee, dass sich Deutsche und Polen über das gemeinsame Schmausen annähern, ist nicht neu. Auf die Idee kam im Jahre 2000 der Künstler Michael Kurzwelly, der sich mittlerweile mit seinem Projekt „Slubfurt“ für die Doppelstadt Frankfurt (Oder) – Slubice über die Region hinaus einen Namen gemacht hat. Damals luden elf Gastgeber an einem Abend unbekannte Gäste in ihre Wohnungen ein. Der Speiseplan wurde zuvor in der jeweiligen Tageszeitung der Stadt veröffentlicht. So hatte Klaus Pocher vom Klub „Gubien“ ursprünglich auch das Projekt in den Neißestädten geplant. Auf Bitten einiger Teilnehmer aber noch zwei Kennenlerntermine vorgeschoben: „Einige hatten zu große Scheu, sich bei Fremden zum Kochen einzuladen“, begründet der 36-Jährige Germanist. Er versteht die Annäherungsschwierigkeiten, die durch die unterschiedlichen Sprachen noch verstärkt würden.
Nach dem Studium in Berlin hatte der Gubener selbst zwei Jahre in Polen gearbeitet, kehrte dann wieder in seine Heimat zurück und gründete seinen deutsch-polnischen Kulturclub. Ihm liegt das Zusammenwachsen der Städte am Herzen: „Es muss doch irgendwann Normalität sein, über die Neiße zu gehen und Freunde zum Essen zu treffen“, sagt er und fügt leise hinzu: „Manchmal bin ich wohl zu ungeduldig.“
Andrzej holt mit spitzen Fingern den dampfenden Fisch aus dem Ofen und zieht genüsslich den würzigen Duft ein. „Wir kochen gerne französische und italienische Gerichte.“ Nicht alle Polen essen ausschließlich Bigos oder Klöße: „Das ist viel zu aufwendig“, pflichtet ihm Regina bei, „wir leben in modernen Zeiten.“ Carsten ist das recht. Messer und Gabel im Anschlag wartet er auf das Startzeichen. Das gibt der zehnjährige Franek in fehlerfreiem Deutsch: „Guten Appetit!“